Editorial

Wird der Europäische Forschungsrat wieder gekippt?

Die große Politik kann sich nicht auf ein EU-Budget ab 2007 einigen. Und schon droht die geplante Verdopplung des EU-Forschungsetats zu scheitern - vor allem die Einrichtung eines unabhängigen Europäischen Forschungsrats für die Grundlagenforschung.

(23.06.2005) In Laborjournal 03/2005 jubelten wir noch - und mit uns jede Menge europäische Forscher: EU-Forschungskommissar Janez Potocnik stellte in Aussicht, dass der Etat für das 7. Forschungsrahmenprogramm (2007 bis 2010) auf 70 Milliarden Euro verdoppelt werden solle. Und mehr noch: 10 bis 20 Prozent davon sollen die Wissenschaftler über einen neu eingerichteten Europäischen Forschungsrat (European Research Council, ERC) weitgehend unabhängig für reine Grundlagenforschung verteilen.

"Der ERC muss auf der Exzellenz und Selbstständigkeit der Forscher aufbauen", betonte Potocnik damals. "Es soll ganz klar sein, dass nicht die Kommission entscheidet, sondern die Wissenschaftler selbst." Womit er natürlich für breite Freude unter Europas Forschern sorgte. DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker etwa bezeichnete Potocniks Plan als extrem vielversprechend und zukunftsorientiert. Und fügte hinzu: "Als Wissenschaftler freuen wir uns darüber, dass Brüssel scheinbar endlich verstanden hat, dass es keine Innovation ohne Grundlagenforschung geben kann."1A! Doch was wie Weihnachten im Sommer klingt, ist jetzt ernsthaft in Gefahr geraten. Bekanntlich konnten sich die Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten letzte Woche nicht über das nächste EU-Budget für 2007 bis 2013 einigen. Insbesondere Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Schweden, Österreich und die Niederlande brachten die Verhandlungen ins Schlingern durch ihre Aussage, nicht mehr als ein Prozent der EU-Wirtschaftsleistung für die Europäische Union ausgeben zu wollen. Die EU-Kommission dagegen plante bisher mit 1,26 Prozent, vor allem um den Beitritt neuer Mitglieder finanzieren zu können.

Und schon rudert man auch in Sachen Forschung zurück: Die aktuelle luxemburgische Ratspräsidentschaft unter Ministerpräsident Jean-Claude Juncker schlug umgehend vor, die geplante Verdopplung des EU-Forschungsetats wieder "um 45 bis 69%" einzuschmelzen. Übersetzt: Statt 73 Milliarden Euro lediglich 43 Milliarden, oder noch weniger. Dies auch ungeachtet einer jüngst in Brüssel präsentierten Eurobarometer Umfrage, nach der 59 Prozent der EU-Bürger meinen, die Union solle mehr Geld für die Wissenschaft ausgeben - zumal gar 64 Prozent sich von einer besseren Forschung auch eine wettbewerbsfähigere Wirtschaft erwarten.

Wie auch immer, die politische Entwicklung lässt die Forscher nun vor allem eines befürchten: Dass die Planungen und die Finanzierung eines Europäischen Forschungsrats für die Grundlagenforschung wieder abgeblasen werden. Kai Simons, Präsident der European Life Science Organisation (ELSO), etwa schreibt: "Obwohl die nationalen Regierungen offenbar die Einrichtung eines ERC nahezu einhellig unterstützen, befürchten wir, dass dieser aufgrund der Budget-Kürzungen nicht in einem ausreichend effektiven Maß gefördert werden könnte - oder schlimmer noch, dass die Idee eines ERC womöglich komplett aus der Geschäftsordnung rutscht."

ELSO hat daher bereits die europäischen Forscher aufgerufen, eine vorbereitete Petition an die jeweiligen nationalen Wissenschaftsminister zu schicken - "um den Druck hoch zu halten" (Gibt's hier). "Wir müssen sicher gehen, dass unsere Wissenschaftsminister die Einrichtung einer unabhängigen europäischen Agentur für Grundlagenforschung weiterhin in vollem Maße unterstützen", schreibt Simons. Andernfalls drohe eine "Katastrophe für die Forschung und die Wettbewerbsfähigkeit Europas".

Forschungskommissar Potocnik dagegen malt nicht ganz so schwarz. Er sieht in der Budget-Krise durchaus die Chance für eine neue Debatte darüber, wie die EU künftig ihre Gelder verteilen will. Womöglich könnten Wissenschaft und Forschung aus solch einer Debatte gar als Sieger hervorgehen. Und auch Helga Nowotny, Vorsitzende des European Research Advisory Board (EURAB), der die EU-Forschungskommission berät, gibt sich positiv: "Trotz der dunklen Wolken über den finanziellen Perspektiven denke ich, dass der ERC politisch nicht gekippt werden kann."

Hoffentlich mehr als reiner Zweckoptimismus.

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 24.06.2005