Forschungsförderung in Zeiten von Corona

5. Mai 2021 von Laborjournal

Ist die Art und Weise, wie wir hierzulande Forschung fördern, geeignet, um zeitnah die dringend benötigten Daten und Erkenntnisse zur Bewältigung der Corona-Pandemie zu generieren? Haben unsere Forschungsförderer flexibel und entschieden genug auf die plötzliche Herausforderung reagiert?

In unserem Heft 3/2021 beschrieben wir unter „Inkubiert“ (S. 7) ein Dilemma zwischen der Kernidee unserer Grundlagenforschungsförderung einerseits sowie den konkreten Notwendigkeiten einer schnellen und gezielten Pandemie-Forschung andererseits wie folgt:

Im freien „Wettbewerb der Ideen“ können Forscherinnen und Forscher Projekte ausspinnen und beantragen. Höchstens in einigen bestimmten Programmen werden allenfalls sehr breite thematische Klammern vorgegeben – beispielsweise um ein wichtiges neues Forschungsfeld auch hierzulande zu etablieren.

Das hat bis jetzt gut funktioniert. Und da die Forschergemeinde sich auch oft genug von alleine für drängende Themen interessiert, kam neben der reinen Erkenntnis auch immer wieder etwas Anwendbares mit heraus – gerade in der Medizin.

Plötzlich verlangt die Corona-Pandemie von der Forschung jedoch so dringend wie nie zuvor ganz konkrete Antworten auf bohrende Fragen – nicht zuletzt, um auf deren Basis praktische Entscheidungen für unsere Gesellschaft treffen zu können. Doch hierbei funktionieren die Förderinstrumente der freien Grundlagenforschung offenbar nur noch suboptimal. Sicher, BMBF und DFG leiten jede Menge ihrer Mittel in Corona-Forschung um. Da sie diese aber wie gewohnt im Wettbewerb ausschreiben, können sie am Ende nur diejenigen Projekte fördern, die die Forscher ihnen anbieten. Und womöglich sind einige wichtige Projekte dummerweise nicht mit im Angebot.

Einfach umschwenken können die Forschungsförderer offensichtlich nicht – und stattdessen klar sagen: „Wir brauchen folgende Daten – wer also das Projekt dazu macht, bekommt Geld!“

Doch wie hat sich dieses Dilemma konkret manifestiert? In unserem aktuellen Heft äußerten sich einige Corona-Forscher, ob und wie flexibel sie die Förderung ihrer Forschung konkret erlebt haben. So berichtete etwa der Virologe Ulf Dittmer vom Universitätsklinikum Essen:

Es gab in der Pandemie eine Reihe von Förder­möglichkeiten und Forschungs­geldern von der DFG und vom BMBF. So existiert etwa dieses große Forschungs­netzwerk der Unikliniken, um COVID-19-Forschung zu unterstützen – und da sind 280 Millionen reingeflossen. Ich finde, auch das ist aber administrativ ziemlich komplex gestaltet. Unser System ist halt an der einen oder anderen Stelle zu träge für die Pandemie, und die Förder­institutionen können ja jetzt auch nicht einfach von ihren eigenen Regeln abweichen. Da dauert vieles immer noch zu lang. Wir haben hier in Essen mit der Stiftung Universitäts­medizin darauf reagiert und über die Initiative „Spenden für Corona“ um Unterstützung gebeten. Innerhalb eines Monats kam eine Million Euro rein, und wir haben damit einen großen Teil unserer Forschung finanziert.

Dittmers Kollegin Ulrike Protzer von der Technischen Universität München sowie dem dortigen Helmholtz-Zentrum hatte dagegen zunächst nur die institutseigenen Geldmittel zur Verfügung. Allerdings habe die DFG dann schnell reagiert:

Es war dann möglich, Projektmittel der DFG auf SARS-CoV-2 umzuwidmen. So durften wir dann Personal für die Corona-spezifischen Projekte einsetzen – und das haben wir auch getan.

