Editorial

Der unsichtbare Professor

(6.3.17) Bei Professoren und ihren forschenden Labormitarbeitern rangieren Praktikanten wahrscheinlich auf der untersten Stufe der Interessensskala. Wie sich das manchmal für die Betroffenen anfühlt, schildert eine Ex-Praktikantin.
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„Morgen beginnt der erste Tag meines Praktikums!“ Voller Vorfreude quietsche ich den Satz ins Telefon – als Antwort auf die Frage meiner Mutter, was denn nächste Woche so anstehe.

„Wunderbar! Klingt gut!“, freut sich meine Mutter mit mir.

Klar, ist es wunderbar. Doch um ehrlich zu sein, habe ich auch gemischte Gefühle. Das mit dem Praktikum war nämlich gar nicht so einfach – und das dürften viele Studenten kennen. Während man von einem Semester ins nächste hüpft, stehen leider immer wieder einige (lästige) Pflichten an: Ob Protokolle schreiben, Praktika absolvieren oder irgendwelche Übungen mitmachen – eigentlich hat man während der Vorlesungen nie so wirklich Zeit dafür. Und Lust umso weniger.

Für meine „Leidensgenossen“ und mich standen nun zwei eher langweilige Module an. Da kam der Ruf unserer Studiengangs-Koordinatorin genau richtig: „Ihr könnt anstatt eines der Module auch ein Praktikum machen. Egal ob in der Industrie oder an der Uni.“ Die Begeisterung war – zumindest bei mir – riesig, und so entschied ich mich auch aus Bewerbungs-Unlust für letzteres. Zumal das Labor, dass ich mir daraufhin aussuchte, ziemlich interessant klang – und auch der betreffende Professor in der Vorlesung sehr nett wirkte.

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Also war ich vor einigen Monaten einfach in seine Arbeitsgruppe gestiefelt und hatte ihn nach einem Platz gefragt. Ganz locker hatte er gesagt: „Ja, klar“ – und die Sache war geritzt. Da ich zur Sorte Mensch gehöre, die sich ungern auf andere verlässt, hatte ich nur noch schnell gemeint, dass ich mich vor Beginn noch mal melden würde… 

„Schon da hätte ich es ahnen müssen“

Gesagt, getan. Oder vielmehr versucht. Denn ich hätte mich wirklich gerne bei ihm gemeldet – wenn ich ihn erreicht hätte. Auf eine E-Mail meinerseits kam keine Antwort, und ans Telefon ging er auch nicht. Schon da hätte ich es ahnen müssen.

Also marschierte ich nach den erfolgslosen Kontaktversuchen erneut in Richtung Institut. Dort angekommen traf ich jedoch nur seine Sekretärin, die mir aber immerhin versprach, einen Zettel zu hinterlegen.

„Hast Du denn einen Termin mit ihm?“, fragte sie mich, als sie blitzschnell die Kugelschreiber-Miene mit einem Klicken wieder einfuhr.

„Na ja, es war geplant, dass mein Praktikum nächste Woche anfängt und ich mich vorher noch mal melde“, erklärte ich meine Störung.

„Dann komm doch einfach am Montag – da wird er schon da sein.“

Na hoffentlich, dachte ich nur.

„Und wann geht es morgen dann los?“, holt mich meine Mutter zurück in die Gegenwart.

„Äh..., um neun soll ich da sein!“ 

„War er denn heute schon mal da?“

Entsprechend gehe ich am nächsten Morgen in Richtung Institut. Es ist kurz vor neun, als ich vor dem großen Glaspalast ankomme. Der Himmel ist strahlend blau, sodass sich die Sonne in den großen Scheiben spiegelt und die Fensterrahmen metallisch glitzern. Ich öffne die meterhohe Tür und fahre mit dem Aufzug in den ersten Stock. Nicht das ich faul wäre, aber leider erreicht man die Stockwerke nur über den Aufzug. Oder die Feuertreppe, für die ich aber einen Schlüssel bräuchte. Auf den Gängen herrscht Totenstille, und so schleiche ich förmlich zur Bürotür „meines“ Professors. Mit sanfter Hand drücke ich die Klinke herunter und öffne leise die Tür. Wieder sitzt da die freundliche Sekretärin. Und wieder kein Professor.

„War er denn heute schon mal da?“, frage ich enttäuscht und nicke seinem leeren Bürostuhl entgegen.

„Nein, aber er müsste gleich kommen. Du kannst Dich da hinsetzen!“

Also setze ich mich auf einen leeren Stuhl und warte. Und warte. Und warte.

Nach fast einer Stunde und einigen Versuchen der Sekretärin, Herrn Professor telefonisch zu erreichen, geben wir beide auf.

„Das tut mir jetzt aber Leid“, sagt sie ehrlich mitfühlend. „Bevor Du hier ewig wartest, lass uns mal gemeinsam ins Labor gehen, vielleicht kann sich da jemand um Dich kümmern." Sekretärinnen können manchmal wahre Engel sein.

Also gehen wir hoch in den zweiten Stock und treffen schon in der Küche auf eine Gruppe, die gemütlich an einem runden Tisch sitzt und Kaffee-trinkend plaudert.

„Wisst ihr zufällig, wo euer Professor ist?"

Die Gruppe erschrickt förmlich aus ihrem Kaffee-Delirium, und eine Schar leicht verschlafener Augen schaut uns beide an. Erst die Sekretärin, die gefragt hatte – und dann mich, die ich wahrscheinlich wie ein Häufchen Elend neben ihr stehe. Alle schütteln den Kopf. 

„Kann sich denn wenigstens heute jemand um sie kümmern?"

„Nun, das hier ist jedenfalls eure neue Praktikantin“, meint die Sekretärin – und die Augen der Kaffeeschlürfer werden immer größer.

„Neue Praktikantin?“, fragt der einzige Mann der Gruppe.

„Hat er euch nichts gesagt?“, erwidert die Sekretärin.

Nein, hat er natürlich nicht. Ich fühle mich ziemlich verloren.

„Kann sich denn wenigstens heute jemand um sie kümmern?", fragt sie weiter.

Schon wieder Kopfschütteln. Jetzt fühle ich mich auch noch total überflüssig. Jeder einzelne aus der Kaffee-Gruppe erklärt, dass sie beziehungsweise er viel zu beschäftigt sei. Und nein, einen „Klotz am Bein“ könne gerade heute keiner gebrauchen. Aber wer kann es ihnen auch verübeln.

Das Sekretärin-Engelchen schlägt daher resigniert vor, ich solle morgen wieder kommen.

Ich verabschiede mich also, fahre mit dem Aufzug wieder in das Erdgeschoss und trete aus dem klobigen Glaskasten heraus. Es ist kurz vor halb elf. Die Sonne steht nun kurz vorm Zenit und reflektiert sich noch stärker in den großen Scheiben, sodass es mich unschön blendet. Wie ärgerlich – und dabei hatte ich mich so auf das Praktikum gefreut.

Juliet Merz



Letzte Änderungen: 15.03.2017