Editorial

Qiagen im Kaufrausch

Wir schießen jetzt aus allen Rohren, sagte Qiagen-Boss Peer Schatz unlängst. Er hat nicht untertrieben. Sein Unternehmen kauft andere Firmen auf, als gäbe es bald keine mehr. Zuletzt wechselten zwei Proteomik-Läden aus Köln und Kalifornien den Besitzer.

(04.08.2005) Eigentlich ist er ja abgeschafft: Der Sommerschlussverkauf. Wer sich in diesen Tagen in die Konsumhöllen der Republik begibt, mag das nicht glauben: Ganze Hausfrauenhorden wühlen sich bei C&A gierig durch Billigklamottenberge, nebenan bei Kaufhof werden Frotteesocken im Zehnerpack in die Einkaufswägen geschaufelt, und Karstadt lockt mit reduzierten Leggings in schweinchenrosa. Danach trappt die Meute weiter zu Tchibo, Schnäppchen abgreifen. Kaufen kaufen kaufen. Wir sind ja nicht blöd und ab September wird ohnehin alles teurer, die Socken und die Leggings, warnen die Wahlforscher. Um zwei Prozent. Sie wissen schon: die Mehrwertsteuer.

Volkswirtschaftler freuen sich: Die Geldbörsen sitzen wieder lockerer. Auch in Hilden, dem 57.000-Einwohner-Flecken im Kreis Mettmann zwischen Düsseldorf und Köln. Dort im Industriegebiet plant der Biotech-Gigant Qiagen seine millionenschweren Einkaufsbummel. Das erste Mal war es 1998, als der rheinische Produzent von DNA-Reinigern ("QIA-Quick") für knapp 16 Millionen Euro alle Anteile seines damaligen OEM-Zulieferers Rosys übernahm und damit endgültig ins risikoreiche Roboter-Geschäft (unter der schicken Bezeichnung "Biorobot") einstieg.

Sechs Übernahmen bis 2002

Zwischen 1998 und 2002 hat Qiagen sechs Firmen übernommen; neben Rosys kamen quasi im Jahrestakt noch Rapigene, Operon, Sawady, Xeragon und Genovision dazu. Danach herrschte erst mal gespannte (Un-) Ruhe - Qiagen schnaufte tief durch und mußte die neue und allzu rasant ins Kraut geschossene Unternehmensstruktur erst mal komplett neu verdrahten. Die Mitarbeiter, wen wundert's, kämpften einstweilen schon mal mit Identitäts- und Kommunikationsproblemen: Wer ums Jahr 2002 herum in der Hildener Telefonvermittlung anrief, der wurde gerne am Telefon angeschnauzt oder auf gut Glück mit dem Sachbearbeiter für Fernost verbunden (der gerade in Singapur und somit nicht da war). Dazu kamen Probleme mit der verlustträchtigen Tochter Operon (die Mitte 2004 folgerichtig wieder verkauft wurde) und die weltweite Absatzflaute im gesamten Biotechmarkt sowieso.

Qiagens Zukäufe bis 2002 im Schnelldurchlauf: Juni 1998 - Rosys (Hombrechticon, Schweiz). Januar 2000 - Rapigene (Bothell, USA). Juni 2000 - Operon (Almeda, USA). April 2001 - Sawady (Tokio, Japan). April 2002 - Xeragon (Huntsville, USA). Mai 2002 - Genovision (Oslo, Norwegen).

Qiagen wuchs und wuchs, doch der Gewinn wuchs nicht so recht mit und überhaupt wurde der Laden immer unübersichtlicher und verfilzter. Um 2002 herum schließlich probierte man etwas aus, das dem Musterknaben vom Rhein endgültig ernsthafte Imageprobleme verschaffte: Altgediente Mitarbeiter wurden gefeuert. In Biotechsprech wird derlei als "Optimierungsmaßnahme" verkauft. Kurze Zeit herrschte so etwas ähnliches wie Endzeitpanik, ja, es gab Insider damals, die Qiagen profundes Missmanagement vorwarfen und vom dauernden Abstieg in langweilige Mittelmäßigkeit unkten. Der geschmähte Konzern jedoch bewies inmitten aller Turbulenzen ungeahnte Stärke und fand nach einem harten Umstrukturierungsjahr 2003 die Erfolgsspur wieder.

