Editorial

Codonemanzipation

von Lara Winckler (Laborjournal-Ausgabe 09, 2011)


Codonemanzipation

Bild: geando/ Fotolia

Bakterien können im Prinzip alles herstellen, und wenn man sie entsprechend motiviert, tun sie das auch. Problematisch wird dieses Können, wenn die hochbegabten Einzeller es schaffen, ihren Lebensraum zu vergrößern und ihren Horizont erweitern, sprich aus den Labors entkommen und ihre veränderten Gene weitergeben. Ein Problem, das sich theoretisch relativ einfach aus der Welt schaffen lässt: Man verändert die Chemie der Bakterien, so dass sie nur in einer ganz bestimmten, künstlichen Umgebung überleben können, die sie nur im Labor finden. In diesem Paralleluniversum ist alles vorhanden, was sie zum Überleben brauchen. In unserem Universum dagegen würden sie nicht überleben.

Wie das Ganze praktisch aussieht, führten kürzlich die Wissenschaftler um den Berliner Biochemiker Nediljko Budisa und dem französischen Biologen Philippe Marlière im Exzellenzcluster UniCat (Unifying Concepts in Catalysis) vor: Sie brachten Thermoanaerobacter thermohydrosulfuricus dazu, alle Prolin-, Phenylalanin- und Tryptophanreste in einem Enzym durch ihre nichtkanonischen, fluorierten Gegenstücke zu ersetzen (Chem Bio Chem 2010, 11:1505-7). Dies erreichten die Wissenschaftler, indem sie den Bakterien eine Nährlösung mit den veränderten Aminosäuren anboten, in welcher die Zellen nach mehreren Generationen und zahlreichen Mutationen schließlich wuchsen. Sie waren codonemanzipiert. Die Emanzipation ging so weit, dass die modifizierten Bakterien genetisch von natürlichen Spezies isoliert waren – die Chemie zwischen ihnen stimmte nicht mehr – und dass sie ohne die nicht-natürlichen Aminosäuren nicht überleben konnten.

Angetrieben wurden Budisa und Marlière von der Idee, durch den Einbau mehrerer nichtkanonischer Aminosäuren ein multifunktionales Protein herzustellen. Bisher hatte man nur rekombinante Proteine mit einer neuen Eigenschaft hergestellt – wie Fluo­reszenz oder Faltung, oder Einfügen von Konjugationsgruppen für spätere Proteinmodifikationen – indem man sie mit einer nichtkanonischen Aminosäure ausstattete. Budisa und Marlière jedoch argumentierten, dass bevorzugte Konformationen oder enzymatische Aktivität auch erst durch die Aufsummierung der Effekte verschiedener Aminosäuren zustande kämen. Durch Kombination von Stoppcodon-Suppression und Aminosäuren-Neuzuordnung zu vorhandenen Codons kamen die Forscher ans Ziel.


Genetische Werkzeuge

Was genau haben sie gemacht?
Der genetische Code ist für alle Lebewesen gleich. Vier Nukleobasen stehen zur Verfügung, um als Basentripletts (Codons) für die 20 kanonischen Aminosäuren zu codieren, welche die Grundausstattung für die Synthese sämtlicher Proteine bilden. Insgesamt gibt es 64 verschiedene Nukleobasen-Triplett-Kombinationen. Die meisten Aminosäuren werden daher durch mehrere Codons codiert. In der Natur gibt es jedoch Hunderte von Aminosäuren, und sollte das immer noch nicht reichen, werden im Labor künstlich weitere hergestellt, etwa durch Modifikationen der Seitenketten der kanonischen Aminosäuren. Durch Einbau der synthetischen Aminosäuren können die Eigenschaften von Proteinen gezielt verändert werden (synthetische Biologie).

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den genetischen Code zu verändern. Die Radikalste wäre, das komplette genetische Universum neu zu erfinden und direkt auf DNA-Ebene einzugreifen, indem man zu dem Nukleobasen-Quartett weitere Basen hinzufügt, so dass etwa sechs statt der bekannten vier zur Verfügung stehen, um für Aminosäuren zu codieren. Oder man tauscht gleich alle Nukleobasen aus. Dies zieht allerdings nach sich, dass auch neue Polymerasen entwickelt werden müssten, welche die neuen Basen erkennen und in Protein übersetzen können.

Eine andere Methode ordnet vorhandenen Codons neue, nichtkanonische Aminosäuren zu, um so Proteine mit neuen aufregenden Funktionen zu kreieren (genetic code engineering). Das ist keine blanke Theorie, denn auch der genetische Code ist flexibel. Das wurde auf Nukleinsäureebene bereits in den 1990ern bewiesen (S. Osawa et al., Microbiol Rev 1992, 56:229-64).

Solche Recodierungen findet man in Zellen, die Suppressor-tRNAs enthalten, welche Stoppcodons in einem bestimmten Sequenzkontext überlesen können und so deren Terminationsfunktion unterdrücken. Bei der in vitro-Translation nutzt man chemisch oder enzymatisch fehlacylierte Suppressor-tRNAs (Nonsense oder Frameshift-aminoacyl-tRNAs (aa-tRNAs) als Adaptoren, um die Translation zu manipulieren. Die fehlacylierten tRNAs tragen eine nicht zu ihrem Anticodon passende Aminosäure, welche sie als Antwort auf Nonsense-, Missense-(Veränderung des Leserasters) oder Frameshifting-Mutationen einbauen (Raymond Gesteland et al., Annu Rev Biochem 1996;65:741-68).

In lebenden Zellen müssen zudem zusätzlich zu den chemisch fehlacylierten tRNAs passende Aminoacyl-tRNA-Synthetasen (AaRS) erzeugt werden, welche die jeweilige nichtkanonische Aminosäure spezifisch erkennen und auf eine zugehörige tRNA laden können.

Es ist also möglich, den vorhandenen Basentripletts neue Aminosäuren zuzuordnen. Dabei bieten sich Stoppcodons an, denn diese werden nicht, wie die übrigen Codons, von einer tRNA beziehungsweise ihrem Anticodon erkannt („decodiert“), sondern von sogenannten Release-Faktoren, in Prokaryoten RF1, RF2 und RF3. RF1 erkennt die beiden Stoppcodons UAA und UAG. Würde man also RF1 herunterregulieren, so würde die Translation an UAA oder UAG nicht stoppen. Der Zelle bliebe dann noch das dritte Stoppcodon, UGA, um ordentliche Proteine bauen zu können.

Budisa et al. hatten mit der Herstellung fluorierter Teflon-Proteine angefangen, um das Prinzip zu überprüfen. Nun stehen die Türen offen für die Herstellung völlig neuer Proteine mit bisher unbekannten Eigenschaften. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.






Letzte Änderungen: 14.09.2011