Editorial

Haut und Hirn

(3.11.16) Allianzen allenorten: Zwei Größen der deutschen Biotechnologie präsentieren neue Partner und Projekte. Es geht um Dermatologie und Neuro-Medikamente.
editorial_bild

Simon Moroney (links); Werner Lanthaler (rechts)
© Morphosys/Evotec

LEO Pharma aus Ballerup, Region Hovedstaden – schon mal gehört? Zumindest der Laborjournal-Redakteur musste nachschlagen. Also: Der dänische Arzneimittelhersteller wurde 1908 als „Kobenhavns Loveapoteks kemiske Fabrik“ gegründet, gehört also zu den ältesten seiner Branche, in einer Linie mit den bekannteren deutschen Konzernen Merck (gegründet 1827) und Boehringer Ingelheim (1885). Heute ist LEO Pharma in Besitz der privaten LEO-Stiftung und beschäftigt mehrere tausend Mitarbeiter. Je nach Quelle sind es „mehr als 3.000“ (deutsche Wikipedia), „um die 4.600 Spezialisten“ (deutsche Firmenwebsite), „4.733“ (dänische Wikipedia) oder auch „rund 5.000“ (jüngste Pressemitteilung). Wie auch immer – die LEO-Angestellten erwirtschafteten 2014 etwas mehr als eine Milliarde Euro Umsatz. Chefin im Haus ist seit 2008 die Betriebswirtschaftlerin Gitte Aabo, die seit mehr als 20 Jahren bei LEO arbeitet. Die Dänen aus dem Kopenhagener Speckgürtel legen offensichtlich Wert auf Kontinuität.

Editorial

Diese Kontinuität soll auch die LEO-Stiftung, gegründet 1983 von der Besitzerfamilie Abildgaard, sicherstellen. Dank ihr können die Gewinne der Firma nicht an externe Anteilseigner fließen und werden auch weiterhin „in die Forschung und Entwicklung neuer Medikamente investiert“. So steht es zumindest auf der Firmenwebsite. Mit anderen Worten: Ein Ausverkauf des Konzerns durch die Erben sollte verhindert werden, als das Ehepaar Knud und Gertrud Abildgaard in den 1980ern abtrat. Abgesehen von diesen in der Pharmabranche eher ungewöhnlichen Besitzverhältnissen ist LEO ein ganz normaler Pharmakonzern, der unter anderem einer der größten Hersteller von Heparin ist und sich auf Dermatologie, Knochenstoffwechsel und Koagulation konzentriert.

Martinsried/München: Ein lukrativer Hauterkrankungs-Deal für Morphosys

Warum dies alles unsere Leser interessieren könnte? Ganz einfach: Simon Moroney, Chef des oberbayerischen Antikörper-Herstellers Morphosys, hat sich vor nicht allzu langer Zeit mit LEOs Vorstandschefin Aabo getroffen und dabei ein Bündnis ausgehandelt: Die beiden Firmen wollen künftig bei der Entwicklung therapeutischer Antikörper gegen Hauterkrankungen zusammenarbeiten. Im Business-Jargon wird so etwas „strategische Allianz“ genannt – ein aufgeblasenes Buzzword für die schlichte Tatsache, dass zwei Firmen ihre jeweiligen Stärken zusammenlegen und bei ihrer Forschung und Entwicklung Teamwork betreiben.

In diesem Fall geht es, wie erwähnt, um Immuntherapeutika: LEO und Morphosys wollen gemeinsam Antikörper gegen mehrere, von LEO Pharma ausgewählte, Zielmoleküle identifizieren, validieren und entwickeln. Im Zentrum steht dabei natürlich die „Ylanthia“-Technologieplattform der deutschen Biotechfirma; mit ihr werde Morphosys im Rahmen der Zusammenarbeit „vollständig humane Antikörperkandidaten gegen die ausgewählten Zielmoleküle erzeugen“. Die Martinsrieder übernehmen damit die erste Wegstrecke: Sämtliche Entwicklungsaktivitäten bis zum Beginn der klinischen Prüfung (Phase I) werden in Bayern ablaufen.

