Editorial

Forscher-Anekdoten (5): Tagungslöwen

(21.11.17) "Sieh' an, so ein Schlaumeier! Bläst sein Zitationskonto einfach mal kräftig mit Tagungs-Proceedings auf…"
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Weichel war Dekan. Und im Moment verfluchte er wieder einmal diesen Job. Ausgerechnet jetzt war er an der Reihe, wo innerhalb kurzer Zeit gleich mehrere Berufungsverfahren laufen mussten. Irgendwie war ihm dieses ganze Tamtam jedesmal zuwider.

Der Lehrstuhl für Verhaltensbiologie war nun also dran. Die Fakultät hatte es tatsächlich geschafft ihn zu erhalten, trotz des massiven Abbaus der Verhaltensbiologie sonstwo im Land. Das zum Beispiel, das war etwas, wofür es sich lohnte Dekan zu sein.

Eine dicke Mappe lag nun auf Weichels Tisch. Er blätterte sie durch und stellte fest, dass sein Dekanatsmitarbeiter ganze Arbeit geleistet hatte: Veröffentlichungslisten aller Bewerber waren samt Zitierzahlen fein säuberlich abgeheftet.

Weichel selbst hielt zwar nicht viel von Paper-Massen und Zitier-Zahlen als Kriterium für die Qualität eines Lehrstuhlbewerbers, aber einige Kollegen in der Kommission sahen das anders. Zumal die Verhaltensbiologie nicht unbedingt eine Disziplin war, in der Forschungsarbeiten inflationär zitiert würden. Wie auch immer, schaden würde es gewiss nicht, diese Daten zu haben, dachte Weichel – und begann den Ordner durchzublättern.

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Es dauerte nur ein paar Minuten, da war ihm doch einer der Kandidaten aufgefallen. Hamsterer war sein Name, Professor war er in den Niederlanden, und das sogar schon eine ganze Weile. „Wahrscheinlich Deutscher, der wieder zurück will, weil seine Kinder hier in die Schule gehen sollen“, dachte Weichel.

Seine Publikationsliste jedoch schien imposant. Wo die übrigen Bewerber mit etwa 30 bis 60 Artikeln aufwarten konnten, überflügelte Hamsterer diese lässig mit durchnummerierten 188 Referenzen.

Nur Mittelmäßiges, und dazu noch schlampig begutachtet

Weichel hatte eigentlich noch gar nicht vor, sich in die Unterlagen einzulesen – aber das musste er sich doch genauer anschauen. Die Zitierzahlen – na ja, das Gros zwischen ein- und zehnmal zitiert. Mehr ist bei Verhaltensbiologen auch kaum zu erwarten, echte Zitations-„Blockbuster“ wie in der Krebsforschung oder der Genomik gibt es in dieser Disziplin äußerst selten. Daneben noch knapp zehn Artikel mit mehr als zehn Zitierungen, und etwa 40 mit je keiner. Auch das wohl eher normal.

„Dann schau ich mir mal die Journals an, in denen der Hamsterer publiziert hat“, dachte Weichel. Und identifizierte sogleich etwa 25 Editorials, die dieser in einem Journal of Mating Behaviour geschrieben hatte. „Sieh’ mal an“, dachte Weichel, „wahrscheinlich ist er da Chief Editor. Womöglich hat er das Journal sogar mit gegründet.“ Und im Geiste zog Weichel die 25 schon mal ab.

Doch dann stutzte er erneut: Ungefähr dreißig- bis vierzigmal stach im das Wort Proceedings ins Auge. Und es handelte sich dabei nicht um die berühmten Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA. Nein, Symposium Proceedings waren es. „Ah, zu den Pappenheimern gehört dieser Hamsterer“, stöhnte Weichel innerlich auf. „Fährt auf jedes erreichbare Symposium und verbrät da wahrscheinlich all das minderwertige Zeug, das kein ordentliches Journal genommen hat – oder nehmen wird.“

Weichel kannte sich da aus. Einige größere Tagungen hatte er bereits organisiert, inklusive die zugehörigen Proceedings herausgebracht. Seine Meinung dazu war klar und pauschal: Neben unfertigen Studien und vorläufigen Ergebnissen steht darin allerhöchstens Mittelmäßiges, zudem oft schlampig begutachtet. Und dennoch „ziehen“ die Beiträge das ein oder andere Zitat.

Und in einer sowieso nicht sehr zitieraktiven Szene kann man mit damit natürlich ganz gut punkten, dachte Weichel – und schlug mit einem lauten Knall den Ordner zu.

Ralf Neumann

(In unseren "Forscher-Anekdoten" schreiben wir in anonymisierter Form Geschichten auf, die uns Forscherinnen und Forscher zumindest in Teilen genau so berichteten.)



Letzte Änderungen: 14.12.2017