Editorial

Selbstverstümmelung auf Kommando

(5.10.16) Technologien, mit denen sich die Genexpression spezifisch auf Kommando ankurbeln lässt, sind bei Molekularbiologen heiß begehrt. Neuestes "Spielzeug" hierfür sind die von Jörg Hartigs Gruppe an der Uni Konstanz entwickelten Twister-Ribozyme.

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Endonukleolytische Ribozyme sind relativ simpel aufgebaute, doch sehr komplex agierende Moleküle. Sie bestehen aus einem Stück RNA (normalerweise 50 bis150 Nukleotide lang), können aber enzymatisch aktiv sein, ähnlich einem Protein. Weil sie auch an sich selbst herum schnippeln, bezeichnet man sie auch als „Self-cleaving Ribozymes“. Wo der Schnitt stattfindet, bestimmen RNA-Sequenz und Molekülfaltung.

Ribozyme kommen in Pro- und Eukaryten vor. Wie sie in die jeweiligen Genome gelangt sind ist halbwegs geklärt, ihre biologische Funktion ist aber weitgehend schleierhaft - das ändert aber nichts an ihrem hohen Anwendungspotenzial für die Synthetische Biologie und Biotechnologie.

Ribozyme tragen recht zackige Namen, wie „Twister“, „Twister sister“ oder „Pistol“. Wann die enzymatischen Scheren "auf Zack kommen" sollen, kann der Experimentator von außen steuern. Wie? Indem er ein zusätzliches Stück RNA, ein sogenanntes Aptamer, in die für´s Schneiden relevante Region des Ribozyms einbaut. Die Aptamer-Domäne ist so konzipiert, dass sie ein bestimmtes Signalmolekül, zum Beispiel Neomycin, erkennt. Ähnlich wie bei klassischen Ligand-Rezeptor-Interaktionen, löst das Signalmolekül Änderungen in der 3-D-Struktur des Ribozyms aus. Ergebnis: die Schere wird schneidefähig.

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Jörg Hartigs Mitarbeiter konstruierten aus Ribozymen synthetische RNA-Schalter, mit denen sich die Genexpression in E. coli steuern lässt (Felletti et al., Nature Communications 7; 2016). Als Reportergen diente eGFP, eine Variante des grünfluoreszierenden Proteins.

Der RNA-Schalter basiert auf einem Twister-Ribozym aus E. coli, dessen Sequenz und Kristallstruktur die Konstanzer bereits kannten. In dieses Molekül fügten sie eine Shine-Dalgarno Sequenz (SD) ein und platzierten das Konstrukt vor den nichttranslatierten Abschnitt (5`UTR) eines GFP-Reportergens. Die SD markiert in prokaryotischen mRNAs die Ribosomenbindestelle und somit den Startpunkt der Translation. Nur wenn das Ribozym tatsächlich schneidet wird die Shine-Dalgarno-Sequenz freigelegt: Die Ribosomen binden, lösen die Genexpression aus und bringen die Zellen zum Leuchten. Zappenduster bleibt es dagegen in Zellen mit mutierter Schnittstelle.

Außerdem fand das Team heraus, welche Positionen innerhalb des Ribozyms sich am besten für die SD-Insertion eignen. Hartigs Mitarbeiter erreichten hier eine 100-fach höhere eGFP-Expression im Vergleich zur nicht-schneidbaren Kontrolle.

Ein guter Gen-Schalter sollte robust sein und reproduzierbare Effekte auslösen. Die Konstanzer untersuchten deshalb mit zytometrischen Messungen ob die Fluoreszenz der Bakterienextrakte von einigen wenigen, stark leuchtenden Zellen herrührte, oder ob alle Zellen, die das Konstrukt enthielten, zum Leuchtsignal beitrugen. Tatsächlich traf letzteres zu.

Einen "guten Geschmack" bewies die Gruppe schließlich, beim Ein- und Ausschalten des GFP-Schalters - das hierzu verwendete Aptamer bindet das in Teeblättern enthaltene Theophyllin. Wer hätte gedacht, dass E.coli nach Schwarztee-Genuss leuchtet!

Die Position des Aptamers innerhalb der Ribozym-RNA entscheidet, in welcher Richtung (Expression rauf oder runter) und Intensität das Reportergen reagiert. Mittels Zufallsmutagenese und entsprechendem Screening fand das Team geeignete Insertionsstellen; die besten ermöglichten eine ca. zehnfache Induktion.

Fine-Tuning erwünscht? Hartigs Mannschaft konstruierte inzwischen Ribozyme, die ein Theophyllin- und ein Thiamin-bindendes Aptamer tragen. Wie die Zellen auf die beiden Substanzen reagieren hängt von der Position der Aptamere ab. Beispielsweise wirkt Theophyllin stark- Thiamin dagegen schwach-induzierend oder reprimierend; die Wirkung ist additiv oder synergistisch.

Die Konstanzer haben ihr Ribozym-System inzwischen auch an S. cerevisiae angepasst und wollen damit komplexe genetische Schalter bauen. 

Andrea Pitzschke



Letzte Änderungen: 08.12.2016