Editorial

Viel Trara und zweitausend Euro

(20.4.17) Die drei Bioregio-Preise 2017 gehen an Forscher aus Erlangen, Hamburg und Tübingen. Sie haben Bio-LEDs, einen HIV-Staubsauger und eine Netzhaut-erhaltende Therapie ausgetüftelt.
editorial_bild

Die Preisträger des Bioregio-Innovationspreises 2017
© Sera Kurc und Constantin Falk

„Viele kleine Dinge wurden durch Werbung groß gemacht“ – wie recht Mark Twain damit hatte! Twains Bonmot aus dem vorletzten Jahrhundert ist aktuell wie eh und je, und es lässt sich auch wunderbar auf die drei Gewinner der diesjährigen „Innovationspreise der deutschen Bioregionen“ anwenden. Denn wen würde es zum Beispiel schon groß interessieren, dass Wissenschaftler der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) weiß leuchtende LEDs entwickelt haben, die sich umweltfreundlich und in Serie produzieren lassen? Wohl nur ein paar Biotech-Freaks, und dazu vielleicht noch ein paar Elektronik-Unternehmen, die mit den neuartigen Leuchten später mal in Serie gehen möchten.

Doch im April kürte die Wettbewerbs-Jury der deutschen Bioregionen eben dieses FAU-Projekt sowie dessen Initiatoren zu einem der drei Preisträger 2017, und prompt ist das Interesse plötzlich riesengroß. Uwe Sonnewald, seit 2004 Chef des Erlanger Lehrstuhls für Biochemie, hat mit seinem Team fluoreszierende Proteine – wir zitieren aus der Bioregio-Pressemitteilung – „in ein gummiartiges Material eingebettet und auf eine LED aufgebracht“. Durch die Kombination unterschiedlicher Leuchtproteine, heipt es weiter, „konnten die FAU-Forscher erstmals Weißlicht-LEDs auf Proteinbasis herstellen“.

Editorial

LEDs auf Proteinbasis – wow! Und weil sich diese Beschichtung laut Sonnewald auch für die Herstellung von Leuchtdisplays eignet, dürften schon bald die ersten Interessenten aus der Industrie bei dem mittelfränkischen Biochemiker anklopfen (wenn sie es nicht ohnehin bereits längst getan haben). Denn die weiß leuchtenden „Bio-LEDs“ lassen sich laut Sonnewald preiswert und umweltfreundlich in Serie produzieren.

Marktübliche Weißlicht-LEDs, wie man sie bislang im Handel findet, sind hingegen vergleichsweise teuer in der Herstellung, denn sie geben ursprünglich blaues Licht ab – und müssen daher aufwändig mit Konversionsfarbstoffen beschichtet werden. Diese werden zudem aus seltenen Erden gewonnen und sind daher ökologisch problematisch und – teuer.

Hamburger HIV-Staubsauger …

Neben den Erlanger Leuchtproteinen schafften es zwei weitere von insgesamt insgesamt 28 eingereichten Wettbewerbsbeiträgen aufs Siegertreppchen. Zum einen Wissenschaftler vom Hamburger Heinrich-Pette-Institut um den Virologen Jan Chemnitz, die eine Methode zur Entfernung der HIV-DNA aus dem Genom infizierter Immunzellen erfunden haben. Einen HIV-Staubsauger sozusagen. Mit diesem könnte – Achtung: Konjunktiv! – irgendwann gelingen, was bislang trotz aller Erfolge noch nicht möglich ist: Die Heilung von AIDS beziehungsweise die komplette Entfernung aller HI-Viren aus einem infizierten Individuum.

Derzeit zielt die Strategie der Mediziner ja noch darauf ab, eine AIDS-Erkrankung mit antiretroviralen Medikamenten zu beherrschen; die im Körper vorhandenen Viren also zu einer chronischen, aber nicht mehr lebensbedrohlichen Beeinträchtigung zu machen, und dies gelingt bereits recht gut. Weil sich die HIV-Gene (die provirale DNA) aber so hartnäckig ins Erbgut der menschlichen Immunzellen integrieren, ist eine eine Heilung (noch) nicht möglich. Chemnitz hat mittels molekularer Evolution ein Enzym namens Brec1-Rekombinase geschaffen, das „die integrierte provirale DNA erkennt und aus dem Genom der infizierten menschlichen Wirtszelle hochspezifisch und nebenwirkungsfrei entfernt, die Infektion auf zellulärer Ebene also wieder rückgängig macht“. Ebenfalls: wow!

Im Tiermodell habe man damit bereits HIV aus dem Organismus verbannen können, sagt Chemnitz. Ob es beim Menschen auch klappt, wird die Zukunft zeigen; im Erfolgsfall werden die Preisgelder dann jedenfalls nicht mehr vier-, sondern eher siebenstellig ausfallen.

… und Tübinger Netzhaut-Retter

Dritter Preisträger ist François Paquet-Durand vom Forschungsinstitut für Augenheilkunde der Universität Tübingen. Er hat mit seiner Arbeitsgruppe Medikamente zur Behandlung der erblichen Netzhautdegeneration entwickelt. Diese ist derzeit nicht behandelbar und führt zur völligen Blindheit. Laut Bioregio-Pressemitteilung lägen die Schwierigkeiten bei der bisherigen Therapieentwicklung „in der Vielzahl von verursachenden Gendefekten, die zu einer Überaktivierung der cGMP-Signalkaskade führen, sowie in der Überwindung der Blutretinaschranke“.

Wie es aussieht, hat Paquet-Durand einen Weg gefunden, dies zu umgehen: Die von ihm patentierte Substanzformulierung löse beide Probleme und habe präklinisch (also wieder im Tierversuch) gezeigt, dass bei den Probanden die Struktur und Funktion der Netzhaut erhalten blieben. Der Tübinger Professor hat auch schon ein Start-up gegründet; es nennt sich „Mireca Medicines“, wird unter anderem von der EU gefördert und sucht derzeit in der ersten Finanzierungsrunde an Wagniskapital zu gelangen.

Die drei Preisträger, die sich „neben einer besonderen erfinderischen Qualität durch ein hohes wirtschaftliches Potenzial auszeichnen“, wurden im Rahmen der Deutschen Biotechnologietage in Hannover geehrt. Besonders profitabel ist dieser Preis nicht, angesichts eines Preisgeldes von lediglich 2.000 Euro je Gewinner. Doch es geht wohl eher um die dadurch erlangte „besondere Aufmerksamkeit“ sowie um die „professionelle Berichterstattung in der Presse“, wie es im Wettbewerbs-Flyer so schön heißt. Und beides haben die erfinderischen Forscher reichlich erhalten, womit sich der weise Ausspruch Mark Twains mal wieder bestätigt hat.

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 17.05.2017