Editorial

Vertrauenssache Peer Review?

(29.7.16) Das Begutachten von Original-Manuskripten ist eine Sache höchster Vertraulichkeit. Doch die Hemmschwelle, sich darüber hinwegzusetzen, scheint gering. 
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© Fotolia/Brian Jackson

Professor Müller begutachtet ein Manuskript. Nach einer Weile fällt ihm auf, dass einige der beschriebenen Daten seinem eigenen Postdoc bei dessen Projekt sehr gut helfen könnten. Also ruft er ihn zu sich ins Büro und zeigt sie ihm...

Ist es zu pessimistisch anzunehmen, dass derlei durchaus öfter vorkommt? Und dass Reviewer wie unser hypothetischer Professor Müller dies allerhöchstens als akademisches Kavaliersdelikt betrachten – obwohl es streng genommen schon jenseits des Erlaubten liegt? Wobei die ganze Sache natürlich noch zwei Klassen perfider wird, wenn Gutachter Müller das Paper nachfolgend ablehnt...

Doch es gibt noch deutlich klarere Fälle von Peer Review-Missbrauch – wie etwa in folgendem Beispiel:

Forscher M reicht ein Manuskript ein. Am Ende verlangen beide Gutachter A und B eine ‚Major Revision‘. Nach einigen Monaten hat Forscher M diese fertig und reicht das gründlich überarbeitete Manuskript erneut ein. Der Editor fragt daraufhin bei A und B an, ob sie die revidierte Version erneut begutachten würden. A sagt zu, B lehnt ab – schlägt aber Kollegen C vor. Das Manuskript 2.0 geht also an A und C.

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A liefert sein Gutachten schnell ab, von C kommt lange nichts. Erst als der Editor C kontaktiert, schickt dieser sein Gutachten. Dieses ist jedoch exakt identisch mit dem Gutachten, dass B seinerzeit zum ersten Manuskript 1.0 verfasste. Und dies, obwohl der Editor Reviewer C die ersten Gutachten von A und B nicht mit dem revidierten Manuskript 2.0 mitgeschickt hatte.

Ein Verdacht nimmt Gestalt an: Gutachter B hatte seinem Kollegen C das erste Manuskript bereits zuvor geschickt – und zwar lange bevor Forscher M die 2.0-Version erneut einreichte. Was ein klarer Vertraulichkeitsbruch wäre.

Der Editor konfrontiert Gutachter C mit dem Verdacht. Dieser schickt daraufhin ein neues Gutachten und wiegelt ab: Das wäre gar nicht sein Gutachten gewesen, tatsächlich sei dies jetzt sein Gutachten. Doch auch diese Version bezieht sich teilweise auf Aspekte des Manuskripts, die lediglich in dessen ursprünglicher 1.0-Version, nicht aber in der revidierten auftauchten. Womit jetzt endgültig klar ist, dass C tatsächlich das erste, abgelehnte Manuskript unrechtmäßig von B erhalten haben musste – inklusive seines damaligen Gutachtens.

Der Editor schließt B und C  daraufhin als Gutachter „seines“ Journals aus, das Manuskript muss jetzt ein völlig neuer Gutachter nochmals prüfen...

Ein hypothetisches Szenario? Keineswegs. Der Geschichte liegt ein konkreter Fall zugrunde, den das Committee On Publication Ethics (COPE) hier dokumentiert hat. Und es ist nicht der einzige, der einem das ungute Gefühl vermittelt, dass die Hemmschwelle zum Vertraulichkeitsbruch beim Peer Review erschreckend gering ist.

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 09.09.2016