Editorial

Tipp 161:
miRNA Detektion

Es kann nie schaden, wenn Biologen über den Tellerand schauen und sich etwas von den Chemikern abschauen. Selbst wenn es sich dabei um altbekannte Reaktionen handelt.

Tipp: miRNA Detektion

Micro-RNAs (miRNAs) sind kleine 19 bis 23 Nukleotide lange RNA-Moleküle, die im Zusammenspiel mit dem RISC-Proteinkomplex die Translation ihrer Ziel-mRNA inhibieren oder diese kurzerhand zerschneiden. Mehr als zwei Drittel der mRNAs in Säugerzellen beherbergen Zielsequenzen für miRNAs, entsprechend häufig sind miRNAs an der Expression von Genen beteiligt und spielen zum Beispiel eine Schlüsselrolle bei Zellentwicklung und Apoptose.

Die Expressionslevel von miRNAs kann man mit verschiedenen klassischen RNA-Techniken analysieren. Hierzu gehören neben dem dank miRNAs fröhliche Urstände feiernden Northern-Blot, Real-Time PCR, in-situ-Hybridisierung, Microarrays oder auch die erst seit einigen Jahren an die Detektion von miRNAs angepasste Rolling Circle-Amplifizierung (RCA).

Hunderte Kopien

Bei der RCA dient ein einsträngiger Oligonukleotid-Ring als Vorlage für die DNA-Polymerase Phi29. Ein Primer markiert den Startpunkt für Phi29, von dem aus sie um den Oligo-Ring rast, und den komplementären Strang synthetisiert. Kommt sie am anderen Ende des Ringes an, verknüpft sie die hergestellten Einzelstrangkopien miteinander und startet die nächste Syntheserunde. Als RCA-Produkt entsteht so ein linearer Einzelstrang der aus hunderten Kopien der ringförmigen DNA-Vorlage besteht.

Mit einem simplen Trick kann man die RCA für den Nachweis von miRNAs nutzen: statt eines geschlossenen DNA-Ringes verwendet man einen aufgeschnittenen. Die Bruchstelle „schient“ eine komplementäre miRNA, die an den Ring hybridisiert und als Primer für Phi29 dient. Gleichzeitig gibt man T4-Ligase zu, die die Bruchstelle wieder verbindet. Die Rolling Circle-Amplifizierung kann also immer nur dann ablaufen, wenn eine miRNA mit einer spezifischen Sequenz bindet. Das in diesem Fall gebildete RCA-Produkt weist man meist mit Fluoreszenz-Proben nach, die mit dem synthetisierten Einzelstrang hybridisieren.

Chemikerperspektive

Eric T. Kools Gruppe von der Stanford University, die als Vorreiter der Rolling Circle-Amplification gilt, hat kürzlich eine in verschiedener Hinsicht äußerst interessante Variante der miRNA-Detektion mit der RCA-Methode vorgestellt (Emily Harcout und Eric T. Kool, Nucleic Acids Research, 40, e65). Im Grunde hat Kool dabei nur die Vorgehensweise eines Biologen gegen die eines Chemikers getauscht. So ersetzt er im ersten Schritt der RCA die enzymatische Ligation der T4 Ligase durch die chemische Autoligation zweier funktioneller Gruppen (5‘-Iodid und 3‘-Phosphorthioat) an den Enden der ringförmigen DNA-Vorlage. Diese Reaktion verläuft äußerst spezifisch und ohne die Zugabe weiterer Reagenzien.

Alte Reaktion

Der Knüller an Kools Methode ist jedoch der Nachweis des gebildeten RCA-Produkts: Kools Truppe aus Stanford verwendet dazu die so genannte Staudinger-Reaktion, die der deutsche Chemiker und Nobelpreisträger Hermann Staudinger, der an der Universität Freiburg lehrte, bereits 1919 entdeckte.

Bei der klassischen Staudinger-Reaktion­ reagiert ein Azid mit einem Phosphan zu einem Amin. Fast hundert Jahre war diese äußerst spezifisch verlaufende Reaktion nur hartgesottenen Chemikern − zu dieser Sorte zählte auch Hermann Staudinger − ein Begriff. Erst um die Jahrtausendwende erkannten Biowissenschaftler, dass sich die Staudinger-Reaktion bestens für die Konjugation von Biomolekülen eignet, wenn man sie etwas modifiziert. Inzwischen ist die so genannte orthogonale Staudinger-Reaktion eine der angesagtesten Methoden, um Glykane, Lipide, DNA oder Proteine zu markieren.

Quenchen und Triggern

Doch zurück zu Eric Kools miRNA Detektionsmethode. Kool verwendet sequenzspezifische gequenchte Staudinger-getriggerte Fluoreszenz-Proben (Q-STAR-Proben) für den RCA-Nachweis. Das hört sich ziemlich wild und kompliziert an, das Prinzip ist aber einfach. Die Q-STAR-Probe bindet an das RCA-Produkt und wird durch ein integriertes Quenchermolekül daran gehindert zu fluoreszieren. Um den Quencher zu entfernen, lässt man eine Triphenylphosphin-Probe in unmittelbarer Nachbarschaft der Q-STAR-Probe an die entsprechende Sequenz hybridisieren. Die Q-STAR-Probe reagiert über eine orthogonale Staudinger-Reaktion mit dem Triphenylphosphin, wodurch sich der Quencher von der Q-STAR Probe löst und diese ein Fluoreszenzsignal aussendet.

An dieser ebenso eleganten wie spezifischen miRNA-Detektionsmethode hätte sicher auch Hermann Staudinger seine Freude gehabt, an dessen Grab auf dem Freiburger Hauptfriedhof der LJ-Redakteur jeden Tag auf dem Weg in die LRedaktion vorbei radelt.

Harald Zähringer






Letzte Änderungen: 11.07.2012