„Du brauchst mich nicht mit auf’s Paper zu nehmen.“

2. Juli 2010 von Laborjournal

Ich mag Forscher-Biographien. Immer interessant, welche Persönlichkeiten mit welchen Prinzipien oder ‚Philosophien‘ hinter mehr oder weniger erfolgreichen Forscher-Karrieren stecken.

So ’stolperte‘ ich auch kürzlich in einen Essay über Enid MacRobbie. 1991 hatte ich während eines Meetings selbst das Vergnügen eine kleine Weile mit der kantigen >1,80m-Dame zu diskutieren. Doch stopp, Sie kennen Enid MacRobbie nicht? Okay, dann sind Sie sicherlich kein Pflanzenforscher. Lange Jahre leitete sie bis zu ihrer Emeritierung 1999 das Department of Plant Sciences an der University of Cambridge und gilt nicht erst seitdem als Pionierin des pflanzlichen Ionentransports und der damit verbundenen physiologischen Prozesse, wie etwa die Regulation der Spaltöffnungen.

Aber es sind nicht ihre Forschungsleistungen, die mich bei der Lektüre besonders aufmerken ließen. (Der Essay ist übrigens einer von 15 in der Serie „Woman Pioneers in Plant Biology“ auf den Seiten der American Society of Plant Biologists). Besonders angetan war ich vor allem von folgendem Absatz:

An unusual feature of Enid’s approach is that she has actively encouraged the majority of the people who have worked with her to publish papers without her name on them. Thus only about 25% of the papers published by her colleagues during their time in her lab have included her as a co-author. Therefore, any literature search using her name as key words will substantially underestimate the full extent of the output of her laboratory. This has been a remarkably selfless approach to science that has given added impetus to the careers of those whom she has mentored. It is unlikely that, in these days of citation analyses, present or future scientists will feel willing or able to make such a magnanimous gesture. As a result of her unselfish approach, it can be guaranteed that the papers with Enid’s name on them indicate that she made a real and important practical contribution to the work.

Außer „toll“, muss man dazu eigentlich gar nicht mehr viel  sagen. Abgesehen davon vielleicht, dass ich eine ganz ähnliche Geschichte mal aus der anderen Perspektive erlebt habe. Als ich während meiner Dissertation genug Daten für eine Veröffentlichung zusammmen hatte, sagte mein Professor, ich solle das ohne ihn als ‚one author paper‘ veröffentlichen. Das würde mehr Eindruck machen und mir sicherlich auf meinem weiteren Karriereweg helfen.

Nun muss ich vorwegschicken, dass mein Prof zwar keine Experimente beisteuerte, mich jedoch während der Doktorarbeit komplett selbst betreute, alle experimentellen Strategien mitentwickelte, sämtliche Resultate und Schlussfolgerungen jederzeit fruchtbar mitdiskutierte und schlussendlich auch beim Schreiben des Papers kräftig mithalf. Genug Input also für einen ‚echten‘ Co-Autor.

Natürlich hätte ich sein Angebot trotzdem annehmen können. Aber ich hatte Zweifel. „Wird das Paper überhaupt wahrgenommen, wenn da ein bis dato völlig unbekannter Doktorand alleine draufsteht“, dachte ich. „Wenn ich ihn mit draufnehme, weiß wenigstens jeder, aus welchem ‚Stall‘ ich komme. Und ein ‚Two author paper‘ ist doch auch nicht schlecht.“ Zumal mein Prof in der Szene durchaus bekannt und beliebt war. Also schrieb ich ihn schließlich als Co-Autor mit in die Autorenzeile…

Für meine ‚Karriere‘ war das letztlich unerheblich. Am Ende hatte ich zwar ein Angebot zur Habilitation, entschied mich aber dennoch für das damals noch sehr junge Laborjournal.

Doch was ist aus den Leuten in Enid MacRobbies Gruppe geworden, die offenbar immer wieder ohne ihre ‚Chefin‘ veröffenlichten. Dazu folgender Abschnitt aus dem erwähnten Essay:

Enid’s laboratory has been the incubator for the fledgling career of many now-distinguished plant physiologists. These include F. Andrew Smith, John Raven, John Cram, Roger Spanswick, Mel Tyree, Richard Williamson, Dale Sanders, Roger Leigh, Carol Shennan, Mike Blatt, Mark Tester, Mary Beilby, and Gerhardt Thiel, to name just a few.

Nicht schlecht. Dennoch kaum anzunehmen, dass für mich irgendetwas anders verlaufen wäre, hätte ich damals ebenfalls nur alleine veröffentlicht. Aber wer weiß das schon…

Was auf jeden Fall bleibt, ist der Respekt vor solch uneigennützigen Leuten wie Enid MacRobbie und meinem damaligen Prof. Sicher, das ist zwanzig und mehr Jahre her; und sicher, beide hatten bereits das Ende der Karriereleiter erreicht. Dennoch wage ich zu bezweifeln, dass es heutzutage viele ähnliche Beispiele gibt — auch von Leuten ‚am Ende der Karriereleiter‘. Oder kennt jemand welche?



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