Editorial

Warum haben Eigenzitate so einen schlechten Ruf?

(10.7.17) Der Vorwurf, dass Autoren mit kaum berechtigten Selbstzitierungen vor allem ihre eigenen bibliometrischen Werte pushen wollen, ist zu pauschal. Wenn nicht sogar weitestgehend falsch.
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Ein beliebtes Vorurteil lautet: Viele Forscher würden durch maßloses Selbstzitieren eigener Arbeiten ihr Zitatekonto künstlich aufpolieren. Nicht zuletzt deshalb ist es mittlerweile weitverbreitete Praxis, dass man bei der bibliometrischen Evaluation einzelner Autoren deren Selbstzitate bereits vorweg und unbesehen abzieht.

Dass Autoren ihre eigenen Arbeiten durchaus häufig zitieren, belegte bereits 2003 eine norwegische Studie, die damals in Scientometrics erschien (Vol. 56(2): 235-46). Autor Dag Aksnes durchforstete dafür die Referenzlisten von 47.000 wissenschaftlichen Arbeiten seiner Landsleute aus den Jahren 1981 bis 1996. Und er fand auf den ersten Blick Erschreckendes: Ein Fünftel aller Zitierungen waren Selbstzitate. Ja schlimmer noch: Nahm Aksnes lediglich die zitierten Paper mit Erscheinungsdatum innerhalb der letzten drei Jahre vor der jeweiligen Publikation ins Visier, entlarvte er gar 36% als Selbstzitate. Spitzenreiter insgesamt waren Chemie und Astrophysik mit 31% Eigenzitaten, gefolgt von der Molekularbiologie mit 26%, den Geowissenschaften mit 21%, sowie den Neurowissenschaften (18%) und der klinischen Medizin (17%).

Wie gesagt, die Studie ist bereits 14 Jahre alt. Leider haben wir keine neuere mit ähnlich belastbaren Zahlen gefunden. Allerdings fällt uns auch kein Grund ein, warum der Anteil an Eigenzitaten in den letzten Jahren abgenommen haben sollte.

Warum also "Vorurteil"?

 

Editorial

Wen zitieren, wenn kaum einer sonst am gleichen Thema forscht?

 

Zum einen fand Aksnes selbst, dass insbesondere Artikel, die sowieso nur spärlich zitiert wurden, diese wenigen Zitierungen fast ausschließlich den Autoren selbst verdankten. Dies jedoch muss nicht heißen, dass diese Paper schlecht sind – nur weil sie praktisch nicht von anderen zitiert werden. Vielmehr können wenige Zitate generell genauso gut darauf hindeuten, dass nur ganz wenige Forscher überhaupt an dem Thema arbeiten. Was die Notwendigkeit eigene Vorarbeiten zu zitieren, deutlich steigert.

Zum anderen – und das ist damit schon angeklungen – sagt Aksnes Studie nichts darüber, wie viele der eigenen Publikationen in späteren Artikeln absolut sinnvoll und berechtigt zitiert werden. Er suggeriert einfach, dass alle Selbstzitate "böse" sind.

Dabei ist oft das Gegenteil der Fall. Es liegt doch in der Natur der Sache, dass vor allem die eigenen Vorarbeiten und Resultate die nachfolgenden Experimente und Projekte diktieren. Ein gutes Projekt liefert innerhalb der Gruppe einen logischen Fluss aufeinander aufbauender Resultate – erst einmal unabhängig von anderen Labors. Absolut sinnvoll und berechtigt daher, dass die Gruppe immer wieder ihre eigenen Vorarbeiten zitiert. Man kann das übertreiben, sicherlich. Aber eine regelrechte "Zitationsverzerrung" ist doch sehr unwahrscheinlich.

 

Forscher Ernst ein übler Selbstzitierer?

 

Man stelle sich nur einmal vor: Forscher Ernst reinigt ein bis dato unbekanntes Protein, charakterisiert es und schreibt ein Paper darüber. Danach fischt er mit einer Teilsequenz das zugehörige Gen aus einer Datenbank und analysiert auch dieses. Wen soll Ernst jetzt zitieren? Kein anderer hat bis dahin über das Protein geschrieben. Dennoch ist er verpflichtet, dem Leser anzugeben, wo er mehr über das kodierte Protein erfahren kann. Also "selbst-zitiert" er sein eigenes Paper.

Doch damit nicht genug: Parallel lässt Ernst Antikörper gegen das Protein machen und testet damit, wann und wo im Organismus das Protein in welchen Mengen auftaucht. Wieder zitiert er in dem entsprechenden Artikel sein Reinigungs-Paper – und das zu Recht!

Logisch, dass Ernst nachfolgend auch das Gen gezielt ausgeschaltet, so dass er in er Mutante mit einem frisch gebastelten Expressionsvektor recht nette Kompensations-Experimente machen kann. Bringt am Ende nochmal eine Veröffentlichung, wiederum mit dem "alten" Protein-Paper in der Referenzliste. Und nichts ist schlimm dran.

Mindestens dreimal zitiert Ernst also nachfolgend sein eigenes "Protein-Paper", wenn nicht sogar noch öfter. Und wieviele Evaluierer würden ihm heute diese "Selbstzitate" undifferenziert einfach abziehen? Wenn es doch schon die gängigen Zitate-Datenbanken per simplem Knopfdruck an prominenter Stelle anbieten?

 

Es gibt keinen Grund, Selbstzitate bei bibliometrischen Evaluationen auszuschließen

 

Dabei kamen bereits drei Jahre nach Aksnes Artikel die Autoren einer Meta-Analyse mit dem Titel "A concise review on the role of author self-citations in information science, bibliometrics and science policy" (Scientometrics 67(2): 263-77) nach Bewertung sämtlicher vorliegender Daten zu dem Fazit:

From the bibliometric viewpoint we can conclude that that there is no reason for condemning self-citations in general or for removing them from macro or meso statistics.

Und an anderer Stelle heißt es im Paper:

[…] there is no need for excluding self-citations in evaluative bibliometrics.

Sehen wir genauso. Zumal noch dazukommt, dass es ja auch zu den Aufgaben der Reviewer gehört, die Referenzlisten der Manuskripte zu prüfen und eventuell unberechtigte Zitierungen zu streichen. Aber das ist schon wieder ein anderes Thema…

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 14.09.2017