Editorial

Frühjahrsputz

Erlebnisse einer TA (54)

Annette Tietz


Die TA

In unserem Labor machte sich neulich Unordnung der besonderen Art breit, und das mit gutem Grund (jawohl!): Wir bekamen eine neue Kollegin. Zunächst musste der Laborrat tagen, um den am wenigsten ungeeigneten Platz für die Neue ausfindig zu machen. Unsere Wahl fiel auf den Tisch neben der Analysenwaage, der im Laufe der Zeit immer mehr von Abwäge-Utensilien eingenommen wurde. Den galt es nun freizuräumen und für die ganzen besitzerlos herumliegenden Flaschen, unbeschrifteten Röhrchen und sonstigen Gegenstände ein neues Zuhause zu finden.

Kampf den Wollmäusen

So eine Aktion hatte ja auch ihr Gutes: Endlich wurde mal wieder Staub gewischt. Sagte ich „Staub“? Ganze Wollmausarmeen kamen zum Vorschein, eine wahre Wollmausinvasion war das. Wir tauschten finstere Blicke aus, krempelten die bis jetzt noch tadellos weißen Ärmel unserer Laborkittel hoch und machten uns an die Arbeit. Als erstes wollten wir uns bis zur Tischoberfläche durcharbeiten, bevor wir uns an die Neueinrichtung machten.

Schon der erste Vorstoß brachte Unbekanntes ans Tageslicht. „Wozu braucht man das?“ fragte eine Kollegin und hielt einen gebogenen Glasstab hoch. Große Fragezeichen schwebten über unseren Köpfen. Wir räumten das außerirdische Ding erstmal unter den Abzug – vielleicht fiel später jemandem eine originelle Verwendung dafür ein.

„Was macht man mit einer Flasche mit farbloser Flüssigkeit, die nicht beschriftet ist?“ Ich stellte mir vor, wie der Referent für Laborsicherheit ein rotes Gesicht bekam. Wahrscheinlich wäre schon beim Anblick des Wollmausvolkes Dampf aus seinen Ohren geschossen. Oder er hätte die weiße Fahne gehisst und unser Labor schlicht zur Sperrzone erklärt. Noch immer musterten drei Augenpaare die farblose Flüssigkeit. Wasser? Desinfektionslösung? Alkohol? Wir stellten also auch die Flasche unter den Abzug, und im Verlauf der nächsten Stunde gesellten sich noch allerhand andere dazu.

Den Platz für die Analysenwaage verkleinerten wir ein Stück und klebten ein buntes Klebeband als Absperrung zum neu geschaffenen Arbeitsplatz, das wir mit „Do not cross!“ beschrifteten. Hoffentlich können Wollmäuse englisch.

Wir fanden noch weitere Gegenstände, die wir noch nie zuvor gesehen hatten, und sortierten beherzt nach „brauchen wir noch“ und „keine Ahnung, wozu wir das brauchen könnten“ und „Abzug“.

Als wir die unterste Schublade öffneten, kamen eine Menge unterschiedlicher Bonbons und Kaugummiverpackungen zum Vorschein, alle mit einem Verfallsdatum jenseits der Vertragslauflänge der jetzigen Laborbewohner. Mit Unschuldsmienen beseitigten wir die vorgefundenen Beweise sicherheitshalber.

Unzählige Wollmausfunde später stellten wir zufrieden fest, dass sich die Aufräumaktion gelohnt hatte. Spatel und Wägeschälchen, von deren Existenz zwar so manche Laborlegende berichtete, an die wir jedoch nie richtig geglaubt hatten, stapelten sich ordentlich neben der Waage; die Justier-Luftblase am hinteren Teil der Waage schwebte erstmals seit langer Zeit wieder in der Mitte des Kreises.

Friedhof der Plüschtiere

Als letzte Amtshandlung räumten wir noch sämtliche Schubladen des Labors auf. Dabei fiel mir wieder so ein Stofftier in die Hände, das mal ein Vertreter dagelassen hatte. Wenn so etwas nichts im Labor zu suchen hat, gibt es dann irgendwo einen Stofftierfriedhof, wo die alle ihre letzte Ruhe finden?

Vielleicht sollte ich den netten Laborsicherheits-Referenten noch mal kontaktieren und ihm bei dieser Gelegenheit den neuen, absolut sicheren und den Vorschriften entsprechenden Arbeitsplatz zeigen. Natürlich würden wir uns vorher alle abschminken und eine Reihe von Handcremetuben Aufmerksamkeit heischend bereitstellen.

Er wäre sicher stolz auf uns gewesen. In Anbetracht der Flaschensammlung und zahlreicher unidentifizierbarer Objekte unter dem Abzug zogen wir es jedoch vor, unseren Triumph in kleiner Runde zu feiern.



Letzte Änderungen: 01.08.2018