Danach geht der Stab über zu den Dänen: LEO Pharma kümmert sich im Erfolgsfalle um die klinische Entwicklung (Phasen I bis III) und die Vermarktung der entstandenen Wirkstoffe. Mit einer Ausnahme: Krebs. Sollten bei den gefundenen Antikörpern auch welche dabei sein, die gegen Hautkrebs wirken, hätte Morphosys ein Mitspracherecht. Die Martinsrieder dürften diese dann klinisch mitentwickeln und im Erfolgsfalle in Europa gemeinsam mit LEO vermarkten. Bei mutmaßlichen Krebswirkstoffen in anderen Indikationen fällt LEO sogar komplett raus; diese blieben komplett unter der Hoheit und damit im Besitz von Morphosys.

Was springt dabei heraus? Für Morphosys im besten Fall 111,5 Millionen Euro – und das pro Antikörperprogramm! Allerdings nur, wenn auch alle Entwicklungs-, Zulassungs- und Umsatzziele erreicht werden, das heißt, das entsprechende Mittel irgendwann einmal im Apothekenregal landet.

Eine Vereinbarung wie diese würde den Mitarbeitern jeder anderen deutschen Biotechfirma ein wochenlanges Dauergrinsen ins Gesicht zaubern, deren Aktionären sowieso. Für Morphosys ist der lukrative LEO-Deal jedoch „nur“ einer von vielen. Gemeinsam mit ihren bisherigen Kooperationspartnern beforscht und entwickelt das vor 24 Jahren gegründete Unternehmen derzeit mehr als 100 Antikörper-basierte Wirkstoffkandidaten zur Behandlung von Krebs, rheumatoider Arthritis, Alzheimer – und und und. Auch wenn die Nachricht, die am gestrigen Mittwoch (2. November) verbreitet wurde, also wirklich erfreulich ist: In der beständigen Folge ähnlicher Erfolgsmeldungen aus Martinsried geht sie fast ein wenig unter. Der Morphosys-Aktienkurs spiegelt diese Geringschätzung wieder: Ein Anstieg um klägliche zwei Prozent nach einem derartigen Millionendeal ist schwer verständlich. Es gab Zeiten, es ist noch nicht so lange her, da verdoppelten sich die Kurse von Biotechfirmen nach weniger relevanten Nachrichten.

Hamburg: Evotec möchte mit UCB Medikamente für ZNS-Beschwerden finden

In Martinsried ist’s der Neuseeländer Simon Moroney, der die Zügel fest in der Hand hält – in Hamburg, beim Wirkstoffentwickler Evotec, ist’s der Österreicher Werner Lanthaler. Und der hatte Ende Oktober ebenfalls Erfreuliches für seine Firma zu vermelden: Die Evotec AG werde in den nächsten drei Jahren mit dem belgischen Pharmakonzern UCB zusammenarbeiten; dieser verdient sein Geld mit Arzneimitteln zur Behandlung von Epilepsie, rheumatoider Arthritis und Parkinson. Zusammen wolle man niedermolekulare und Antikörper-basierte Wirkstoffe finden, mit denen Erkrankungen des zentralen Nervensystems behandelt werden könnten. Ansonsten hält man sich jedoch bedeckt in Hamburg. Finanzielle Details etwa wurden nicht bekanntgegeben, was es schwer macht, die Tragweite dieser Kooperation zu beurteilen.

Kein Wunder also, dass der Evotec-Aktienkurs zunächst kaum auf die Nachricht reagierte. Das kann allerdings auch damit zusammenhängen, dass Evotec nur sechs Tage später bekanntgab, man plane die Übernahme des britischen Auftragsforschungsunternehmens Cyprotex (mit Firmenhauptsitz nahe Manchester/Nordengland). Dieser Kauf würde, falls er gelingt, die Hanseaten immerhin 62 Millionen Euro kosten – eine immense Ausgabe, die normalerweise den Kurs eines börsennotierten Unternehmens stark drückt. In diesem Fall hatte die Verkündung der Übernahme-Absicht jedoch so gut wie keine Auswirkung. Warum dies? Möglicherweise liegt’s daran, dass sich die Übernahme von Cyprotex, glaubt man CEO Lanthaler, „positiv auf die Umsätze auswirken und 2017 zum Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) beitragen wird“ und somit „sofort wertschöpfend“ sei. Oder der Grund war schlicht der, dass die – aktientechnisch – „gute“ Nachricht (Kooperation mit UCB) von einer wenige Tage später folgenden „schlechten“ Nachricht (teurer Kauf einer anderen Firma) neutralisiert wurde.

Mehr biotechnologische Kaffeesatzleserei gibt’s wieder nächste Woche an dieser Stelle. Frohes Forschen und Entwickeln!

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 23.11.2016