Editorial

Das interessanteste Genom der Welt

(23.3.17) Fünf Forscherteams streiten mit ihren Modellorganismen um die Gunst der Öffentlichkeit. Dem Gewinner winkt eine kostenlose Genomsequenzierung. Mit dabei: ein deutsches Team mit solar­getriebenen Meeresschnecken.
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Elysia timida
© Heike Wagele (ZMFK Bonn)

Schnecken gehören in der Regel nicht zu den Tieren mit hohem Sympathiewert. Anders sieht es aus, wenn man eine fotosynthesetreibende „grüne“ Schnecke ist. In diesem Fall schafft man es manchmal sogar bis in den Wissenschaftsteil der Welt und der Süddeutsche Zeitung. Grüne Meeresschnecken galten vor ein paar Jahren als erster beschriebener Fall von horizontalem Gentransfer zwischen zwei eukaryotischen Arten. Gene aus dem Genom von Algen sollten dabei in großer Menge ins Schneckengenom gelangt sein, um durch ihre Aktivität die Funktionsfähigkeit der mit der Nahrung aufgenommenen Chloroplasten zu gewährleisten.

Doch so schön dies klingt, halten die meisten Wissenschaftler die Gentransfer-Hypothese inzwischen für widerlegt. Zu ihnen gehören die Schneckenforscher am Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig (ZFMK) in Bonn, die untersuchen, wie es den Tieren gelingt, mit Hilfe der aufgenommenen Plastiden bis zu mehrere Monate ohne Nahrung auszukommen. Helfen soll dabei die vollständige Sequenzierung des Genoms von Elysia timida, die zu den Spitzenreitern der „Hungerkünstler“ gehört. Dazu haben sich die Bonner mit ihrem Forschungsvorhaben für den „SRMT Plant and Animal Grant“, ein Sequenzierstipendium  der US-amerikanischen Firma Pacific Biosciences beworben und stehen dort nun mit vier weiteren Projekten in der Endausscheidung.

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Pacific Biosciences mit Hauptsitz inmitten des kalifornischen Silicon Valleys, hat sich der kommerziellen Analyse von Genomen verschrieben und veranstaltet jährlich einen Wettbewerb zur Vergabe des Stipendiums, dessen Hauptgewinn aus einer kostenlosen Sequenzierung mit der firmeneigenen „Single Molecule Real-Time (SMRT)“-Sequenziertechnologie und der Assemblierung des entsprechenden Genoms besteht. In der ersten Stufe des Wettbewerbs wählt eine Jury aus Wissen­schaftlern die ihrer Meinung nach fünf interessantesten Projekte aus. Anschließend ist die Öffentlichkeit aufgefordert, online über diese fünf Projekte abzustimmen und so einen Gewinner zu küren.

Im letzten Jahr war dies beispielsweise die Fetthenne Sedum alfredii, die hohe Schwermetall­konzentrationen toleriert und Metalle wie Cadmium, Zink und Blei aus kontaminierten Böden aufnimmt. Damit kann sie helfen, belastete Böden zu regenerieren. Ein weiteres Stipendium, der SMRTest Microbe Grant, wurde für die Metagenomanalyse des Darmmikrobioms des Dreizehn­streifen-Hörnchens (Ictidomys tridecemlineatus) vergeben. Der Winterschläfer ist ein Modellsystem für die Fettspeicherung. Dieses Jahr wurden folgende fünf Finalisten aus über 200 Bewerbern ausgewählt:

Mit den Dingos tanzen (Bill Ballard, University of New South Wales und Claire Wade, University of Sydney, Australien) – Im Rahmen des australischen Projekts soll das Genom eines echten Wüstendingos (Canis lupus dingo) sequenziert werden. Dieser stellt eine Zwischenstufe zwischen Wolf und Hund dar und war früher eines der wichtigsten Raubtiere auf dem australischen Kontinent. Heute ist er jedoch vom Aussterben bedroht. Die Forscher interessieren sich für den Übergang vom Raubtier zum domestizierten Haustier. Das Genom soll zudem helfen, reine Dingos von Mischlingen mit Hunden zu unterscheiden, um die Art schützen zu können.

