Editorial

Flachbandkabelbruch

Erlebnisse einer TA (153)

Maike Ruprecht


Die TA

Hinter meinem Rücken drängeln sich vier Kollegen und beobachten, wie ich millimeterweise den Deckel eines Cyclers vorschiebe, an dessen Front ein grüner Lichtpunkt leuchtet. Die Spannung im Raum ist mit Händen zu greifen.

Ich komme mir vor wie ein Bombenentschärfer, der sich anschickt, den roten Draht zu durchtrennen, wohl wissend, dass dieser in wenigen Sekunden die Explosion auslösen könnte.

Dann überschlagen sich die Ereignisse.

Der Deckel nähert sich der kritischen Distanz, das Licht bleibt grün, schon hallt ein erleichterter Seufzer durch den Raum …, doch da erlischt das Licht.

Die Spannung entlädt sich in einem enttäuschten Seufzen.

Mein Publikum zerstreut sich wieder, und ich begebe mich schnurstracks zum Telefon.

Das Problem ist: Fünf Millimeter bevor der Deckel des Cyclers einrastet, erlischt das grüne Licht an seiner Vorderfront, welches die Verbindung mit dem Hauptrechner anzeigt. Und ohne Hauptrechner läuft auch kein PCR-Programm.

Wir betreten Neuland

Am Telefon beschreibe ich dem Techniker der Herstellerfirma die Symptome unseres Cyclers.

Stille am anderen Ende der Leitung.

„Hallo? Sind Sie noch dran?“, rufe ich in den Hörer.

„Von diesem Fehler höre ich zum ersten Mal.“

Ein Gefühl von Stolz steigt in mir auf. Wir sind Pioniere! Wir betreten Neuland. Na gut, genau genommen unser Cycler – aber wir haben ihn dorthin gebracht. Ob wir dafür eine Prämie bekommen? Wäre unser Cycler ein Mensch, dürften wir dieses Gebrechen jetzt außerdem benennen. Das ist Tradition.

Der Techniker meldet sich noch einmal.

„Hm, fünf Millimeter vor dem Einrasten, sagen Sie?“

„Grob geschätzt. Ausgemessen habe ich die Distanz nicht.“

„Könnte das Flachbandkabel sein.“ Diesen Begriff habe ich noch nie gehört – aber ich ahne, was er meint.

„Das flache, gestreifte Metallband, das hinten im Cycler verschwindet?“

„Genau. Das wird jedes Mal beansprucht, wenn Sie den Deckel auf und zu machen.“

Das könnte passen. Unsere Cycler müssen tatsächlich jeden Tag Höchstleistungen erbringen. Ein Flachbandkabelbruch entspricht also quasi einem Ermüdungsbruch bei Spitzensportlern. Doch während im Hochleistungssport eine Armada von Physios und Trainern dafür sorgt, dass die Sportler sich nicht über Gebühr belasten und die heiligen Sehnen auch Zeit zum Regenerieren bekommen, müssen unsere Cycler ohne jedwedes Trainingspersonal auskommen, werden demzufolge überlastet – und reißen sich die Sehnen ... äh, brechen sich die Flachbandkabel.

Wäre das am Ende meine Aufgabe als Technische Assistentin gewesen? Einen Einsatzplan für unsere Elektrogeräte zu erstellen, der nicht nur Trainings- und Einsatz-, sondern auch Regenerations- und Ruhezeiten berücksichtigt?

Auf jeden Fall kann die Firma jetzt einen neuen Fehler in ihren Katalog aufnehmen und wir dürfen diese Fehlfunktion benennen:

„Schleiffscher Flachbandkabelbruch“. Klingt doch gut!



Letzte Änderungen: 10.03.2022