Editorial

Tipp 203: Aus Fehlern wird man klug

Irren ist menschlich, und wer arbeitet macht auch Fehler – dies gilt nicht zuletzt auch für Biowissenschaftler.

Fehler zu begehen, muss nicht negativ sein wenn wir bereit sind aus ihnen zu lernen und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Die Auseinandersetzung mit Fehlern hat schon in einigen Branchen, wie zum Beispiel in der Luftfahrt und Kerntechnik, zu beachtlichen Fortschritten geführt und diese deutlich sicherer gemacht.

In einem komplexen Umfeld, wie der experimentellen Grundlagenforschung, treten täglich eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Fehlern auf. Diese können die Qualität unserer Arbeit negativ beeinflussen, Materialien sowie Arbeitszeit verschwenden und Personen gefährden.

Erstaunlicherweise hat bisher niemand der Fehlervermeidung in der biomedizinischen Forschung Aufmerksamkeit geschenkt.

Vor diesem Hintergrund hat sich unsere Gruppe in der Experimentellen Neurologie an der Charité Berlin die Frage gestellt: Wie gehen wir mit Fehlern um, was können wir aus ihnen lernen und welche nützlichen Informationen sollten wir aus ihnen ziehen, um zukünftig systematische Fehler zu vermeiden?

Angst vor Fehlermeldung

Das Problem besteht jedoch darin, dass niemand gern eigene Fehler zugibt, aus Angst, sein Gesicht zu verlieren und bestraft zu werden. Um dieser Sorge entgegenzuwirken war es notwendig, Fehler anonym zu berichten.

Im Rahmen unseres Qualitätsmanagements (QM) haben wir ein strukturiertes Fehlermanagement aufgebaut. Dieses bestand anfänglich aus einem Formblatt, in dem Mitarbeiter anonym und handschriftlich an der Laborpinnwand Fehler eintragen und melden konnten.

Diese Methode erwies sich jedoch als nicht sehr erfolgreich. Wir stellten fest, dass diese Art der Fehlererfassung weder zweckmäßig noch vertraulich genug war. Die Mitarbeiter hatten Angst, ihre Identität preiszugeben und so ihren Job zu riskieren.

Es entstand deshalb die Idee, ein geeignetes, gut zugängliches, handhabbares und anonymes Online-Tool zu entwickeln, das von den Benutzern keinerlei persönliche Daten benötigt, so dass sie nicht zurück verfolgt werden können.

Auf dieser Grundlage entwickelten wir schließlich eine einfache, aber sehr effektive Open-Source-Software, und mit ihr ein anonymes Fehlermeldesystem für Labore, das wir LabCIRS (Critical Incident Reporting System) nannten. Es wurde in unserem multidisziplinären neurowissenschaftlichen Forschungsinstitut mit circa hundert Mitarbeitern implementiert und mittlerweile über zwei Jahre getestet.

Das Feedback und die Akzeptanz aller Mitarbeiter sind absolut positiv, so dass wir mithilfe des LabCIRS eine sehr gute Fehlerkultur in unseren Laboren entwickeln und etablieren konnten.

In der nebenstehenden Abbildung ist der Informationsfluss des LabCIRS zusammen gefasst. LabCIRS ist über das Intranet der Charité von jedem Computer aus aufrufbar. Mitarbeiter können Fehler anonym – wahlweise in Englisch oder Deutsch – eintragen. Verwaltet wird LabCIRS von einer Person (dem „Reviewer“, dies kann ein wissenschaftlicher Mitarbeiter, Labormanager oder eine andere Person sein), die die Fähigkeit besitzt, eingehende Fehlerberichte einzuschätzen und, wenn nötig, entsprechende Sofortmaßnahmen einzuleiten.


