Editorial

Frust in Freiburg: Doping-Aufklärer geben auf

(2.3.16)  Die Kommission, die die Doping-Vergangenheit der Uni Freiburg untersuchen sollte, gibt's nicht mehr: Man werde seit Jahren in der Arbeit enorm behindert; zudem wolle die Uni keine unabhängige Aufklärung mehr garantieren.
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Pharmakologe Fritz Sörgel und vier Kollegen schmeissen den Löffel hin
© Winfried Köppelle

(2.3.16)  Die „Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin" – sie sollte die Doping-Vergangenheit der Universität Freiburg untersuchen – gibt's nicht mehr. Man werde seit Jahren durch die Universitätsleitung enorm behindert. Zudem wolle man der Kommission keine unabhängige Aufklärung mehr garantieren.

"Man muss sich fragen, warum offensichtlich nicht das ganze Maß [der Wahrheit] an die Öffentlichkeit soll" – so kommentierte Kommissionsmitglied Fritz Sörgel gegenüber ntv.de den Rücktritt der nahezu gesamten „Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin" (gemeinhin nach ihrer Vorsitzenden Letizia Paoli auch „Paoli-Kommission" genannt). Diese versucht seit 2007, Licht ins unrühmliche Dunkel der ehemaligen Freiburger Sportmedizin zu bringen – und war bald auf enorme Widerstände innerhalb der Universität Freiburg, speziell der Universitätsspitze, gestoßen.

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Auch hatte man am ehemaligen Freiburger Institut für Sportmedizin immer mehr dubiose Forschungs- und Publikationspraktiken entdeckt: Je tiefer die Untersuchungskommission bohrte, desto mehr fand sie auch. Auch die dabei – eher nebenbei – mannigfach entdeckten Verstöße gegen gute wissenschaftliche Praxis (offenbar auch schwerwiegende Plagiate damaliger Jungmediziner, die inzwischen teils in höchsten Ämtern und Würden stehen) verzögerten immer wieder die Erstellung eines Abschlussberichts.

Was jedem klar sein sollte – je mehr man findet, desto länger dauert es – war der Universitätsleitung mit Rektor Schiewer an der Spitze offensichtlich nicht klar zu machen. Oftmals bekam der Beobachter vielmehr den Eindruck, Rektor Schiewer wolle den Aufklärungsdrang der Paoli-Kommission um jeden Preis stoppen, indem er wiederholt einen baldigen Abschluss (und damit ein Ende) der lästigen Untersuchung forderte.

Seit Jahren und immer wieder hatten sich mehrere Mitglieder der Kommission einzeln und auch gemeinsam beschwert, man würde ihre Arbeit sabotieren, boykottieren, verschleppen und behindern. Die Universitätsleitung beziehungsweise Schiewer hingegen bestritt regelmäßig, irgend etwas vertuschen zu wollen.

Fünf von sechs Mitgliedern haben hingeschmissen

Neben Sörgel haben zum 1. März frustriert und erzürnt hingeschmissen: der stellvertretende Kommissionsleiter Hellmut Mahler (LKA Düsseldorf), Hans Hoppeler (Uni Bern/Schweiz), Perikles Simon (Uni Mainz) sowie Gerhard Treutlein (Pädagogische Hochschule Heidelberg) – allesamt führende Antidoping-Experten mit tadellosem Leumund.

Lediglich die langjährige Leiterin der Kommission, die italienische Kriminologie-Professorin und Anti-Mafia-Expertin Letizia Paoli (Uni Leuven/Belgien), hat offenbar noch nicht aufgegeben – sie steht jedenfalls nicht auf der Pressemitteilung, mit der die genannten fünf Mitglieder der „Unabhängigen Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin" ihren Rücktritt am gestrigen 1. März 2016 erklärt haben und die Laborjournal vorliegt.

Am heutigen Mittwoch könnte sich ferner aufklären, ob wenigstens die von ihren Kommissionskollegen ausdrücklich wertgeschätzte, zähe Kämpferin Paoli weitermacht – oder ob sie ebenfalls, mit einem Tag Verspätung, zurücktritt.

Jedoch mit welcher Mannschaft könnte Paoli ihre Arbeit fortsetzen? Nahezu alle bedeutenden nationalen und auch viele internationale Dopingfachleute waren oder sind ja bereits Mitglied in der nun implodierten Untersuchungskommission. Seit der Einrichtung der Paoli-Kommission im Jahr 2007 gehörten insgesamt 16 renommierte Fachleute zur Kommission – darunter die Gießener Kriminologie-Professorin Britta Bannenberg, der Kölner Sportwissenschaftler Wilhelm Schänzer, der Heidelberger Zellforscher Werner Franke und der Kopenhagener Muskelphysiologe Bengt Saltin (verstorben 2013).

