Editorial

Koexistenz im Darm

(20.5.16) Stuhltransplantation: Klingt eklig, kann aber therapeutisch sinnvoll sein. Peer Borks Team am EMBL in Heidelberg untersuchte nun die genaue Zusammensetzung der Darmflora von Empfängern einer Stuhlspende.
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© barmaleeva / fotolia

Sechs bis neun Gigabasen. Genetische Daten dieser Größenordnung würden, auf Papier gedruckt, ungefähr 300 bis 400 Telefonbücher füllen. So viel DNA hat Peer Borks Team am EMBL in Heidelberg für eine kürzlich in Science veröffentlichte Studie analysiert – pro Probe. Diese unglaubliche Menge an genetischer Information kam zudem von einer ungewöhnlichen Quelle: menschlichen Fäkalien.

Ein Viertel bis die Hälfte der Trockenmasse menschlichen Stuhls besteht aus Bakterien, die in unserem Darm zuhause sind. Die Zusammensetzung unserer Untermieter unterscheidet sich von Person zu Person – so sehr, dass sie ähnlich wie ein Fingerabdruck die Identität einer Person preisgeben könnte. Im Gegensatz zu einem Fingerabdruck ist unser Mikrobiom aber nicht statisch: die Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaften, die in und auf uns leben, ist im ständigen Wandel.

Ein unappetitlicher Eingriff mit positiven Folgen

Antibiotika, Ernährung, ein Umzug, ein neuer Partner – all das kann sich auf die Darmflora auswirken. Ein Ungleichgewicht im Mikrobiom kann auch negative Folgen auf unsere Gesundheit haben. Von Übergewicht über Kolitis, bis hin zu Herzkreislauferkrankungen – die Liste der Krankheiten, die mit Bakterien in unserem Darm zusammenhängen, wird ständig länger.

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Am Mikrobiom war Bork schon seit Längerem interessiert. In Kollaboration mit Wissenschaftlern der Universität von Helsinki und des Akademisch-Medizinschen Zentrums in Amsterdam untersuchte der EMBL-Forscher nun auch Fäkalien von Stuhltransplantationsempfängern auf ihre bakterielle Zusammensetzung. Bei Stuhltransplantationen wird Fäzes eines gesunden Spenders in den Darm eines Patienten übertragen. Der – zugegeben – etwas unappetitlich wirkende Eingriff wird bereits erfolgreich bei wiederkehrenden Clostridium-difficile-Infektionen eingesetzt.

Vielfalt im Dunkel der Darmschlingen

Welche Auswirkungen die Behandlung auf die Darmflora von Empfängern hat, und ob sie für weitere Anwendungsgebiete verbessert werden könnte, war jedoch noch unklar.

Die Studie bringt nun Licht ins Dunkel der Darmschlingen und zeigt: Bakterien vom Spender kolonisieren tatsächlich nach der Behandlung den Empfänger. Mehr noch, viele der untersuchten Bakterienstämme von Empfänger und Spender können sogar über längere Perioden koexistieren. Das war überraschend für die Forscher, erinnert sich Bork: „Die Koexistenz hätten wir so nicht erwartet. Wir dachten es wäre ein entweder-oder – also entweder setzt sich der Spenderstamm durch oder der Empfängerstamm. Dann kam die Überraschung, dass oftmals beide da sind.“

Für die Experimente sequenzierte Borks Team DNA direkt aus dem Bakterienmix, ohne vorausgehende, aufwendige Kultivierung der Bakterien. Diese Methode macht die Studie so besonders: Sie ist die erste wirklich metagenomische Analyse von Stuhltransplanationen. Ein weiterer Schlüsselaspekt ist die Sequenzierung einer enormen Menge an DNA, die etwa zwei bis drei kompletten menschlichen Genomen pro Probe entspricht.