„Error“: ein Wissenschaftler verwechselt zwei nicht eindeutig gekennzeichnete Reagenzien A und B, was sein Experiment ruiniert. „Reporting“: der Fehler wird im LabCIRS, das von jedem Computer aus zugänglich ist, berichtet. „Assessment“: eine Expertengruppe analysiert den Fehler und beschließt die Maßnahme, die Reagenzien zukünftig eindeutig (farbig) zu kennzeichnen. „Feedback“: der Fehler und die getroffene Maßnahme werden an alle Mitarbeiter des Labors kommuniziert. Foto: Gruppe Dirnagl

Der Reviewer wird über eingehende Fehlerberichte via E-Mail informiert. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Risiken zu kategorisieren, Verantwortlichkeiten festzulegen sowie, falls notwendig, Sofortmaßnahmen einzuleiten und zu entscheiden, wer diese durchführen soll.

Die Fehlerberichte analysieren wir regelmäßig im QM-Meeting. Abhängig von der Art des Fehlers laden wir entsprechende Experten aus unserer Abteilung zu dem Meeting ein, die sich an der Diskussion beteiligen, während zeitkritische Ereignisse sofort bearbeitet werden. Einigung ist erreicht, wenn spezifische Gegenmaßnahmen beschlossen, Verantwortlichkeiten festgelegt und ein Maßnahmenplan aufgestellt wurde.

Die getroffenen Gegenmaßnahmen machen wir allen Mitarbeitern im wöchentlichen Labmeeting bekannt. Zusätzlich fassen wir alle Fehler monatlich zusammen und verschicken sie über eine Rundmail, so dass alle Mitarbeiter über die neuen Maßnahmen informiert sind.

Mit Hilfe des LabCIRS konnten wir seit seiner Einführung eine Vielzahl von Wiederholungsfehlern vermeiden. Die Mitarbeiter haben Vertrauen zum Umgang mit den gemeldeten Fehlern gefasst. Bereits nach einem Jahr Laufzeit des LabCIRS meldeten sie die Fehler zunehmend nicht mehr anonym. In dem monatlichen Meeting, in dem wir die Fehler analysieren, berichten die Mitarbeiter freiwillig und erzählen ausführlich, wie es zu dem entsprechenden kritischen Ereignis gekommen ist.

Nach zwei Jahren Laufzeit des LabCIRS in unseren Laboren, sind wir davon überzeugt, dass wir mithilfe dieses Werkzeugs die Qualität unserer Forschungsarbeiten signifikant verbessern, das Labor sicherer machen und die Kommunikation deutlich verbessern konnten.

Obwohl es sehr wünschenswert wäre, ist es jedoch leider nicht möglich, die Effektivität einer solchen Maßnahme zu quantifizieren. Die Verwendung des LabCIRS lässt sich nicht in einem kontrollierten Experiment überprüfen; sie ist freiwillig und anonym.

Für jedes Labor sinnvoll

Zudem repräsentieren berichtete Fehler notwendigerweise nicht alle kritischen Ereignisse, die passiert sein könnten. Dennoch hat sich das CIRS in vielen Branchen zu einem wichtigen Standard entwickelt (wenngleich die Effizienz eines solchen Systems selten zweifelsfrei überprüft werden kann).

Daher empfehlen wir die Etablierung eines systematischen Weges, um aus Fehlern zu lernen, ausdrücklich egal ob in kleinen Laboren oder einer großen Institution mit einigen hundert Mitarbeitern.

Dieses praktische Vorgehen begünstigt die Einführung einer Fehlerkultur, die die Qualität und Sicherheit der Forschung deutlich verbessert. LabCIRS hilft dabei, diesen Prozess zu starten.

Es ist uns bewusst, dass das System nur dann funktioniert und „lebt“, wenn die Mitglieder der Arbeitsgruppe Fehler berichten, darüber diskutieren und entsprechende Gegenmaßnahmen auch kommunizieren.

Claudia Kurreck, Ulrich Dirnagl, Ingo Przesdzing & Sebastian Major
(Abteilung für Experimentelle Neurologie, Charité Universitätsmedizin Berlin)

 




Letzte Änderungen: 06.02.2017