Editorial

Ruhe vor dem Sturm

Erlebnisse einer TA (6)

Annette Tietz


Die TA

Wenn man morgens ein bis zwei Stunden alleine im Labor verbringt, kennt man sicher auch die Kommentare: „Morgens muss es ja wahnsinnig ruhig ein, wenn keiner durchs Labor rennt und man ganz alleine vor sich hin arbeitet...“

Meistens trifft das auch zu, und das ist auf jeden Fall einer der Vorteile des Frühauftstehens. Es gibt aber leider auch die anderen Tage, an denen man sich um zehn Uhr fragt, was man eigentlich die letzten zwei Stunden gemacht hat. Weder die FACS-Färbung noch die Zellkulturarbeiten zeigen irgendeinen Fortschritt. Das kommt daher, dass der vermeintlich ruhige Tagesbeginn durch ständige Telefonanrufe, Serviceleute oder unerwarteten Besuch gestört wird. So wie neulich ...

Der Tag fing gut an ...

Der gute Vorsatz »möglichst zügig die Zellen präparieren, färben und waschen« wurde schon kurz nach Arbeitsbeginn zunichte gemacht: Das Radio dudelte mich fröhlich an, ich wurschtelte vor mich hin, als ein netter junger Mann in Radlerhosen vor mir stand und nach meiner Kollegin fragte. Warum steht plötzlich ein in voller Montur eingekleideter Radsportler morgens im Labor? Völlig erstaunt schaute ich ihn von oben bis unten an. Er wurde etwas rot, scheinbar wird er sonst nicht so eindringlich betrachtet… Meine Kollegin war noch nicht da, so fragte ich den Radler, ob ich vielleicht etwas ausrichten kann? – Äh, nein, ich hätte da eher eine Lieferung für ihn, meinte der mittlerweile auch etwas verwirrte Sportler. Dann reichte er mir einen großen Umschlag mit den Worten: und hier bitte unterschreiben und schauen Sie vielleicht gleich nach, ob die Lieferung auch nicht beschädigt ist.

Gefährliches Postgut

„Richtig geschäftstüchtig“, dachte ich und machte den Umschlag auf. Ich schaute wahrscheinlich genauso erstaunt auf den Inhalt wie er. Ich, weil ich statt einer sexy Radlerhose ein paar Primer entdeckte und er, weil er noch nie vorher gesehen hatte, was er den ganzen Tag durch die halbe Stadt spazieren fuhr. Was das denn sei, frug er mich. Gute Frage, wie soll ich ihm jetzt erklären, dass man die Dinger braucht, um eine Gensequenz vom 3´- und 5´-Ende zu synthetisieren? Gerade als ich Luft holen wollte, sprudelte er dazwischen: „Ist das gefährlich?“. Da konnte ich ihn beruhigen. Zufrieden mit der Aussicht, ungefährliche Sachen spazieren zu fahren, wünschte er mir noch einen schönen Tag und klapperte mit seinen Fahrradschuhen den Gang entlang. Gerade als ich mein Gehirn dazu zwingen wollte, sich gefälligst daran zu erinnern, womit ich vor dem sportlichen Besuch beschäftigt war, klingelte das Telefon.

Zentrifuge im Sitzstreik

Es war ein Anruf für einen Kollegen. Mit einem Post it über den Gang wuselnd erwischte mich die Sekretärin: „Annette, da ist ein Servicetechniker da, wegen der Zentrifuge.“ Zentrifuge? Ich wedelte wie wild mit dem Post it am Finger umher, um dem Techniker klar zu machen, dass ich kurz weg müsse und gleich wieder da sei. Unterdessen fragte ich mich, um welche Zentrifuge es sich eigentlich handeln soll? Der Techniker wusste nur, dass da was locker sein soll?

Im Hintergrund hörte ich wieder das Labortelefon klingeln. Aber bevor ich das Risiko einging, den Techniker in die Flucht zu schlagen, wenn ich ihn schon wieder vertröstete, tat ich so, als würde ich es nicht hören, und wir machten uns auf die Suche nach dem Corpus Delicti. Wir fanden letztendlich die Zentrifuge, die sich mittlerweile in Arbeitsstreik begeben hatte. Als mir der Servicemann gerade erklärte, dass ich da noch was unterschreiben müsse, drückte mir jemand ein Päckchen in die Hand: „Das muss wohl für euch sein..“ Also habe ich erst mal den Päckcheninhalt auf Wohlfühltemperatur gebracht und bin wieder ins Labor gepilgert.

Was wollte ich eigentlich machen? Ach ja, da fiel es mir wieder ein: arbeiten… Weit kam ich allerdings nicht, denn der Techniker gab mir noch eine kurze Einführung, wie ich in Zukunft unsere in die Jahre gekommene Zentrifuge behandeln solle und dass ich das auch an meine Mitarbeiter weitergeben müsse. Und dann durfte ich ihm noch ein Autogramm geben. Ich versuchte meine Zellen dazu zu überreden, es mir nicht übel zu nehmen, dass ich sie solange hatte sitzen lassen, als meine Kollegin ins Labor kam und bemerkte, dass es ja morgens ganz schön ruhig sei im Labor. Es fehlte eigentlich nur noch die Frage, ob es denn morgens nicht ein bisschen langweilig wäre...



Letzte Änderungen: 01.08.2018