Editorial

Neuer Besen in Basel kehrt rau

(6.10.16) Novartis hat einen neuen Forschungsvorstand – und der macht gleich alles anders: Er entlässt 73 Biotech-Spezialisten, die sein Vorgänger erst vor wenigen Jahren für 150 Millionen Euro angeworben hat.
editorial_bild

Esbatech-Gründer D. Escher (links), Novartis-CSO J. Bradner (rechts)
© Novartis

Seit März regiert bei Novartis ein neuer Forschungschef, und allmählich werden die Auswirkungen spürbar. Zum Beispiel in Schlieren nahe Zürich, wo die Biotech-Tochterfirma Esbatech zugemacht wird. Deren 73 Mitarbeiter müssen ab sofort ihre Bewerbungsunterlagen verschicken. Da bietet sich der Schweizer Konkurrent Roche an, der in Basel Milliarden investiert – doch dazu weiter unten.

Der neue Mann bei Novartis heißt James Bradner und kam vom Dana-Farber-Krebsforschungsinstitut in Boston nach Basel. Bradner ist Krebsmediziner und als solcher ein Spezialist für Stammzelltransplantation und Hämatologie. Fachlich spielt der Medical Doctor (M.D.) in der ersten Liga – sein wissenschaftliches Werk umfasst 130 Publikationen und 30 Patentanmeldungen. Zudem habe er in Übersee fünf Biotechfirmen mitgegründet, ist auf den Novartis-Website zu erfahren.

Editorial

Beim neuen Arbeitgeber muss sich Bradner erst einmal beweisen; zeigen, dass er der richtige Mann am richtigen Platz ist und sein Millionengehalt verdient. Daher krempelt der Neue, nunmehr Boss von 6.000 wissenschaftlichen Mitarbeitern und Herr über einen 10-Milliarden-Dollar-Etat, den Laden, der ihm von Vorgänger Mark Fishman hinterlassen wurde, gleich mal so richtig um. Fishman war immerhin dreizehn Jahre lang, von 2002 bis 2016, der für Forschungsbelange maßgebliche Mann bei Novartis. Offiziell lautet der Titel „President, Novartis Institutes for BioMedical Research (NIBR)”.

Sei’s drum – neue Besen müssen kehren, in Marketingsprech nennt man das „strategische Neuausrichtung“. Und so entlässt Bradner gleich mal ein paar Mitarbeiter, nicht nur in Schlieren bei der Tochter Esbatech. Auch in Singapur wird kräftig umstrukturiert. Dort befindet sich seit 2002 – dem Amtsantritt von Bradner-Vorgänger Fishman – das Novartis Institute for Tropical Diseases (NITD) mit rund 85 Mitarbeitern. Noch befindet es sich dort, muss man sagen – denn auch die dortigen Novartis-Angestellten sind dank Bradners Neuausrichtungs-Aktivitäten erstmal arbeitslos. Oder sie müssen ein paar tausend Kilometer weit umziehen. Das NITD wird nämlich von Singapur ins kalifornische Emeryville verlegt und soll dort eng mit dem dortigen Team für die Erforschung von Infektionskrankheiten zusammenarbeiten – mit dem Ziel, neue Arzneimittel gegen Malaria und andere Tropenkrankheiten zu finden.

Alle Jahre wieder: „Neuausrichtung“

„Strategische Neuausrichtung der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten“ nennt man es gemeinhin, was Bradner gerade vollführt. Und nicht selten passierte es dann eben, dass der Neue genau jene Aktivitäten bremst oder einstellt, die sein Vorgänger – ebenfalls unter dem Schlagwort „Neuausrichtung“ – einige Jahre zuvor erst angeschoben hat. Im Falle von Esbatech – einem Spin-off der Universität Zürichwird dies besonders deutlich. Esbatech, gegründet 1998 von den Schweizern Dominik Escher und Alcide Barberis, hatte sich der Nutzung spezieller Antikörper-Fragmente verschrieben. Diese Fragmente, normalerweise höchst fragil und damit (zu) schnell vom Körper abgebaut, sollten stabilisiert und dann als Medikament genutzt werden. Zur Simulation der jeweils angepeilten Krankheit und nachfolgenden Selektion der passenden Medikamentkandidaten nutzten sie ein Hefezell-System.

