Editorial

Unberechenbare Biologie

(20.2.16) Die Entdeckung der Gravitationswellen könnte bei Biologen Neid auslösen. Wieso kann nicht auch die Biologie so schön berechenbar sein wie die Fusion schwarzer Löcher? (Update: Leserbrief)
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 Da sagt Albert Einstein 1916 die Existenz von Gravitationswellen voraus, weil es dieses obskure Phänomen seinen Formel zufolge geben sollte. Und fast genau 100 Jahre später fängt ein Hochpräzisionsinstrument das Signal zweier fusionierender schwarzer Löcher ein, das Einsteins rein theoretische Schlussfolgerung aufs Schönste bestätigt.

Faszinierend daran ist nicht nur die unglaubliche Präzision der Messung, sondern auch die Fähigkeit der Physiker, durch reines Herum-Theoretisieren präzise Aussagen über das Universum machen zu können – die sich dann auch noch experimentell bestätigen lassen.

Da kann man als Biologe neidisch werden. Wir Biologen haben zwar dank Charles Darwin auch ein alles umgreifendes Denkgebäude, die Evolutionstheorie. Wir haben zudem unsere Basenpaarungsregeln der DNA, unsere Code-Sonne, unser "zentrales Dogma der Molekularbiologie", das besagt, dass Information von der DNA zu den Proteinen fließt. Ökologen und Populationsgenetiker haben auch diverse Gleichungen zur Hand, um ihre jeweiligen Systeme quantitativ zu beschreiben.

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Aber all diese biologischen Konzepte sind viel chaotischer, kleinteiliger, vor allem: weniger exakt berechenbar als das elegant in Formeln gegossene Universum der Physiker. Und immer gibt es in der Biologie nervige Ausnahmen, Sonderfälle, nicht definierte Grenzsituationen.

Nur ein Beispiel: "UGA"  ist normalerweise ein Stop-Codon und bezeichnet das Ende eines proteinkodierenden Abschnitts einer mRNA. Aber, Achtung Ausnahme: Nicht so in manchen mitochondrialen Genomen, da kodieren die drei Basen für die Aminosäure Tryptophan. Konnte keiner damit rechnen, kam für die Forscher völlig überraschend und ist halt einfach so.

Auch was ein neu entwickeltes Medikament im Körper genau anstellt, kann man nicht so exakt berechnen wie die Gravitationswellen bei der Fusion zweier schwarzer Löcher am anderen Ende des Universums. Klinische Forscher müssen es vielmehr ausprobieren – möglichst vorsichtig, und zuerst im Tierversuch. Zu viele Parameter sind unbekannt, um eine Medikamentenwirkung zuverlässig berechnen oder simulieren zu können.

Ist die Biologie eben eine ganz andere Wissenschaft als die Physik, wie der Evolutionsbiologe Ernst Mayr einst behauptete, weil das Leben weniger durch zwingende Naturgesetze geformt wurde, als durch die historischen, chaotischen Zufälligkeiten der Evolution? Aber vielleicht hat auch Johannes Jäger, Leiter des Konrad Lorenz Instituts, recht, wenn er sagt, dass die Theorie in der Biologie bei all der Experimentierfreude der Forscher einfach zu kurz kommt (siehe Laborjournal 11/2015).

Zum Teil ändert sich das auch gerade: Systembiologen versuchen, das Zusammenwirken vieler Faktoren auf globaler Ebene zu beschreiben, Regeln zu finden im Chaos der Zelle. Denn, da hat Jäger sicher auch recht, wir werden das Leben nicht dadurch verstehen, dass wir alle Organismen stur durchsequenzieren. Theoretische Modelle und mathematische Gleichungen, die das Zusammenwirken vieler Faktoren abbilden, finden heute zunehmend ihren Platz in der Molekular- Entwicklungs- und Evolutionsbiologie. Aber ob es den Systembiologen wirklich gelingen wird, dabei neue, übergeordnete Prinzipien zu entdecken, die unsere chaotische Biologie vielleicht ein wenig vorhersagbarer und berechenbarer macht?

Das muss sich erst noch herausstellen. So schön aufgeräumt und mathematisch fassbar wie die Physik wird die Biologie aber wohl nie sein. Manche werden sagen: Zum Glück.

 

Hans Zauner

Illustration:  Fotolia

 Zum obigen Editorial erreichte uns ein Brief unserer Leserin "Anja":

 Die Thesen in dem Artikel stimmen so nicht, dass die Biologie nicht mathematisch fassbar sei – nur die Biologen streuben sich absolut gegen die Mathematik und wollen sie nicht bei sich haben, wie mir Forscher am MPI hier in Dresden auch bestätigt haben.

Ich selbst habe Biosystemtechnik studiert, das Fach, das sich genau mit diesen Gebiet beschäftigt: mathematische Beschreibung biologischer Systeme, um langfristig Vorhersagen etc. zu ermöglichen. Natürlich steckt dieses Gebiet noch in den Kinderschuhen, jedoch gibt es bereits kleine Erfolge, bei denen Forscher bekannte Reaktionswege mathematisch beschrieben haben und daraus Vorhersagen treffen konnten für bisher unbekannte Zusammenhänge, falsche Zusammenhänge aufdeckten (vermutete Reaktionen im Körper, die es so nicht gibt) und das Ganze experimentell bestätigten. 

 

Kommentar des Autors:

 Vielen Dank für ihren Beitrag! Er bestätigt genau das, was der im Artikel angesprochene Johannes Jäger im Laborjournal-Gespräch beklagte: Viele Biologen kümmern sich demnach nicht um Theorie, es gibt kaum Fördergelder dafür und die theoretische Biologie wird insgesamt (noch) stiefmütterlich behandelt.

Aber ich bin mit Ihnen einer Meinung, das wird sich ändern, auch wenn die Systembiologie noch in den Kinderschuhen steckt.

Trotzdem denke ich, dass Modelle und Theorien in der Biologie anders gelagert sind als z.B. die Relativitätstheorie in der Physik. Biologische Modelle sind im Prinzip immer vereinfachte Darstellungen der sehr viel komplexeren Datenlage – und dienen unter anderem dazu, um zu sehen, ob man alle wesentlichen Komponenten eines Systems verstanden hat, oder ob noch etwas fehlt um einen biologischen Vorgang korrekt zu beschreiben. (Siehe z.B. diesen PLOS-Biology-Artikel von Servedio et al. über "Proof-of-Concept"-Modelle in der Biologie).

Fundamental neue Erkenntnisse, wie die Existenz von Gravitationswellen, rein aufrgund eines Sets von Gleichungen vorherzusagen: das wird den Biologen meiner Meinung nach nicht so schnell gelingen. Aber ich würde mich freuen, wenn ich da falsch liege!

Hans Zauner



Letzte Änderungen: 03.03.2016