Zurück in der Erfolgsspur

Peer Schatz, seit Januar 2004 neuer Qiagen-Primus, durfte im Februar 2005 gar Rekordumsatz- und Gewinnzahlen vermelden (381 bzw. 49 Millionen), und auch fürs Gesamtjahr 2005 hofft der Vorstandsboss auf bedeutsame Zuwächse zwischen 15 und 20 Prozent. "Das Jahr 2005 hat für Qiagen sehr gut angefangen", ließ Schatz nach den guten Q1-Quartalszahlen im Mai 2005 verlauten.

Auch der Aktienkurs zeigt sich inzwischen gut erholt (mehr als 100 % Zuwachs seit 2003) und weist seit einem Jahr stetig nach oben. Thomas Brenning, Analyst der Helaba Trust, empfiehlt das Papier selbst bei derzeit 11 Euro als kaufenswert, während die New Yorker Investmentbanker von Merrill Lynch die Lage kritischer sehen: Die Wachstumsziele von Qiagen seien viel zu ambitioniert und angesichts eines "fairen Kurses" von 7,5 Euro sei die Empfehlung an die Aktionäre klar: "Verkaufen", weg mit dem Ding!

Qiagen selbst jedenfalls profitiert vom Höhenflug der Aktie und hat zudem eine noch immer gut gefüllte Haushaltskasse. Und was macht Mama, wenn das so ist? Na klar: Sie geht shoppen. Mama Qiagen shoppt seit nunmehr elf Monaten, und im Einkaufskorb befinden sich mittlerweile sieben Firmen.

Qiagens Zukäufe seit 2004 im Schnelldurchlauf: September 2004 - Molecular Staging (New Haven, USA). Mai 2005 - RNAture (West Irvine, USA). Mai 2005 - Artus Biotech (Hamburg, Deutschland). Juni 2005 - Tianwei (Beijing, China). Juni 2005 - Nextal Biotech (Montreal, Kanada). August 2005 - Sunyx (Köln, Deutschland). August 2005 - Lumicyte (Fremont, USA).

Argusauge sei wachsam: Qiagen spechtet auf die Proteinanalytik

Erst vorgestern, am 1. August, verkündete Qiagen die Übernahme von Lumicyte (USA) und Sunyx (Köln) - beides eher unbedeutende Mini-Firmen, für die das größte deutsche Biotech-Unternehmen nur wenige Millionen hinlegen musste. Was aber auffällt: Die Hildener scheinen sich zunehmend für die Proteinanalytik zu interessieren. Bereits durch der Nextal-Aquisition hatte sich Qiagen eine Menge Probenvorbereitungs-Know-How in Sachen Proteinkristallografie ins Haus geholt, und Sunyx wie Lumicyte stellen Chipoberflächen her, die die Massenspektrometrie von Proteinen vereinfachen und beschleunigen. Nun darf gerätselt werden, welche kleine Proteomik-Firma als nächste eine Übernahme-Offerte erhält. Denn satt ist der Gigant aus Hilden garantiert noch nicht.

Winfried Köppelle

Haben Sie's bemerkt? Sollten sich die Deutschen ab September tatsächlich über eine um zwei Prozent höhere Mehrwertsteuer freuen können, dann wird der Zehnerpack Frotteesocken bei Kaufhof nicht um zwei, sondern "nur" um 1,7 Prozent teurer sein. Bahnhof? Lassen Sie sich's einfach von Ihrem PISA-erprobten Sprössling ausrechnen.



Letzte Änderungen: 04.08.2005