Editorial

Einwärts gerichtete Protonenpumpe

(11.10.17) Bisher kannte man nur Rhodopsine, die Protonen vom Inneren der Zelle nach Außen transportieren. Einige Xenorhodopsine salzliebender Archaea transportieren H+-Ionen jedoch in die entgegengesetzte Richtung - was sie für Optogenetiker interessant macht.
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Protonentransport ins Cytosol durch Xenorhodopsin.
© Shevchenko et al.

Gerät der Ionenhaushalt einer Zelle außer Kontrolle, bedeutet das ihren sicheren Tod. Je nachdem, welche Ionen betroffen sind platzt, verschrumpelt oder versauert sie. Ionenpumpen stellen sicher, dass dies nicht passiert. Sie erhalten die Potenzialdifferenz zwischen Außen- und Innenraum aufrecht und schaffen die Grundlage zur Energiegewinnung. Prokaryoten nutzen hierfür Plasmamembran-ständige Protonenpumpen, zum Beispiel lichtangetriebene Bacteriorhodopsine, die H+-Ionen unablässig nach außen schleusen. Pumpen, die Protonen ins Zellinnere transportieren, kannte man bisher nicht.

Ein internationales Forscherteam um Valentin Gordeliy vom Institut de Biologie Structurale Jean-Pierre Ebel, Université Grenoble Alpes, ist in salzliebenden Archaea auf drei lichtgetriebene Protonepumpen gestoßen, die Protonen ins Zellinnere transportieren (Sci Adv). Die Forscher fanden diese außergewöhnlichen Xenorhodopsine (XeRs) in Nanohalo-Archaea, die aus Salzseen oder Salinen in Australien, Spanien und Sibirien isoliert wurden. XeRs ähneln dem Anabaena Sensor-Rhodopsin (ASR) aus Cyano-Bakterien (circa 34 Prozent Homologie). Sie nutzen jedoch ein völlig anderes Protonen-Donor-Motif als klassische Protonenpumpen, etwa Bacteriorhodopsin.

Editorial

Nanohalo-Archaea sind scheue, mäklige Spezies, die sich weigern, in Kultur zu wachsen. Das Team exprimierte die Xenorhodopsine NsXeR, HrvXeR sowie AlkXeR daher in E. coli. Beleuchteten die Forscher die Bakterien, so stieg der pH-Wert im Medium. Schalteten sie das Licht aus, sank er wieder. Den endgültigen Beweis, dass es sich um lichtgetriebene, nach innen gerichtete Protonenpumpen handelte, lieferten Experimente mit Carbonylcyanid-m-Chlorophanylhydrazon (CCCP). Die Zugabe dieses Protonophors unterdrückte jegliche pH-Änderung.

Als nächstes rekonstituierte das Team die Xenorhodopsine in Soja-Liposomen. Auch hier funktionierte die solargesteuerte pH-Antwort und zwar über ein beachtliches pH-Spektrum: Experimente in Inkubationsmedien mit pH-Werten von fünf bis neun ließen noch immer eine Pumpwirkung erkennen. Die Absorptionsmaxima der drei XeRs liegen zwischen 562 und 577 Nanometer. Sie verschieben sich weder durch Änderungen des pH-Werts, noch durch unterschiedliche Lichtverhältnisse.

Um herauszufinden, wie XeR-Pumpen funktionieren, züchtete die Gruppe Xenorhodopsin-Kristalle und löste deren Struktur mit der Röntgenstrukturanalyse. Ergebnis: Eine N-terminale alpha-Helix sitzt als extrazelluläre Kappe auf der ersten von sieben Transmembran-Helices; die erste sowie die siebte Helix bilden starke Wasserstoffbrückenbindungen zur Stabilisierung. Als Cofaktor dient Retinal, dessen lichtgetriebene Isomerisierung, wie bei „normalen“ Rhodopsinen, den Protonentransport auslöst. Das Protonen-Akzeptorpaar ist wie bei Rhodopsin His-Asp, es befindet sich jedoch auf der cytoplasmatischen Seite des Proteins.

Durch den systematischen Austausch einzelner Aminosäurereste klärten die Forscher den Mechanismus sowie die Schlüsselpositionen von Donor- und Pumpfunktion. Anders als in Bacteriorhodopsin, trennt ein Arginin-Rest das aktive Zentrum von der Protonen-Aufnahmestelle. Während des Photozyklus durchlaufen die Xenorhodopsine eine kurze (Mikrosekunden) sowie eine längere (Millisekunden) Phase: In der kurzen erfolgt die Protonenfreisetzung, in der längeren faltet sich das Protein in seine Ausgangsform zurück und nimmt ein neues Proton auf.

Gordeliys Mitarbeiter exprimierten NsXeR in humanen embryonalen Leberzellen sowie in Neuroblastomzellen, die es in ihre Membran einbauten. Mithilfe von Voltage-Clamp-Experimenten wies die Gruppe nach, dass in den transfizierten Zellen Photoströme auftraten, sobald sie diese beleuchteten. Um sicher zu gehen, dass diese nicht auf umsortierte Chlorid- oder Natrium-Ionen zurückzuführen waren, führte die Gruppe die Experimente mit Medien durch, die Sulfat- statt Chlorid-Ionen beziehungsweise N-methyl-glucosamin statt Na+ enthielten. Mit extrem kurzen Lichtpulsen, die zeitaufgelöste Photoströme in den Zellen auslösten, bestimmte die Gruppe die Pumpleistung von NsXeR. Sie liegt bei etwa 160 Protonen pro Sekunde.

In Hippokampus-Nervenzellen von Ratten ermittelte das Team schließlich die maximal mögliche Anregungsfrequenz der Xenorhodopsine in den transfizierten Zellen. Für die richtige Positionierung in der Membran fügten die Forscher ein Membran-Lokalisations-Signal vor das Fremdprotein ein. Und dann hieß es für die Zellen: „Ab in die Disko“. Das Team bestrahlte sie mit je vierzig Lichtpulsen unterschiedlicher Frequenz (5 bis 80 Hz). Bis 40 Herz löste jeder einzelne Lichtpuls ein Aktionspotenzial aus. Aussetzer, die bei höheren Frequenzen auftraten, sind auf das Erreichen der maximalen Feuer-Frequenz von Hippocampus-Neuronen zurückzuführen, die bei 40 bis 60 Herz liegt.

Xenorhodopsine erweitern die optogenetische Trickkiste. Ein wesentlicher Vorteil gegenüber gängigen Kanalrhodopsinen ist ihre Unabhängigkeit von den Ionen-Bedingungen. Da Nanohalo-Archaea in gesättigter Salzlösung überleben, dürften auch die Protonenpumpen unter Extrembedingungen funktionieren.

 

Andrea Pitzschke



Letzte Änderungen: 04.11.2017