Editorial

Hokuspokus in den Lokus

(24.11.16) Wie gemein: Die amerikanische Handelskommission FTC fordert, dass Homöopathen künftig die Wirksamkeit ihrer Werbeversprechen – und damit ihrer Zuckerkugeln – nachweisen müssen. Wie soll das gehen? Nur ein Wunder kann noch helfen.
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Das richtige Örtchen für Pseudomedikamente
© Diana

Dass man Marketingphrasen nicht wörtlich nehmen darf, weiß jeder Zehnjährige. Flüssige Gummibärchen aus Österreich bewirken natürlich keine Flügel, sondern mit Blechdosen zugemüllte Straßenränder; der „Vorsprung“ eines bayerischen Automobilherstellers ist offenbar weniger durch Technik als vielmehr durch Schummeln mit Abgaswerten entstanden; und im Falle eines Falles klebt der Kleister mit den drei Großbuchstaben vielleicht Papier und Pappe, aber keineswegs alles. Geht es jedoch um medizinische Heilsversprechen, so fallen Erwachsene oftmals noch hinter das Geistesniveau von Zehnjährigen zurück – und glauben alles, was man ihnen vorgaukelt. Je abwegiger, desto eher.

Größtmögliche Freiheit, auch Unsinniges zu tun

Es ist nicht verboten, alles zu glauben. In freiheitlichen Demokratien ist es bewährte Tradition, dem Bürger nicht in sein Privatleben dreinzureden und nur Angelegenheiten, die die Allgemeinheit betreffen, mit Gesetzen zu regeln. Jeder möge also glauben und tun, was er mag, solange er damit Dritte nicht beeinträchtigt. In jungen, noch unreifen Demokratien hingegen erzeugt größtmögliche Freiheit paradoxerweise Angst und Unsicherheit – und daher geht man den entgegengesetzten Weg: Man zwingt den Bürger zu seinem Glück, mit einem Wust staatlicher Verordnungen, die das Leben bis ins heimische Wohnzimmer hinein regulieren. Damit der brave Bürger bloß nichts falsch macht – beziehungsweise das, was man von ihm erwartet.

Editorial

Wie anders ist Amerika! Mal abgesehen von Lappalien wie Telefonüberwachung, Kriegsgefangenenfolter und notorisch prügelnden Polizisten, hält sich die älteste Demokratie der Welt streng an jene freiheitichen Grundsätze, die ihr ihre Verfassung seit 1787 vorgibt: uneingeschränkte Meinungsfreiheit, Eigenverantwortlichkeit des Individuums sowie Zurückhaltung des Staates in Privatangelegenheiten. Jeder US-Bürger darf nach seiner Fasson glücklich werden, ohne dass sich der Staat einmischt. Auch, wenn er als Tellerwäscher scheitert und den Rest seines Lebens unter Brücken schlafen muss. Eine konsequente Einstellung, bei der es dem mit Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag, GEZ-Zwangsbeglückung und Rauchmelderpflicht wohlversorgten Mitteleuropäer eiskalt den Rücken herunterläuft. Aber so sind sie eben, die Amerikaner: Wollen sich einfach nicht dagegen absichern, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt.

Ausnahme vom Laissez-faire-Prinzip?

Nun aber scheint man in den USA mit einer Ausnahme vom Laissez-faire-Prinzip zu liebäugeln – und will offenbar ausgerechnet der Wunderheiler-Branche ins lukrative, bisher nicht behördlich geregelte Geschäft hineinregieren. Wie anders soll man es verstehen, was die amerikanische Handelskommission FTC – zuständig für fairen Wettbewerb in Wirtschaftsdingen – am 15. November verkündete: Man erwarte, dass künftig auch die bislang davon ausgenommenen Homöopathen die Wirksamkeit ihrer Präparate nachweisen. Im amerikanischen Original liest sich das so:

… the FTC will hold efficacy and safety claims for OTC homeopathic drugs to the same standard as other products making similar claims. That is, companies must have competent and reliable scientific evidence for health-related claims, including claims that a product can treat specific conditions. The statement describes the type of scientific evidence that the Commission requires of companies making such claims for their products.”

Die Wettbewerbsbehörde verlangt also, dass die Hersteller homöopathischer Mittel künftig beweisen, dass diese wirken; nur dann gelten sie auch als Medikament. Können sie das nicht, muss auf der Packung stehen, dass das Präparat keine nachgewiesene Wirkung hat – sowie, dass die behaupteten Effekte auf Theorien aus dem 18. Jahrhundert basieren, die heute längst überholt seien. Denn wie die FTC weiter betont: „For the vast majority of homeopathic drugs, (…) there are no valid studies using current scientific methods showing the product’s efficacy. As such, the marketing claims for these products are likely misleading, in violation of the FTC Act.”

