Editorial

Virus-Stempeln

von Melanie Erzler (Laborjournal-Ausgabe 4, 2018)


Stichwort

Schon seit den achtziger Jahren werden virale Vektoren als Genfähren eingesetzt, um fremdes Genmaterial in Zellen einzuschleusen. Insbesondere in den Neurowissenschaften wird es allerdings immer wichtiger, gezielt das Genom spezifischer Zellen verändern zu können, um deren Funktionalität innerhalb des neuronalen Netzwerks zu untersuchen. Zielgerichtet einzelne Zellen genetisch zu manipulieren, ist jedoch auch mit anderen herkömmlichen Verfahren wie Elektroporation oder Whole-Cell-Recording sehr anspruchsvoll. Umso schwieriger wird es, wenn diese Zellen auch noch in tiefer liegenden Geweben oder gar in vivo vorliegen.

Forscher um Botond Roska vom Basler Friedrich-Miescher-Institut hatten den Plan, eine einfache Technik zur Transduktion einzelner Zielzellen in vitro und in vivo zu entwickeln. Diese sollte indes nicht nur mit verschiedenen viralen Vektoren und Zelltypen durchzuführen sein, sondern darüber hinaus die gleichzeitige Infektion einzelner Zellen mit verschiedenen Viren erlauben. Heraus kam das „Virus-Stempeln“, welches das Team kürzlich in Nature Biotechnology vorstellte (36: 81-7).

Das Prinzip des Virus-Stempelns ist eigentlich ganz einfach: Als sogenannter Stempel dient eine beschichtete Glaspipetten-Spitze, die den viralen Vektor in physischen Kontakt zur Zielzelle bringt – ihr diesen sozusagen aufstempelt. Über die Bindung von Oberflächenproteinen gelangt das Virus dann in die Zelle.Je nach Lage der Zellen gibt es zwei verschiedene Vorgehensweisen: Soll das Virus in eine oberflächliche, gut erreichbare Zelle eingebracht werden, wird es an die Spitze der Glas­pipette gebunden – das sogenannte unabgeschirmte Stempeln; ist dagegen tiefer liegendes Gewebe das Ziel, bindet man den viralen Vektor an ein magnetisches Nanopartikel, das innerhalb der Glaspipette schwimmt. So wird er gegen ein vorzeitiges Abstreifen an anderen Zellen abgeschirmt. Nachdem die Glaspipette die gewünschte Zielzelle erreicht hat, wird das Nanopartikel samt Virus mittels eines Elektromagneten aus der Spitze herausgezogen und in Kontakt mit der Zelle gebracht.

Einsam erleuchtet

Die Basler testeten für ihre Zwecke zunächst behüllte Lenti- und Rabiesviren. Zur Verankerung der negativ geladenen Viren an die Glaspipette erwies sich das kationische Polymer AEEA als besonders geeignet. Auf diese Weise blieb das Virus in Flüssigkeit an der Oberfläche haften, ging aber nach einem Stempel-Zielzell-Kontakt von der Pipette auf die Zelle über.

Um den Gentransfer sichtbar zu machen, transduzierten die Forscher die DNA der fluoreszierenden Proteine tdTomato und GFP. Erfolgreich waren sie zunächst mit Zellkulturen, Hirnschnitten und Retina. Auch konnten sie unterschiedliche Viren in eine Zelle übertragen, was eine Ko-Expression verschiedener Gene in einem Schritt erlaubt. Und es wurden tatsächlich neuronale Netzwerke sichtbar: Nach der Transduktion eines einzelnen Neurons „wanderte“ das fluoreszierende Protein in die synaptisch verbundenen Neurone weiter.

Um Gene auch in spezifische Zellen lebender Mäuse einzuschleusen, kam das abgeschirmte Stempeln zum Einsatz. Durch ein kraniales Fenster setzten Roska und Co. die Glaspipette am visuellen Cortex an und positionierten den Elektromagneten vor der Nase der anästhesierten Maus. Um dort die Zellkörper sichtbar zu machen, nutzten sie ein Schatten-Bildgebungsverfahren, das diese im 2-Photonen-Mikroskop als dunkle Schatten erscheinen lässt. Nach einigen Tagen sahen sie die Zielzelle sichtbar leuchten – und konnten zudem über verschiedene Experimente zeigen, dass deren Funktionalität weiterhin erhalten blieb.

Auch was für die Gentherapie?

Das Virus-Stempeln eröffnet nun die Möglichkeit, in Transduktionsexperimenten deutlich geringere Virus-Titer als bisher einzusetzen, da die viralen Vektoren konzentriert an der Spitze der Glaspipette vorliegen. Dies hilft nicht nur bei der Herstellung der Genfähren, sondern könnte gleichzeitig auch für „sanftere“ Immunantworten des Zielorganismus sorgen – was gerade im Hinblick auf mögliche Anwendungen in der Gentherapie ein Vorteil wäre.

Die Effizienz der Methode liegt derzeit bei zwanzig Prozent, und ist damit in etwa vergleichbar mit den bisherigen Methoden. Ein großer Fortschritt ist jedoch vor allem die Spezifität, mit der einzelne Zellen auch in komplexen Geweben genetisch manipuliert werden können. Die visuelle Ansteuerung der Zielzellen macht es außerdem möglich, Zellpopulationen zu verändern, für die es keine genetischen, sondern nur morphologische Marker gibt.



Letzte Änderungen: 04.04.2018