"70 % der Bakterienarten haben Spender und Empfänger gemeinsam"

Dies erlaubte den Forschern, die untersuchten Proben auf Bakterienstämme anstatt nur auf Arten zu untersuchen. „Das heißt, nicht nur zum Beispiel die Bakterienart E. coli wurde gemessen, sondern bestimmte Stämme von E. coli, die sich auch zwischen Spender und Empfänger unterscheiden“, erklärt Studienleiter Bork. So konnten die Folgen von Stuhltransplantationen auf die Darmflora von Empfängern genauer als je zuvor studiert werden. „70 % der Bakterienarten haben Spender und Empfänger gemeinsam,“ so Bork, „das heißt, es konnte vorher gar nicht richtig untersucht werden, ob nun die Spende erfolgreich war oder nicht, weil die Arten meistens die gleichen waren.“

Die Pilotstudie untersuchte vorrangig Proben von zehn Stuhltransplantationspatienten. Diese stammten von Teilnehmern einer klinischen Studie zur Behandlung des metabolischen Syndroms. Fünf der fettleibigen Probanden wurden dazu mit Fremdstuhl – einer „echten“ Stuhltransplantation – behandelt, fünf weitere bekamen als Kontrollgruppe eine Eigenstuhltransplantation. Aufgrund der geringen Probandenzahl und deren spezifischer Krankheit müssen viele Erkenntnisse der Studie noch in weiteren Untersuchungen bestätigt werden, warnt Bork.

Doch eines sei bereits klar: „Auch mit den wenigen Fällen die wir haben, können wir mit Sicherheit sagen, dass es den 'Superspender' nicht geben wird.“

Die Daten aus der Studie zeigen, warum ein erhoffter, optimaler Stuhltransplantionsspender in der Praxis unwahrscheinlich ist: Drei Patienten, denen Fremdstuhl verabreicht wurde, bekamen ihre Transplantate vom selben Spender. Ihre Darmflora reagierte aber sehr unterschiedlich auf die Neuankömmlinge. Während zwei Empfänger viele Bakterienstämme gut aufnahmen, setzten sich im dritten Empfänger nur wenige Stämme durch. „Wir konnten also zeigen, dass der selbe Spender unterschiedliche Reaktionen in verschiedenen Empfängern auslöst – dass also eine Art Kompatibilität da sein muss“, erklärt EMBL-Forscher Bork.

Die Kompatibilität schien tendenziell größer, wenn Empfänger und Spender viele Bakterienarten gemein hatten. Eine mögliche Schlussfolgerung wäre daher die Verwendung von Stuhlspenden von Partnern – denn wer im gleichen Haushalt wohnt, teilt sich mitunter nicht nur Bett und Tisch, sondern auch große Teile des Mikrobioms. Stuhl von Partnern oder Familienmitgliedern wird bereits in manchen Studien eingesetzt. Doch weitere Untersuchungen sind nötig, um festzustellen, ob dies die Erfolgschancen der Behandlung wirklich verbessert.

Schwierige Materialbeschaffung

Des weiteren so fanden die Forscher, kolonisierten manche Bakterien ihr neues Zuhause leichter als andere. Einige Bakterienstämme der Spender verdrängten die im Empfänger vorherrschenden Stämme komplett, andere konnten sich nicht gegen die heimische Flora durchsetzen. Ob die in der Studie dominanten Stämme auch in Personen mit anderen Krankheitsbildern Wachstumsvorteile haben, muss noch gezeigt werden. Borks Team plant weitere Untersuchungen: „Wir werden uns mit Sicherheit mehr Proben mit verschiedenen Indikationsgebieten anschauen.“ Doch, so der Bioinformatiker, „es ist schwierig an dieses Material heranzukommen.“

Stuhltransplantationen werden im deutschsprachigen Raum noch selten durchgeführt. Peer Bork arbeitet daher weltweit mit Wissenschaftlern zusammen, um mehr Proben von verschiedenen klinischen Studien analysieren zu können. Mit diesen möchte er seine Studie erweitern, „um zu sehen ob es generalisierbare Fakten gibt, die für Clostridien genau so gelten wie für das Metabolische Syndrom.“ Mit diesen Einsichten, so hofft er, könnten bald weitere Erkrankungen erfolgreich mit der Technik behandelt werden. „Bei anderen Indikationen, zum Beispiel Morbus Crohn oder anderen entzündlichen Krankheiten im Darm, ist die Heilungsrate bei bestenfalls 25 %. Da können wir etwas verbessern.“ Wie auch viele andere Forscher und Ärzte, sieht Bork eine große Zukunft für probiotische Behandlungen: „Ich glaube da wird noch viel kommen – das sind nur die ersten Anfänge.“

Michaela Mrschtik



Letzte Änderungen: 27.07.2016