Man will sich nicht instrumentalisieren lassen

Sörgel weiter gegenüber ntv.de: „Den Rückzug der Kommission kann man auch gerne als symbolischen Akt interpretieren. Durch die als fortlaufend empfundene Verhinderungspolitik der Universitätsspitze wird es keinen ordentlichen Schlussstrich unter einem der wichtigsten Projekte der jüngeren deutschen Sportvergangenheit geben".

Und weiter: „Wir lassen uns nicht zu Lieferanten von Textbausteinen machen, die beliebig und zugunsten der Universität zusammengesetzt werden".

Unabhängig oder nicht?

Knackpunkt des Eklats und damit des Rücktritts der Kommissionsmitglieder scheint – neben den erwähnten Vorwürfen, die Uni würde die Aufklärungsarbeit massiv behindern – die mutmaßlich nicht mehr gegebene Unabhängigkeit der Kommissionsarbeit zu sein. Im Arbeitsauftrag von Seiten der Universität an die Kommission aus dem Jahr 2007 steht dazu folgendes:

„Grundlage der Arbeit ist (…) die in der Geschäftsordnung festgehaltene Unabhängigkeit der Kommission: "Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgabe sind die Mitglieder unabhängig, an Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen verantwortlich."

Die fünf zurückgetretenen Kommissionsmitglieder (Sörgel, Mahler, Hoppeler, Simon und Treutlein) kritisieren, dass diese vorab zugesicherte Unabhängigkeit nicht mehr bestehen würde:

„Eine Fortsetzung der fast abgeschlossenen Kommissionsarbeit (ist) leider unter den derzeitigen Bedingungen, die die Universität Freiburg an die Kommissionsmitglieder stellt, unmöglich. Auch die seit vielen Monaten unternommenen Bemühungen von Prof. Paoli um den Erhalt der 2007 garantierten uneingeschränkten Unabhängigkeit der Kommission (sind) leider immer wieder abgewiesen worden."

Schiewer habe trotz mehrfacher Aufforderung die Einschränkung der vollen Kommissions-Unabhängigkeit nicht rückgängig gemacht, so der Vorwurf. Er habe immer wieder Gesprächsangebote gemacht, sei während dieser Gespräche jedoch von seinem Standpunkt nicht abgerückt.

Verschleppt die Universität womöglich die Aufklärung deshalb, weil zuviele prominente Persönlichkeiten von den Enthüllungen der Paoli-Kommission betroffen wären? Im Arbeitsauftrag an die Kommission steht immerhin Folgendes:

„Grundsätzlich steht der Kommission im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten der Zugang zu allen benötigten Unterlagen offen."

Pikant ist in diesem Zusammenhang, dass die Sichtung und Prüfung wissenschaftlicher Veröffentlichungen (der damaligen Mitarbeiter der Sportmedizin) ein klarer Auftrag an die Kommission war und ist. Hier geht's um Brisantes: um die bereits erwähnten, mutmaßlichen Plagiate diverser, inzwischen teils sehr prominenter und hochrangiger Mediziner.

Forschungsskandal „in einer neuen Dimension"

Anfang Januar 2016 hatte die Paoli-Kommission verkündet, man sei auf einen „Forschungsskandal in einer neuen Dimension" gestoßen Dessen Tragweite reiche weit über das heutige Institut für Bewegungs- und Arbeitsmedizin am Universitätsklinikum Freiburg hinaus und habe möglicherweise gravierende Folgen für das Fach Sportmedizin und den gesamten betroffenen Wissenschaftsbetrieb. In sportwissenschaftlichen Fachveröffentlichungen aus rund 20 Jahren habe man „ganz erhebliche, bislang unentdeckte wissenschaftliche Mängel" entdeckt; eine Reihe hochkarätig publizierter Arbeiten beruhten wohl auf Fälschungen von Daten und Selbstplagiaten (siehe „Brisante Fundsache", Laborjournal online vom 7.1.2016).

Eine real vorgefallene Anekdote lässt Einiges darüber erahnen, wie ernst es der Universität unter Rektor Schiewer mit ihrem „Aufklärungswillen" wirklich ist:

Eine leitende Verwaltungsangestellte der Universität versteckte fünf (!) Jahre lang mehrere Kisten mit historisch brisanten Akten der Freiburger sportmedizinischen Abteilung Keul vor der mehrfach diese Akten einfordernden Paoli-Kommission in ihrer Privat(!)wohnung. Universitätsrektor Schiewer hielt es daraufhin offenbar nicht einmal für nötig, seine Untergebene zu rügen oder gar dienstrechtliche Schritte einzuleiten: Die betreffende Dame sitzt bis heute unbelangt an ihrem Arbeitsplatz in der Zentralen Universitätsverwaltung. Hingegen mahnte Schiewer mehrfach an, die Paoli-Kommission möge doch endlich mit ihrer Arbeit fertig werden.

Mehr zu den Freiburger Zuständen und Hintergründen demnächst an dieser Stelle und in Laborjournal!

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 03.03.2016