Trogozytose

von Juliet Merz (Laborjournal-Ausgabe 3, 2020)


Editorial

(11.03.2020) Auch im Alltag würde das Prinzip der Trogozytose denkbar gut funktionieren. Man stelle sich vor, der Sitznachbar in der Straßenbahn würde einen plötzlich von der Seite anknabbern. Wer würde da nicht das Weite suchen?

Ähnlich verhält es sich in multizellulären Organismen. Auch hier nagen Zellen aus teils unterschiedlichen Gründen an ihren Nachbarn; daher auch der Name Trogozytose vom griechischen Wort „trogo“ für nagen. Der angefressene Zellnachbar bricht den Kontakt dann (verständlicherweise) schnell ab. Der entscheidende Faktor der Trogozytose: Die knabbernde Zelle nimmt nur Teile des Nachbarn auf und verschlingt sie nicht im Ganzen, so wie bei Phagozytose.

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Illustr.: Juliet Merz
Ganz oder ein bisschen

Dennoch sind sich Phago- und Trogozytose nicht unähnlich. Doch trotz der Verwandtschaft zur gut verstandenen Phagozytose haben Forscher die genauen molekularbiologischen Prozesse der Trogozytose bislang noch nicht vollständig begriffen. Lediglich unzählige Beispiele huschten den Wissenschaftlern im Laufe der Jahre unters Mikroskop.

Editorial

Etwa in C. elegans hatten Zellbiologen aus den USA vor knapp vier Jahren entdeckt, dass die primordialen Keimzellen Ausbuchtungen bilden, die dann von endodermalen Zellen regelrecht abgerissen und verdaut werden (Nat. Cell Biol. 18(12): 1302-10). Während dieses Prozesses werden nicht nur Proteine transferiert, auch die Größe der primordialen Keimzellen sowie ihr Mitochondrien-Gehalt schrumpft. Das Team um Jeremy Nance schloss daraus, der Organismus nutze diese Strategie, um Zellen zu formen und ihren zellulären Inhalt umzugestalten.

Die Trogozytose spielt auch bei Antigen präsentierenden Zellen und Lymphozyten einse wichtige Rolle. US-amerikanische Immunologen um Zeling Cai konnten beobachten, dass sich während der Interaktion mit T-Zellen nach nur wenigen Minuten Cluster von sogenannten Peptide-Major Histocompatibility Complex Protein Complexes auf den Antigen präsentierenden Zellen bilden (Science, doi: 10.1126/science.286.5441.952). Die T-Zelle nutzt die Trogozytose, um die Cluster aufzunehmen.

Fieses Fressen

Amöben hingegen können mit dem zellulären Knabbern beträchtlichen Schaden verursachen. Die Mikrobiologin Katherine Ralston von der University of California in Davis entschlüsselte vor ein paar Jahren einen wichtigen Mechanismus, der die Pathogenität von Entamoeba histolytica bestimmt (Curr. Opin. Microbiol. 28: 26-35). Die Amöben-Art ist ein Durchfallerreger, der das Gewebe seines Wirtes stark schädigen kann. Ralston erkannte, dass die Amöbe über ein Oberflächen-Lektin an bestimmte Glykoproteine der menschlichen Zellen bindet und so lange an ihnen frisst, bis diese sterben. Zwar verdaut E. histolytica die aufgenommenen Zellfragmente, das tote Zellgerüst verbleibt allerdings im Gewebe und lässt Entzündungsreaktionen losbrechen. Über die Trogozytose durchstößt die Amöbe schließlich die Barriere der Darmschleimhäute, schädigt das darunterliegende Gewebe und Geschwüre beginnen zu wachsen.

Während der Embryonalentwicklung hat die Trogozytose eine ganz andere Aufgabe. Damit sich ein Embryo bilden kann, müssen sich die Zellen zeitlich und räumlich koordiniert voneinander trennen. Ein hier besonders wichtiges Kontaktsystem verläuft über den Ephrin-Liganden. Dieser wird von einer Zelle präsentiert, während die benachbarte Zelle mit dem Eph-Rezeptor das passende Gegenstück bereithält. Sowohl von Ligand als auch Rezeptor gibt es zwei Unterklassen, EphA beziehungsweise EphB und die dazu passenden EphrinA- oder -B-Moleküle.

Verbinden sich die beiden Proteine zu einem Rezeptor-Ligand-Komplex, startet eine Signalkaskade und der Komplex wird von der Eph-exprimierenden Zelle verspeist. Das geht auch in umgekehrter Richtung und der Komplex wird von der Ephrin-Zelle geschluckt.

Überraschender Mitspieler

Wie das System genau funktioniert, wollten die beiden Erstautoren Jingyi Gong und Thomas Gaitanos aus der Arbeitsgruppe von Rüdiger Klein am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried wissen. Im Visier hatte das Forscherteam ein Protein namens Gulp1, das schon von der Phagozytose bekannt war. Und tatsächlich entdeckten Gong, Gaitanos et al., dass das phagozytische Adaptorprotein auch bei der EphB/EphrinB-Trogozytose einen wichtigen Part einnimmt. Gulp1 akkumuliert am Rezeptor-Ligand-Komplex mithilfe eines weiteren Mitspielers, dem Protein Tiam2. Tiam2 regt die Reorganisation des Zytoskeletts an. Das angehäufte Gulp1 am Eph/Ephrin-Cluster rekrutiert schließlich Dynamin und startet den Internalisierungsprozess.

In Zukunft möchte die Martinsrieder Gruppe die Trogozytose intensiver im intakten Gehirn untersuchen und verstehen, wie es dort überhaupt zum Zellknabbern kommt. Möglicherweise ließe sich der Mechanismus für die Regeneration von verletzten Gehirnarealen ausnutzen, erhoffen die Neurobiologen.



Letzte Änderungen: 11.03.2020