Editorial

Der achte Menschenaffe

(3.11.17) Sieben Mitglieder zählte die Familie der Menschenartigen (Hominidae) bislang: Mensch, Schimpanse, Bonobo, östlicher und westlicher Gorilla sowie zwei Arten von Orang-Utans. Forscher der Uni Zürich haben letzteren jetzt ein dritte Spezies hinzugefügt.
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© Tim Laman

Zwei indonesische Orang-Utan-Arten sind bis heute beschrieben und seit 2001 offiziell anerkannt: Pongo abelii lebt auf der Insel Sumatra, Pongo pygmeaeus ist auf Borneo beheimatet. Bereits 1997 entdeckten Forscher der Australian National University jedoch bei Feldstudien eine weitere Orang-Utan-Population. Diese lebt isoliert in der Region Batang Toru innerhalb der drei Tapanuli-Distrikte auf Nordsumatra. Nun belegen Anthropologen der Universität Zürich (UZH) gemeinsam mit internationalen Kollegen, dass es sich hierbei um eine dritte Orang-Utan-Art handelt: Pongo tapanuliensis. Dies ist gleichsam das Ergebnis der bisher umfangreichsten genetischen Analyse an wildlebenden Orang-Utans (Current Biology 27: 1-12).

Flaches Gesicht, große Eckzähne 

Erste Hinweise für die Einzigartigkeit der Tapanuli-Population lieferte das Skelettmaterial eines im Jahr 2013 getöteten männlichen Orang-Utans. Im Vergleich zu den Schädeln der anderen beiden Spezies ist derjenige des Tapanuli-Orang-Utans deutlich kleiner und weist klare Alleinstellungsmerkmale auf. So ist etwa dessen Gesicht flacher als bei seinen zwei bereits bekannten Verwandten – und die Eckzähne sind größer. „Wir waren völlig überrascht, dass der Schädel in einigen Merkmalen anders ist, als alles, was wir zuvor gesehen hatten“, erklärt Matt Nowak, der die morphologischen Merkmale im Rahmen seiner Dokorarbeit erforscht hat und heute für das Sumatra-Organ-Utan-Schutzprogramm (SOCP) arbeitet.

 

Das Fell des Tapanuli-Orang-Utans ist deutlich krauser als bei seinen anderen Orang-Utan-Verwandten... 
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„Als wir feststellten, dass sich die Tapanuli-Population morphologisch von allen anderen Orang-Utans unterscheiden, passten unsere Puzzleteile zusammen“, ergänzt Michael Krützen, Professor für Evolutionäre Anthropologie und Genomik an der UZH. Das Team um Krützen erforscht seit längerem die genetische Abstammung aller lebenden Orang-Utan-Populationen. Die aktuelle Sequenzierung der Genome von 37 Orang-Utans lieferte zusammen mit früheren Ergebnissen jetzt ein übereinstimmendes Bild mit den morphologischen Details: „Wir identifizierten drei sehr alte evolutionäre Abstammungslinien unter allen Orang-Utans, obwohl derzeit nur zwei Arten beschrieben sind“, erklärt die frühere UZH-Doktorandin Maja Mattle-Greminger.

Nachkommen der ersten Orang-Utan-Population 

Anhand von umfangreichen Computermodellierungen zur Rekonstruktion der Populationsgeschichte verifizierten die Zürcher ihre neue Erkenntnis. Ihre Berechnungen zeigen, dass der Schnitt zwischen den Vorfahren der Orang Utans aus dem Batang-Toru-Wald sowie denjenigen ihrer beiden verwandten Arten im restlichen Sumatra beziehungsweise Borneo vor etwa 3,4 Millionen Jahren stattfand. Die Ahnen der Borneo- und Sumatra-Orang-Utans trennten sich hingegen erst viel später voneinander – etwa vor 700.000 Jahren. „Die älteste evolutionäre Linie in der Gattung Pongo findet sich tatsächlich bei den Tapanuli-Orang-Utans”, folgert Alexander Nater, ebenfalls Ex-Doktorand an der UZH. „Sie scheinen die direkten Nachkommen der ersten Orang-Utans zu sein, die seinerzeit vom asiatischen Festland herüberkamen.“

„Es ist wirklich sehr spannend und aufregend, eine neue Menschenaffenart im 21. Jahrhundert zu identifizieren“, sagt Hauptautor Michael Krützen. Jetzt gehe es aber vor allem darum, den Tapanuli-Orang-Utan zu schützen. „Jegliche Bemühungen zur Erhaltung der Art müssen sich primär auf den Schutz ihres Lebensraums richten“, unterstreicht Krützen. Immer mehr Regenwaldgebiete gehen zugunsten der Landwirtschaft verloren. Unberührte Wälder im Batang-Toru-Ökosystem fallen etwa Palmölplantagen zum Opfer. Geplant ist auch der Bau eines hydroelektrischen Damms, der den Lebensraum der Tapanuli-Orang-Utans weiter beschneiden wird.

 

..., zudem ist das Gesicht flacher und die Eckzähne sind größer.

 

Nach neuen Schätzungen einer unabhängigen Studie leben insgesamt noch etwa 800 Tapanuli-Exemplare in dem rund tausend Quadratkilometer großen Areal (Science Advances 2(3): e1500789). Der Tapanuli-Orang-Utan gilt damit als die am meisten bedrohte Menschenaffenart überhaupt. „Wenn nicht früh genug Maßnahmen eingeleitet werden, um gegenwärtige und zukünftige Bedrohungen zu reduzieren, und um jedes noch verbleibende Waldstück zu bewahren, stirbt diese Menschenaffenart bereits in wenigen Jahrzehnten aus“, warnt Matt Nowak.

Nach einem Modell-Szenario der oben zitierten Orang Utan-„Volkszählung“ könnte dies bereits bis zum Jahr 2030 geschehen sein.

Universität Zürich / Nathalie Huber (mit Ergänzungen von Ralf Neumann)



Letzte Änderungen: 24.11.2017