Insofern ist es kein Wunder, wenn die FTC weiter klarstellt: “Homeopathic theories are not accepted by most modern medical experts.”

Wobei das Wort “most” kritisch zu hinterfragen ist: Sind die meisten “medizinischen Experten” wirklich homöopathiekritisch eingestellt? Es sieht nicht so aus, zumindest in Deutschland, dem Traumland für Homöopathen. Die Mehrheit der Ärztegilde hierzulande surft doch längst auf der lukrativen Homöopathie-Welle mit – ob aus Überzeugung, aus Gewinnstreben oder aus ökonomischem Selbsterhaltungstrieb, sei dahingestellt. Doch wenn erschreckende zwei Drittel der deutschen Patienten gezielt Humbug verlangen oder zumindest solchem nicht abgeneigt sind, hat man es als Arzt eben schwer.

„Irreführende Werbung“ für homöopathische Produkte

Die einflussreiche US-Wettbewerbsbehörde hat mit ihrer jüngsten Verlautbarung dagegen einen Paukenschlag gesetzt – obwohl sie ja nur das fordert, was ohnehin logisch, erwartbar und selbstverständlich ist, und von jedem, der halbwegs klar denken kann, schon immer gefordert wird: die Gleichbehandlung von Esoterika. Bisher war diese Gleichbehandlung bekanntermaßen nicht gegeben – nicht in Deutschland, und offenbar auch nicht in Amerika. Reguläre Pharmaunternhemen mussten ihre Medikamente einer strengen und teuren Prüfprozedur unterziehen, die homöopathische Wunderheilerbranche hingegen durfte behaupten, was sie wollte, ohne es beweisen zu müssen (siehe AMG, § 38). Als Dank feindet man die Pharmaindustrie an, weil deren Präparate so unverschämt teuer seien. Nun ja... die Homöopathen müssen ja auch keine klinischen Studien liefern, die mehrere hundert Millionen Euro kosten.

Dies alles zeigt, wie groß der politische Einfluss der Homöopathie-Industrie ist, und wie durchsetzt die politischen, behördlichen und kassenärztlichen Gremien mit Homöopathie-Gläubigen und -Profiteuren sind. Denn noch immer dürfen die teuren Globuli, Komplexmittel und Zubereitungen munter samt abstruser Heilsversprechen Patienten verabreicht werden, ohne dass es einen Nachweis für deren Wirkung gäbe – und werden immer öfter sogar von den Krankenkassen bezahlt. Verrückt!

„Heilen“ mit Zement und Plutonium

Dabei gibt es längst unzählige seriöse Studien, in denen klar gezeigt wurde, dass „Streukügelchen“ und homöopathische „Potenzen“ keinen Effekt auf das Patientenbefinden haben. Zumindest keinen, der über den eines Scheinmedikaments hinausgeht. Dass man sich im Gegenteil sogar in Gefahr bringen kann, wenn man statt evidenzbasierter Medizin auf dubiose Wundermittelchen wie Homöopathika setzt, ist noch viel weniger in den Patientenköpfen angekommen. Dabei liegt es doch auf der Hand, dass es gesundheitlich nachteilig ist, wenn man eine nachweislich heilende, evidenzbasierte Behandung unterlässt oder zumindest verschleppt – und sich stattdessen erst mal in die Obhut eines Pseudomediziners begibt. Oder wenn man sich Substanzen reinpfeift, deren Inhaltsstoffe unbekannt oder bekanntermaßen giftig sind. Wussten Sie etwa, dass in Homöopathika zum Beispiel Zement, Plutonium, Quecksilber oder Tuberkulose-Erreger enthalten sein können?

Aber zurück zur FTC und deren längst überfälliger Ankündigung, Homöopathika künftig genauso zu behandeln wie jedes andere Medikament. Es ist allerhöchste Zeit, dass die deutschen Behörden sich den US-Kollegen anschließen. Die EU sowieso - die reguliert doch sonst immer alles Lebensnotwendige – den Stromverbrauch von Föns und Glühbirnen, die maximal erlaubte Salzmenge in Brot und die Höchstlänge von Schnullerketten. Wieso macht sie ausgerechnet bei dubiosen Scheinmedikamenten eine Ausnahme?

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 07.02.2017