Grundsätzlich jedoch fand Protzer es schade, dass viele Antragsverfahren sehr knappe Fristen hatten – und noch weiterhin haben:

Wer gerade im Homeoffice sitzt, kann solche Anträge schreiben. Aber diejenigen, die im letzten Jahr ‚24/7‘ klinisch an der Corona-Front gearbeitet haben, hatten häufig keine Zeit, sich kurzfristig um Anträge zu kümmern. Ich habe von mehreren Kollegen gehört, dass ihnen manch eine Deadline viel zu kurzfristig war, um neben der Arbeit noch einen guten Antrag auf den Weg zu bringen.

Dem Gießener Virologen Friedemann Weber kam hingegen zugute, dass er prinzipiell schon „passend zum Thema“ gefördert wurde, als die Corona-Pandemie ausbrach. In unserem Artikel heißt es dazu:

„Ich kann mich eigentlich nicht beschweren“, fasst Friedemann Weber seine eigenen Erfahrungen mit der Unterstützung durch die Forschungsförderer zusammen. Diese hätten bei seinen Projekten nämlich sehr flexibel reagiert, als vor einem Jahr plötzlich das neue Coronavirus auftauchte. Allerdings gehörte seine Gruppe da bereits dem Konsortium „RAPID – Risikobewertung bei präpandemischen respiratorischen Infektionserkrankungen“ an. „RAPID wurde schon vor SARS-CoV-2 ins Leben gerufen, doch es geht dort genau um diese Thematik: Was passiert, wenn ein neues Virus auftaucht, das zunächst noch präpandemisch ist?“

Eher positiv beschreibt der Wiener Komplexitätsforscher Peter Klimek die Reaktion der österreichischen Forschungsförderer. Der entsprechende Absatz in unserem Artikel:

Auch in Österreich reagierten Forschungsförderer flexibel auf die Situation, schildert Klimek seine Erfahrung. „Für bestehende Projekte hatten wir durch die Bank den Eindruck, dass gerade in der Grundlagenforschung alle die Tragweite verstanden haben – und dass es durch COVID-19 eben zu Änderungen in einem Projektvorhaben kommen kann.“ Schnell liefen dann auch spezielle Förderprogramme für die COVID-19-Forschung an. „Auch da war allen Beteiligten klar, dass die Situation so dynamisch ist, dass ein eingereichter Antrag beim Review-Prozess schon wieder veraltet sein kann.“

Dagegen waren die Erfahrungen des Düsseldorfer Virologen Jörg Timm nicht nur gut – insbesondere als er Fördermittel beantragte, um die Sequenzier-Aktivitäten seiner Gruppe rund um SARS-CoV-2 auszubauen:

Timms Gruppe hat sich vorgenommen, achtzig Prozent der positiven SARS-CoV-2-Proben aus Düsseldorf zu sequenzieren. „Diese Sequenzen wollen wir innerhalb von 48 Stunden zur Verfügung stellen und gemeinsam mit dem Gesundheitsamt schauen, welche Verbindungen es zwischen den infizierten Personen gibt.“ […]

Um volle Fahrt aufzunehmen, scheiterte es bisher an der Finanzierung. „Wir hätten das gern größer aufgesetzt, doch letztlich stand uns nur das Budget für Forschung und Lehre zur Verfügung“, bedauert Timm. Frustriert sei er letztes Jahr gewesen, nachdem die DFG einen Antrag abgelehnt hatte. „Ein Gutachter schrieb: Corona ist nicht Influenza, und deshalb spielen diese Varianten keine besondere Rolle.“ Im November sei diese Rückmeldung eingetroffen, und Timm vermutet, dass man den Antrag heute vielleicht anders bewerten würde. „Aber ich will das nicht allzu kritisch sehen, denn es gibt immer mehr Fragestellungen als Geld.“

Weitere Erfahrungen, Erlebnisse oder Meinungen von an derer Seite zur Effektivität und Funktionalität der Forschungsförderung in Sachen „Corona“? Gerne in den Kommentaren unten. Oder auch via E-Mail an unsere Redaktion.

Ralf Neumann und Mario Rembold

(Foto: Tatjana Balzer / AdobeStock)

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