Zunächst als notorisch geldklammer Alleinkämpfer, dann mit dem Pharmagiganten Roche als Kooperationspartner, konzentrierte sich die Biotechfirma, in der Escher als CEO und Barberis als wissenschaftlicher Leiter (CSO) fungierten, als Erstes auf ein Projekt in der Alzheimerforschung. Später kam auch Novartis als Geldgeber hinzu – mit einer Million Schweizer Franken beteiligte sich der neben Roche andere große Baseler Konzern an Esbatech. Im Mai 2002 flossen nach einer ersten großen Finanzierungsrunde beeindruckende 14,5 Millionen Franken aufs Firmenkonto; in der zweiten Runde im August 2006 dann sogar 50 Millionen Franken.

Im September 2009 schließlich übernahm Novartis die bis dahin auf 50 Mitarbeiter gewachsene Firma aus Schlieren bei Zürich komplett. Indirekt – der offizielle Käufer war der US-Augenpflegemittel-Konzern Alcon, der allerdings Teil des Novartis-Konzerns ist. Für den Kauf machte der damalige Wisenschaftsvorstand Fishman immerhin 150 Millionen Dollar in bar locker, dazu wurde „weitere Zahlungen von bis zu 439 Millionen Dollar“ vereinbart, sofern Esbatech „anvisierte Forschungs- und Entwicklungsziele erreicht“.

Allerdings ging es Fishman damals nur um Esbatechs Technologie bezüglich Augenheilkunde. Der Rest verblieb im Besitz der damaligen Esbatech-Aktionäre und wurde in eine neue Firma namens Delenex Therapeutics überführt (diese wurde unlängst ebenfalls übernommen, vom britischen Krebsmedizin-Entwickler Cell Medica).

Dominik Escher verblieb nach der Übernahme bei Esbatech. Bis heute, 2016, leitet der Biotech-Entrepreneur die Novartis-Tochter. Daneben engagierte er sich in der Vorstandschaft der Swiss Biotech Association (SBA), die er seit 2013 leitet. Über seinen künftigen Verbleib ist derzeit noch nichts bekannt.

Novartis: Investitionen vor allem im Ausland

Bradners „neue Forschungsstrategie“ wirkt sich auch auf die Standorte Basel und Cambridge, (Massachusetts) aus. Dort lässt der neue Novartis-Wissenschaftschef zwei Kompetenzzentren für die bio-therapeutische Forschung einrichten, da hier „bereits eine kritische Masse an biotechnologischer Expertise bestehe, die man nun ausweiten wolle“. In Basel sollen dadurch 20 bis 25 neue Stellen entstehen.

Bedeutend mehr investiert Novartis im benachbarten Ausland. Etwa im nahegelegenen elsässischen Hüningen, wo der Konzern seit 1991 ein Biotechnologie-Produktionswerk in Betrieb hat. Weitere 100 Millionen Franken sollen demnächst in diesen Biotech-Standort gleich an der Baseler Stadtgrenze fließen. Ferner sollen die beiden österreichischen Biotech-Standorte Schaftenau und Kundl ausgebaut werden. Insgesamt will Badners Konzern in den nächsten drei Jahren eine volle Milliarde in die Produktion von Biosimilars – die Kopien von biologisch hergestellten Medikamenten – investieren.

Nachbar Roche hingegen ist heimatverbundener. Der zieht in Basel monströse Bauwerke in die Höhe, die nicht jedermanns Sache sind, und möchte innerhalb den kommenden zehn Jahre an seinem Konzernsitz rund drei Milliarden Franken investieren. Ziel sei es, so teilte der Konzern bereits Ende 2015 mit, das historisch gewachsene Areal in Basel zu verdichten und möglichst viele der insgesamt 9000 Arbeitsplätze in Basel an einem Standort zu konzentrieren.

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 08.12.2016