Explodierende Käfer (Tanya Renner et al., San Diego State University, USA) – Der Bombadierkäfer (Brachinus elongatulus) vertreibt seine Feinde, indem er einen kochend heißen Chemikalien-Mix aus seinem Hinterleib schießen lässt. Die Wissenschaftler aus Kalifornien, Arizona und New Jersey interessieren sich für die Synthese dieser Chemikalien und wünschen sich deshalb einen Einblick in die Architektur und Regulation der Biosynthesegene. Zudem soll das Käfer-Genom darüber Aufschluss geben, wie sich der Käfer vor seinem eigenen Chemie-Cocktail schützt, und ob an der biosynthetischen Meisterleistung symbiontische Mikroorganis­men beteiligt sind.

Rosa Tauben (Matt Clark, Earlham Institute und Cock Van Oosterhout, University of East Anglia, Norwich, Großbritannien) – Die auf Mauritius endemische Rosentaube (Nesoenas mayeri) war im Jahr 1990 mit nur noch 10 freilebenden Individuen nahezu ausgestorben. Heute geht die Zahl wieder in die Hunderte, aber noch immer sterben mehr als die Hälfte der Jungtiere an Infektionen mit dem einzelligen Parasiten Trichomonas gallinae. Britische Forscher – neben dem deutschen das einzig weitere europäische Team in der Endausscheidung – untersuchen die Mechanismen, durch die manche Individuen resistent gegen die Erreger werden. Sie sollen gezielt für die Zucht und Auswilderung verwenden werden, um das Aussterben der Rosentaube zu verhindern.

Solargetriebene Schnecken (Carola Greve und Alexander Donath, Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig, Bonn, Deutschland) – Als eines von nur zwei europäischen Projekten erreichte die im Mittelmeer vorkommende Meereschnecke Elysia timida den Endausscheid. Sie stiehlt ihren Nahrungsalgen Chloroplasten und verwendet diese, um damit selbst Photosynthese zu betreiben. Mit Hilfe des Schneckengenoms möchten die deutschen Wissenschaftler endlich die Frage beantworten, wie die Funktionalität der Chloroplasten über Monate aufrechterhalten wird, obwohl diesen viele Gene für essentielle Proteine fehlen. Neben den Chloroplasten nutzt die Meeres­schnecke auch Sekundärmetabolite der Nahrung, um für Feinde ungenießbar zu werden. Viele dieser Substanzen haben einen potentiellen biomedizinischen Nutzen, und deshalb sollen die Genomdaten auch helfen, deren Biosynthese zu entschlüsseln.

Die Tempel-Grubenotter (Mrinalini et al., National University of Singapore, Singapur) – Viele Schlangen besitzen einen ausgefeilten Giftcocktail, um ihre Beute zur Strecke zu bringen. Manche der Inhaltsstoffe wie Neurotoxine sind außerordentlich interessant für die Entwicklung von Medikamenten. Die aus dem Schlangentempel von Penang (Malaysia) bekannte Waglers Lanzenotter (Tropidolaemus wagleri) gilt als Dienerin des buddhistischen Heiligen Chor Soo Kong, dem zu Ehren der Tempel errichtet wurde. Die Grubenotter produziert eine Gruppe ungewöhnlicher, nach ihr benannter Toxine. Die Entstehung der Toxine, vor allem der Waglerine, untersucht eine Kooperation von Forschern aus Singapur und den USA.

Und wie würden Sie entscheiden? Geben Sie Ihrem Favoriten HIER Ihre Stimme.

Abgestimmt werden kann noch bis zum 04. April täglich unter Angabe einer E-Mailadresse und bei der Verwendung mehrerer Adressen sogar dreimal am Tag pro Person. Gewinnt Ihr Favorit nicht, können Sie ihm nach beendeter Abstimmung sogar direkt über die Seite Geld spenden und so dabei mithelfen, ein spannendes Projekt doch noch zu verwirklichen. Falls Sie dagegen selbst ein Genom sequenzieren lassen möchten, merken Sie am besten schon einmal den Anmeldeschluss für den Wettbewerb Ende Januar 2018 vor.

Larissa Tetsch



Letzte Änderungen: 19.04.2017