Editorial

Amphisomen

von Juliet Merz (Laborjournal-Ausgabe 10, 2020)


(12.10.2020) Die Autophagozytose ist ein mehrstufiger Prozess, bei dem die Zelle ihren eigenen Hausmüll entsorgt. In einem der ersten Schritte umschließt diese mit einer Membran Teile ihres Zytosol, das dann vollgepackt ist mit abzubauenden Proteinen, Molekülen und mehr. Es entsteht ein Autophagosom. Das Vesikel fusioniert anschließend mit einem Lysosom, das abbauende Enzyme enthält, und bildet ein sogenanntes Autolysosom, das die enthaltenen Bestandteile schlussendlich verdaut. Allerdings kann sich das Autophagosom auch mit einem Endosom vereinen. Das daraus entstehende Vesikel nennen Zellbiologen Amphisom – unser heutiges Stichwort.

Bereits 1988 waren die beiden Autophagie-Forscher Paul B. Gordon und Per O. Seglen vom Norwegian Radium Hospital in Oslo auf das Zwischenorganell gestoßen und hatten ihm zu seinem Namen verholfen (Biochem. Biophys. Res. Commun. 151(1): 40-7).

Sie hatten damals Lactose mit radioaktiven 14C-Atomen markiert, in das Zytosol von isolierten Ratten-Hepatozyten eingeschleust und dessen Abbau mitverfolgt. Zusätzlich gab das Forscher-Duo für den Lactose-Abbau das Enzym ß-Galactosidase in das Medium hinzu. Dieses internalisierten die Zellen mittels Endozytose, die Lactose wurde in Autophagosomen verfrachtet. Der Clou an dem Experiment war die Zugabe von Asparagin und dem Chemotherapeutikum Vinblastin. Denn die beiden Zusätze blockieren die Fusion von unterschiedlichen Vesikeln, womit die Autoren mitverfolgen konnten, welchen Weg die Lactose und ihr Abbau-Enzym in der Zelle beschritten.

Als Gordon und Seglen die Hepatozyten schließlich mit beiden Zusätzen gleichzeitig inkubierten, folgte die Überraschung. Der Abbau-Weg war an einer bislang unbekannten Stelle gestoppt. Die Daten zeigten ein Vesikel, das noch nicht mit einem Lysosom verschmolzen war, aber auch kein Autophagosom mehr sein konnte. Denn es enthielt sowohl die Lactose als auch die durch Endozytose aufgenommene ß-Galactosidase – und Autophagosomen sind per Definition mit noch keinem Vesikel fusioniert. Gordon und Seglen hatten ein neues Zwischenorganell entdeckt, das sie Amphisom tauften.

Die beiden US-amerikanischen Mikrobiologen Alexsia L. Richards und William T. Jackson vom Medical College of Wisconsin fanden Jahre später heraus, dass Viren den Autophagie-Prozess und somit auch die Amphisomen kapern und beeinträchtigen können, um sich zu vermehren. Besonders RNA-Viren wie das Dengue- und Hepatitis-C-Virus scheinen sich den zellulären Abbau-Prozess zunutze zu machen.

Richards und Jackson veröffentlichten 2012 eine Reihe von Experimenten mit Polioviren und HeLa-Zellen (PLoS Pathog. 8 (11): e1003046). Ihre Ergebnisse waren überraschend, denn normalerweise hemmen Krankheitserreger die Abbau-Prozesse der infizierten Zellen, um sich selbst davor zu schützen und den Wirt so lange wie möglich am Leben zu halten, ohne dass dieser sein Apoptose-Programm startet.

Das Rollen-Rätsel

Die Mikrobiologen stellten aber fest, dass Polioviren die Autophagie in Zellen stark ankurbeln. Besonders das Amphisom scheint bei der Viren-Vermehrung eine entscheidende Rolle zu spielen. Das Vesikel hat durch die Fusion von Autophagosom und Endosom ein saures Lumen, vermutlich verursacht durch vakuoläre ATPasen, die vom Endosom mitgebracht werden. Richards und Jackson zeigten, dass das saure Zellkompartiment die Kapsidproteine des Virus spaltet, um infektiöse Viren zu erzeugen. Allerdings scheint der Autophagie-Prozess für die Virenproduktion nicht essenziell zu sein, schreiben die Autoren. Dennoch waren Forscher lange Zeit davon ausgegangen, Polioviren vermehrten sich ausschließlich zytosolisch.

Trotz dieser spannenden Befunde blieb lange Zeit ein Rätsel, ob es sich bei dem Amphisom wirklich nur um ein Zwischenorganell handelt, das keinerlei zelluläre Rolle übernimmt. Die beiden Neurobiologen Anna Karpova und Michael R. Kreutz vom Leibniz-Institut für Neurobiologie in Magdeburg konnten diese Jahr gemeinsam mit Kollegen aus Magdeburg, Hamburg und Cambridge Licht ins Dunkle bringen. Sie untersuchten in Zellkultur- und Maus-Studien, wie bei der Kommunikation zwischen Nervenzellen Signalmoleküle transportiert werden (Nat. Commun. 10: 5448). Ihr Augenmerk legte die Gruppe auf den Wachstumsfaktor BDNF (Brain-derived Neurotrophic Factor) und dessen Rezeptor TrkB (Tropomyosin Receptor Kinase B). Die BDNF/TrkB-Signalübertragung ist für eine Vielzahl von neuronalen Funktionen erforderlich, einschließlich Neurotransmission und synaptischer Plastizität. Während der Bindung wird der Komplex in vesikuläre Kompartimente internalisiert und weitergeleitet, es entsteht ein sogenanntes Signalendosom – dachte man lange Zeit.

In Wahrheit handelt es sich dabei aber um ein Amphisom, wie Karpova, Kreutz und Co. jetzt herausgefunden haben. Sie zeigten, dass auf dem Weg vom Axon zum Soma die Amphisomen plastische Prozesse regulieren, die die Effizienz der synaptischen Neurotransmission erhöhen. Die Amphisomen transportieren also gleichzeitig Proteinmüll und Signalmoleküle – die Zelle verbindet quasi die Hauspost mit der Müllabfuhr.

In nichtneuronalen Zellen reifen Amphisomen eigentlich schnell zu Autolysosomen. Bei Neuronen hingegen werden (abzubauende) Proteine an den Axonen aufgenommen und müssen dann erst mal durch die ganze Zelle zum Zellkörper befördert werden, bevor dort in Lysosomen das letzte Stündlein für sie geschlagen hat. In Axonen sind Lysosomen hingegen (wenn überhaupt) nur in ganz geringen Mengen vorhanden.

Die Forscher konnten außerdem zeigen, dass bei dem Prozess das Rap-GTPase-aktivierende Protein SIPA1L2 einen wichtigen Part einnimmt, indem es das Amphisom an den Motorprotein-Komplex Dynein koppelt. Verhaltenstests mit sipa1l2-Knockout-Mäusen zeigten, dass die Transportprozesse gestört sind, wodurch die Tiere schlechter lernen.

Das Amphisom ist demnach also kein Aufgaben-loses Zwischenorganell, sondern beeinflusst das Zellleben mehr als Forscher anfangs gedacht hatten.



Letzte Änderungen: 12.10.2020