Editorial

Codewort: Wildschweinschinken

(23.10.17) Das Telefon klingelt. Auf dem Display erscheint "Identität geheim". Jetzt das falsche Codewort, und die Sache wird sicher seltsam… Kürzlich erlebt von unserer „anderen TA“.
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Freitagmittag. Ich sitze gemütlich am Schreibtisch und trage die bahnbrechenden Experimente der letzten Tage in mein Laborbuch ein. Plötzlich klingelt das Telefon.

Erfreut schaue ich auf, warte ich doch schon seit drei Tagen auf den Rückruf einer Firma bezüglich der Frage, ob die von uns gekauften 50ml-Röhrchen als RNAse-frei zertifiziert sind oder nicht. Offenbar haben sie diese exotische Information doch noch rechtzeitig vor dem Wochenende gefunden.

Ich beuge mich vor und recke mich nach dem Hörer, werfe aber zuerst in alter Gewohnheit einen Blick auf das Display unseres Fernsprechers. Dort stehen die Worte: „Identität geheim.“

Das hatte ich noch nie gesehen. Wen verlangt es da am anderen Ende der Leitung, mit uns zu sprechen? Spione? Geheimagenten? Es könnte zweifellos interessant werden. Also konzentriere ich mich. Vielleicht muss ich hinterher bei einer polizeilichen Vernehmung etwas über dieses Telefonat zu Protokoll geben und mich ganz genau an den Wortlaut erinnern. Schließlich muss ich in dem Fall als brave Bürgerin doch hilfreiche Angaben zu der ganzen Angelegenheit machen können.  

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Einen Augenblick lang sehe ich mich schon in einem düsteren Verhörraum auf einem unbequemen Metallstuhl sitzen, vor mir ein großer breitschultriger Polizist, der mich ungläubig anschaut…

„Was meinen Sie damit, Sie haben bei dem Gespräch nicht so genau aufgepasst? Irgendetwas muss Ihnen doch aufgefallen sein.“

„Als ich merkte, dass es nicht um meine Röhrchenanfrage ging, habe ich nicht mehr so genau zugehört“, antworte ich kleinlaut.

„Um ihre WAS?“

Soweit darf es nicht kommen. Also lege ich mir Stift und Zettel bereit, atme tief durch und nehme den Hörer ab.  

„Labor Schleiff, guten Tag!“

„Hallo?“ Eine Dame mit starkem Akzent brüllt mir ins Ohr.

„Hallo?“, rufe ich in den Hörer. „Hier ist das Labor Schleiff!“

„Bin ich da beim Lebensmittelgeschäft Müller?“

Sollte es sich dabei um einen Codenamen handeln, hat man vergessen mich einzuweihen. Für alle Fälle notiere ich die Aussage trotzdem.

„Da sind Sie leider falsch verbunden. Wir gehören zur Goethe-Universität, nicht zum Lebensmittelgeschäft Müller.“

Mir fällt ein, was die Polizisten im Fernsehen immer bei zweifelhaften Telefonaten raten. So lange wie möglich hinhalten, Rückfragen stellen.

„Welche Telefonnummer wollten Sie denn anrufen?“, frage ich, meine Fahndungsbemühungen mit höflicher Hilfsbereitschaft kaschierend.

„Ist da nicht das Lebensmittelgeschäft Müller?“

„Nein, bestimmt nicht!“

Es wäre mir aufgefallen, wenn ich fünf Tage die Woche Lebensmittel verkaufen würde.

„Wirklich nicht?“

„Wir sind eine Universität. Bei uns können Sie Wissen erwerben, keine Lebensmittel.“

Schweigen in der Leitung. Der imaginäre Verhörpolizist schaut mich unzufrieden an.

„Unser Wissen wird regional und nachhaltig erzeugt und ist vollständig biologisch abbaubar“, setze ich hinzu. Vielleicht lässt sie sich damit ködern. Ein Klicken im Hörer, dann bricht die Verbindung ab. Verdammt, die Frau hat meinen Marketingtrick durchschaut. Sicher ein Profi.

Ich werfe einen Blick auf meinen Notizzettel. Frau, Akzent, „Lebensmittel Müller“. Ob das für eine verlässliche Fahndungsmeldung ausreicht?

Nachdenklich und ein bisschen enttäuscht lege ich ebenfalls auf. Das geht doch nicht an, dass sich unter „Identität geheim“ lediglich jemand mit unterdrückter Rufnummer verwählt hat. Möglicherweise war ich einfach nicht die richtige Kontaktperson? Hätte ich etwas geantwortet wie:

„Ganz recht, der Wildschweinschinken kostet heute 40 Euro das Kilo.“

Wie wäre es dann wohl weitergegangen?

Maike Ruprecht



Letzte Änderungen: 15.11.2017