Editorial

Borgs

von Juliet Merz (Laborjournal-Ausgabe 10, 2021)


(12.10.2021) Beim Namen Borg klingelt‘s bei eingefleischten Star-Trek-Fans. In dem Science-Fiction-Universum sind Borgs eine Gruppe kybernetischer Außerirdischer (Mischwesen aus biologischem Organismus und Maschine), die andere Spezies und ihre Technologien assimilieren. Sie nehmen dabei Wissen, Erfahrungen und Kulturen auf und fügen diese im Streben nach Perfektion einem kollektiven Bewusstsein zu. Und was hat das nun mit Biologie zu tun?

Kürzlich fand ein Forschungsteam um die Geomikrobiologin Jillian Banfield von der University of California in Berkeley rätselhafte DNA-Strukturen, die ein ähnliches Verhalten wie die Star-Trek-Borg an den Tag legen: Die Sequenzen spüren scheinbar Gene von Mikroorganismen in ihrer Umgebung auf und assimilieren diese. Die Gruppe veröffentlichte einen Preprint auf bioRxiv, an dem auch die CRISPR-Mitentdeckerin und Nobelpreisträgerin Jennifer Doudna mitgeschrieben hat (doi: 10.1101/2021.07.10.451761).

Die entdeckten Borg-Nukleinsäuren sind linear, mit einem Umfang von bis zu einem Mega-Basenpaar ziemlich lang und enthalten für die Transkription wichtige Gen-Elemente, wie Replikon-Strukturen sowie invertierte Long Terminal Repeats (LTR). Die Gruppe um Banfield hatte aus Feuchtgebieten in Kalifornien und Colorado zuerst vier dieser rätselhaften Gen-Strukturen herausgefischt und dann anschließend in ihren metagenomischen Datensätzen nach ähnlichen Kandidaten gesucht. Insgesamt konnten sie so 19 unterschiedliche Borgs gewinnen.

Archaeon oder Nicht-Archaeon?

Die in den Borgs enthaltenen Gene sind zwar mehrheitlich unbeschrieben, die aus den Sequenzen vorhergesagten Proteine stimmen aber zu circa 21 Prozent mit Proteinen von Archaeen überein; die größte Übereinstimmung gab es mit den anaeroben methanotrophen Vertretern der Gattung Methanoperedens. Dass es sich bei den Borgs um Genomteile von Archaeen handelt, schließen Banfield und ihre Kollegen aber aus. Der Grund: In den DNA-Sätzen fehlen essenzielle Gene (zum Beispiel für ribosomale Proteine), auf die sogar obligate Symbionten nicht verzichten können. „Somit sind sie eindeutig weder Teil des Methanoperedens-Genoms noch Teil des Genoms anderer Archaeen“, schlussfolgern die Autoren.

Getauschte Helfer

Die gefundenen Borgs zählen damit zur Gruppe extrachromosomaler Elemente (ECEs), die Mikroben gerne untereinander austauschen, die aber nicht zu ihrem primären Erbgut gehören. ECEs enthalten nicht-essenzielle, dafür aber teilweise äußerst nützliche Gene wie beispielsweise für Antibiotikaresistenzen.

Und auch die Borgs tragen wertvolle Nukleinsäure-Sequenzen. Zum Beispiel für Cluster von Multihäm-Cytochromen, die potenziell die Redox- und Atmungskettenkapazität verbessern. Banfield und Co. vermuten, dass die Borg-Gene ihrem Träger die Fähigkeit verleihen, besser auf sich ändernde Umweltbedingungen zu reagieren.

Besonders spannend ist außerdem der mögliche Einfluss der Borg-Gene auf die Methan-Oxidation. Methan ist ein extrem potentes Treibhausgas, Methan-oxidierende Mikroorganismen (wie Methanoperedens) können den Austritt in die Atmosphäre jedoch abschwächen. Die Borgs enthalten Gene für die Methan-Oxidation, zum Beispiel die Methyl-Coenzym-M-Reduktase, womit sie die Kapazität des Stoffwechselweges erhöhen und damit eine bislang unbekannte Rolle bei der Kontrolle von Treibhausgas-Emmissionen spielen könnten, vermuten die Autoren.

Aber woher stammen die Borgs überhaupt? Banfield und ihre Kollegen können hier bislang nur spekulieren. „Wir können weder beweisen, dass es sich um Archaeenviren, Plasmide oder Minichromosomen handelt, noch können wir beweisen, dass sie es nicht sind“, schreibt die Gruppe. Hinweise auf ihren Ursprung fanden sich jedoch in den Borg-Genen. Demnach könnten die Borgs einst ganze Mikroben gewesen sein, die wiederum von Methanoperedens assimiliert wurden – analog den Regeln der Endosymbiontentheorie für Mitochondrien und Chloroplasten. Methanoperedens-Bakterien scheinen übrigens ein äußerst enges Verhältnis zu den Borgs zu haben. Die von Banfield et al. ausgewerteten Daten lassen vermuten, dass die Borgs ein symbiontisches Verhältnis aufbauten, nachdem sie Gene verloren hatten. Die Gruppe vermutet, dass die verschiedenen Borgs dazu neigen, mit verschiedenen Methanoperedens-Arten zu assoziieren.

Abseits der Ursprungsfrage sind sich Banfield und ihr Team allerdings sicher: „[Borgs unterscheiden] sich deutlich von allem, was bisher beschrieben wurde.“

Andere Wissenschaftler sind da skeptischer. Borgs würden riesigen linearen Plasmiden ähneln, die die Fachwelt bereits aus Actinobakterien kennt, meint der argentinische Mikrobiologe Julián Rafael Dib im Interview mit Nature (595: 636). Und auch der US-amerikanische Systembiologe Nitin Baliga mahnt im selben Interview zur Vorsicht: Wenn Forscher Fragmente vieler Genome durchsiebten und zusammensetzten (wie es Banfields Team getan hat), können fehlerhafte Ergebnisse entstehen. Der Nachweis von Borgs in kultivierten Methanoperedens sei notwendig, um die Ergebnisse zu bestätigen.

Doch nicht so besonders?

Banfield entgegnet, ihr sei bewusst, dass einzelne Merkmale der Borgs bereits in anderen ECEs gefunden wurden. Doch „die Größe, die Kombination und die metabolische Gene Load“ mache sie besonders, so die Geomikrobiologin im Nature-Text.

Übrigens: Die Idee für den Namen der DNA-Fragmente hatten weder Banfield noch jemand aus ihrem Team. Angeblich war es Banfields Sohn, der im Anschluss an die Erzählungen seiner Mutter über die assimilierenden Nukleinsäuren den Namen Borg während eines Thanksgiving-Essens 2020 vorschlug.