Editorial

Luftnummer am Abgrund

(13.10.16) Theranos, der jüngste Superstar der amerikanischen Biotechnologie, steht vor dem Aus: Die Gründerin entzaubert, das Geschäftsmodell zertrümmert, und jetzt kommen noch teure Gerichtsprozesse hinzu.

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Elizabeth Holmes (Gründerin von Theranos)
© Max Morse for TechCrunch

Vor wenigen Jahren noch schien den US-Medien kein Superlativ bombastisch genug, um die junge (!), hübsche (!!), weibliche (!!!) Unternehmerin Elizabeth Holmes zu charakterisieren: Geboren 1984 in Washington D.C., war Holmes „the next Steve Jobs“ – eine „außergewöhnliche Erfinderin“ und „Powerfrau“, die mit ihren „wegweisenden Ideen“ „die Labortest-Branche und die gesamte Blutanalyse-Methodik revolutioniert“.

Die Basis für all den Lobpreis? Nicht vorhanden. Die laut dem US-Magazin Vanity Fair „jüngste Selfmade-Milliardärin der Welt“ hatte kaum mehr geleistet als im – zugegeben jugendlichen Alter von 19 Jahren – eine weitere Biotechfirma zu gründen und innovative Luftblasen darüber zu verbreiten.

Eine Firma gegründet: na und?

Nun gibt es allein in den USA etwa 2.300 solcher Firmen, davon ist jede fünfte (sprich: rund 450 Firmen) börsennotiert. Andere Quellen sprechen sogar von mehr als 6.000 amerikanischen Biotechfirmen. Angefangen hat es in Übersee mit der Gründung von Genentech in den späten 1970ern; inzwischen kommen alljährlich knapp 100 neue hinzu. Überdurchschnittlich viele dieser Unternehmen besorgen sich ihr Kapital durch die Ausgabe von Aktien: Allein für 2015 verzeichnet die US-Biotechnologie 45 Biotech-Börsengänge. In Europa sind es weit weniger.

Editorial

Was ist so außengewöhnlich ausgerechnet an jener Firma, die Elizabeth Holmes 2003 ins Leben rief?

Das würde der Verfasser dieser Zeilen auch gerne wissen. Das famose Unternehmen heißt Theranos und besitzt als herausragendstes Merkmal seinen Standort: anfangs auf dem Campus der US-Eliteuniversität Stanford, seit 2012 in den ehemaligen Geschäftsräumen von Facebook in Palo Alto, Kalifornien. Holmes versuchte sich zwischen 2002 und 2004 in Stanford an einem Chemieingenieurs-Studium, brach ihre Ausbildung aber noch vor dem Zwischendiplom ab. Die junge, unausgebildete Frau muss ein wahres Technikgenie gewesen sein – angeblich hatte sie als Studentin so nebenher ein kleines, transportables Messgerät erfunden, das laufend die Medikation eines Patienten regelt und dessen aktuelle Blutwerte per Funk an den behandelnden Arzt meldet (zumindest erzählt sie diese Geschichte seit Jahren jedem Mikrofon, das man ihr hinhält).

Mit Startkapital überschüttet

Kein Wunder, dass sich die Investoren prügelten, um beim Wahnsinnsunternehmen dieser hochbegabten Dame dabei zu sein. Holmes’ Geschäftsidee: eine völlig neuartige, jegliche bestehende Konkurrenz vom Tisch fegende Lab-on-a-chip-Technologie für Blutanalysen („that would make testing cheaper, more convenient and accessible to consumers”). Deren Vorteil sei, dass man auf Spritzen verzichten könne. Ein winziger Bluttropfen aus der Fingerspitze genüge für alle nur denkbaren Analysen.

Binnen weniger Monate erhielt Theranos über 6 Millionen Dollar Startkapital, in den darauffolgenden nächsten Finanzierungsrunden summierte sich das eingetriebene Geld bis 2010 auf bereits 90 Millionen Dollar. Der damals in Finanzkreisen kursierende, hypothetische Unternehmenswert lag sogar bei einer Milliarde Dollar.

Interessanterweise operierte Theranos zehn Jahre lang im sogenannten „Stealth-Modus“, was nichts anderes bedeutet als dass die Firma nach außen hin, also operativ, nicht in Erscheinung trat (höchstens, um bei Wagniskapitalgebern noch mehr Geld einzutreiben). Angeblich werkelten die Theranos-Wissenschaftler derweil unter Hochdruck an der Perfektionierung von Holmes’ sensationellen Blutanalyse-System, das vollautomatisch und mit mikroskopisch kleinen Flüssigkeitsvolumina arbeiten sollte.

Ab 2013 lancierten die Firmenverantwortlichen aufsehenerregende Feature-Artikel in allen möglichen hochrangigen Publikationen, etwa im Wall Street Journal, der San Francisco Business Times, im Forbes- und im Fortune-Magazin, in denen Holmes als eine Art weiblicher Bill Gates dargestellt wurde. Ein halbes dutzend Mal zierte die Jungunternehmerin die Titelseiten ranghoher Zeitschriften. Ihre Firma hatte da bereits unglaubliche 400 Millionen (andere Quellen sprechen sogar von 750 Millionen) Dollar von seinen Investoren erhalten und wurde mit neun Milliarden Dollar taxiert (zum Vergleich: eine seriös-gefestigte, seit Jahren Gewinn erwirtschaftende und mit dutzenden von Pharmafirmen hochrangige Kooperationen fahrende Qualitätsfirma wie die deutsche Morphosys AG ist „nur“ rund eineinhalb Milliarden Dollar wert).

