Gefühlte Bioforschung

Erlebnisse einer TA (135)

Maike Ruprecht


Editorial

Die TA

Meine letzte Schulpraktikantin nutzte nahezu jede freie Sekunde, um sich Notizen zu machen.

Das ist natürlich durchaus erwünscht, allerdings legte sie tatsächlich einen geradezu fanatischen Eifer an den Tag. Also fragte ich am zweiten Praktikumstag doch mal nach dem Grund.

„Ich soll zu meinem Bericht noch eine Gefühlsanalyse erstellen.“

Gefühlsanalyse? Das Wort alleine überraschte mich eigentlich nicht. Heutzutage wird ja alles „gefühlt“. Nicht mehr nur heiß und kalt oder wohl und schlecht, sondern auch das eigene Geschlecht. Und bisweilen entfremdet einen das dann vom genetischen Geschlecht, sonst wäre es ja nicht weiter erwähnenswert.

Nun ist das „Gefühl“ also auch in den Biowissenschaften angekommen.

Eine halbe oder ganze Textseite am Ende des Protokolls ist ja auch tatsächlich eine gute Idee. Gefällt mir die Arbeit oder nicht? Fühle ich mich wohl an der Uni? Könnte ich mir ein Studium als weiterführende Ausbildung vorstellen?

Editorial
Transformationsgefühle

Aber darum ging es gar nicht.

„Nein, eine Gefühlsanalyse der einzelnen Tätigkeiten, was wir so gemacht haben“, klärte sie mich auf.

Im Ernst?

In den zwei Wochen ihres Praktikums hatten wir vor allem das Standardprogramm absolviert: PCR, Restriktion, DNA-Präps,... – was eben so zur Basisarbeit gehört.

Was empfindet man dabei? Vielleicht denke ich als erfahrene TA ja tatsächlich zu wenig darüber nach.

Also verfasste ich im Stillen mal selbst eine spontane Gefühlsanalyse unserer heutigen Tätigkeit, einer Plasmidtransformation in kompetente E. coli:

„Die Bakterien aus ihrem eisigen Tiefschlaf zu erwecken, wie einst der Prinz das schlafende Dornröschen, hat mich sehr froh gemacht. Ich konnte das Aufatmen der geknechteten Kreaturen förmlich in meinem ganzen Körper reflektieren. Ihren Hunger nach dem langen Kälteschlaf stillten wir mit einem halben Milliliter Nährmedium, hernach begannen sie frohgemut sich zu teilen, wobei sie großmütig unser Plasmid amplifizierten. Dies erfüllte mich mit Dankbarkeit und Bewunderung. So kleine Kerlchen leisten so Großes für die experimentierende Menschheit“.

Super, oder?

Bakteriengeschlechter

Für diesen einfühlsamen Bericht würde ich mindestens eine 2 kriegen...

Zugegeben, im wirklichen Laborleben bin ich weniger rührselig, sondern eine TA, die eher gar nicht an die Gefühle von Bakterien denkt.

Zur Buße analysierte ich also gleich noch die Gefühle der anderen Seite. Sozusagen eine reverse Gefühlsanalyse. Wo ich mich schon mal warmgefühlt hatte.

„Boa geil, ich hab ein Plasmid gefunden! Sogar mit Resistenzkassette. Schick! Das behalte ich gleich mal, dann kann ich es in zwanzig Minuten meinen Tochterzellen vererben.“

Nach dieser Analyse kam mir komischerweise noch der Gedanke, welche Geschlechter es bei E. coli eigentlich gibt. Sind das Bakteria, Bakterier oder Bakterier*Innen? Doch sogleich meldete sich mein Verstand: „Gar keins, mit so etwas halten die sich gar nicht erst auf.“

Und wie viele „gefühlte“ Geschlechter die Colis haben, will ich gar nicht erst wissen. Irgendwie geht mich das auch nichts an.



Letzte Änderungen: 11.03.2020