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Forscher-Anekdoten (2): Wo sind die Ideen?

(24.10.16) Eine Forscherin wunderte sich über fehlende Kreativität und mangelnden Mut von Postdoc-Anträgen. Also fragte sie nach...
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Kürzlich rief eine alte Doktoranden-Kollegin an. Im Gegensatz zum Autor dieser Zeilen hatte sie eine gewisse Karriere in der Forschung gemacht. Und es dauerte keine zwei Minuten, da hatte sie das Gespräch auf ihren letzten Begutachtungs-Marathon gebracht. Ein gutes Dutzend Anträge hatte sie für ein Postdoktoranden-Programm zu bewerten gehabt.

„Ehrlich gesagt, wirklich begeistert hat mich keiner der Anträge“, stellte sie das Fazit gleich an den Anfang.

Okay, das Interesse war geweckt – ich fragte nach, warum.

„Ach, auf den ersten Blick klangen ja eigentlich alle ganz gut,“ fuhr sie fort. „Klar geschrieben, logisch aufgebaut, zielführende experimentelle Strategie,… Als ich die Projekte dann aber mal auf die Frage abklopfte, welche wirklich neuen Erkenntnisse die Projekte wohl bringen könnten, blieb bei allen Anträgen nicht mehr viel übrig. Da wollte etwa einer mit Organismus X machen, was schon mit A, B und C gemacht wurde. Der nächste wollte mit einer frischen Methode einen Prozess untersuchen, der schon ausreichend detailliert beschrieben ist. Wieder eine andere Kandidatin wollte nach den neuesten Regeln der Kunst eine Methode „weiter optimieren“, die sowieso schon hinreichend gut funktioniert. Und so ging es weiter... Irgendwann hatte ich jedenfalls das Gefühl, dass den Leuten immer weniger interessante Fragen einfallen. Es fehlten einfach echte Ideen

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Hmm... Und was sie denn wohl meinte, welches die Ursachen dafür sein könnten?

„Ich denke, das Übel liegt zu einem guten Teil an der Ausbildung“, sinnierte die Ex-Kollegin. „Es gibt doch kaum Veranstaltungen, in denen man versucht, den Leuten gezielt kreative Wissenschaft beizubringen. Also wie man gute Fragen stellt, wie man echte Themen erkennt und Ideen entwickelt – und wie man daraus schließlich testbare Hypothesen ableitet und aussagekräftige Experimente konstruiert. Genau so wenig nehmen sich die Betreuer die Zeit, um mit ihren Studenten deren Projekte von Anfang an gemeinsam und flexibel zu entwickeln.“

Und quasi als Beleg lieferte sie noch folgende, ihrer Ansicht nach „sehr passende Anekdote“:

„Vor einem halben Jahr besuchte ich während eines großen Meetings die übliche Poster-Session. Alles junge Leute – und ein Poster langweiliger als das andere. Auch hier: Kaum wirkliche Fragen dabei. Stattdessen ging es meist darum, über ein kleines Detail noch mehr Details herauszubekommen. Irgendwann habe ich dann angefangen, die Leute der Reihe nach zu fragen, wie sie denn überhaupt zu den Projekten gekommen waren, die sie auf ihren Postern vorstellten. Und weißt du, was nahezu alle antworteten?“

Nein, wusste ich in dem Moment natürlich nicht.

Ihre Stimme bekam einen durchaus bissigen Unterton, als sie die Antwort gleich selbst gab: „Hab‘ ich von meinem Betreuer angewiesen bekommen.“

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 14.11.2016