Vor gut einem Jahr war dann auch der angekündigte Miniatur-Blutanalysator namens „Edison“ startklar, und Theranos ging damit im Sommer 2015 unter lautem PR-Getöse auf den Markt. Man schloss ein Kooperationsabkommen mit Walgreens, der größten US-Apothekenkette, die daraufhin die Blutproben-Behälter der aufstrebenden Biotechfirma ins Sortiment aufnahm.

Aus der Traum

Der Abstieg von Wolke sieben dauerte nur wenige Monate. Bereits im Oktober 2015 ließ ein Bericht im Wall Street Journal ahnen, dass die 400 oder 750 Millionen möglicherweise in eine Luftnummer investiert worden waren: Mehrere ehemalige wie aktuelle Theranos-Mitarbeiter hatten gegenüber der Zeitung behauptet, dass „Edison“ mangels Funktionalität und Zuverlässigkeit so gut wie nie eingesetzt werde. Stattdessen würden die Laboranten in Holmes’ famoser Superfirma die zur Analyse angelieferten Blutproben auf größere Volumina hochverdünnen und dann mit den Geräten der Konkurrenz untersuchen.

Holmes dementierte das erbittert, allein: Wissenschaftlich geprüft ist Theranos’ Edison-Technologie bis heute nicht, erst recht nicht von unabhängiger Seite. Kein Mensch außerhalb der Firmentore weiß, ob Edison funktioniert oder nur großer Humbug ist.

Die Lügen einer Hochstaplerin

Längst hat auch Partner Walgreens seine Zusammenarbeit aufgekündigt und die Theranos-Probensammelkits aus den Regalen genommen. Von Holmes verkündete, angebliche Kooperationen mit den Pharmakonzernen GlaxoSmithKline und Pfizer, entpuppten sich gar als Falschangaben; beide Firmen dementierten inzwischen jegliche Zusammenarbeit mit der US-Biotechfirma. Auch weitere Aussagen der „Selfmade-Milliardärin“ bezüglich angeblichen Investoren entpuppten sich inzwischen als falsch oder zumindest stark übertrieben.

Ferner haben mehrere US-Behörden, unter anderem die Arizona Department of Health Services und die Centers of Medicare and Medicaid Services (CMS), Ermittlungen gegen die Firma aufgenommen. Die oberste US-Gesundheitsbehörde FDA wies Theranos an, die Nutzung des zu keinem Zeitpunkt validierten Edison-Geräts zu stoppen.

Immer weiter bergab

Damit rutscht das Unternehmen, das zu 50 Prozent Elizabeth Holmes gehört, immer weiter in Richtung Abgrund. Vor einer Woche gab Theranos bekannt, man werde sämtliche Testlabore schließen – 340 Mitarbeiter in Arizona, Kalifornien sowie in Pennsylvania beziehungsweise 40 Prozent der Belegschaft verloren dadurch ihre Stelle – und sich künftig allein auf den Verkauf des „MiniLab“-Bluttest-Geräts (etwa so groß wie ein Laserdrucker) an Arztpraxen und Kliniken konzentrieren. Ohnehin wussten die Angestellten regelmäßig als allerletzte, wie dramatisch es um die Firma stand - Holmes fand es nicht für nötig, ihre Mitarbeiter rechtzeitig zu informieren.

Doch auch die Mini-Lab-Technologie ist selbstredend weder unabhängig getestet, geschweige denn von den Behörden zertifiziert. Außer der bislang nicht funktionierenden Idee, winzige Blutvolumina preisgünstig und schnell zu analysieren, ist Holmes damit nichts geblieben; praktisch hat sie rein gar nichts vorzuweisen.

Die Geldgeber jammern

Kein Wunder, dass inzwischen auch die früher so begeisterten Geldgeber die Stirn runzeln. Einer der Hauptinvestoren, der in San Francisco beheimatete Hedgefonds „Partner Fund Management“, zog vorgestern die Reissleine und verklagte die Führung des Start-ups. Man sei „durch eine Reihe von Lügen getäuscht worden“, ließ die von „Hedge fund heavyweight“ William Goodell geleitete Geldverwaltungsfirma verlauten.

Getäuscht? Einen mächtigen Hedgefonds, der im Auftrag seiner Anleger mit Milliarden jongliert? Wie putzig. Solche Konzerne werben doch regelmäßig mit ihren superkompetenten, teuerst ausgebildeten und hochbezahlten „Professionals“ (mit ihrer „hands-on experience“, ihrem „active networking“ und einem „deep sector knowledge“). Waren die in der Praxis tatsächlich doofer als jeder 17-jährige mit fünf Gramm Menschenverstand – unfähig, die hochtrabenden Phantastereien einer Hochstaplerin zu erkennen?

Es sieht ganz danach aus.

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 03.11.2016