Editorial

Folgenschwere Abschätzung

(5.12.17) Ob Nanopartikel, grüne Gentechnik oder Gene Drive – jede neue Technologie muss vorab auf Chancen und Risiken geprüft werden. Wie, das erklärt Technikfolgenforscher Arnim von Gleich im Interview.
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© Privat

Der Deutsche Ethikrat wollte es im Oktober 2017 wissen: Können mithilfe von Gene Drive Krankheitsüberträger und Agrarschädlinge ausgerottet werden, oder ist die neue Technologie möglicherweise zu gefährlich? Technikfolgenforscher Arnim von Gleich von der Bremer Universität ist sich sicher: Im Fall von Gene Drive ist es noch zu früh, über Chancen und Risiken zu sprechen. Aber wie schätzen Forscher wie von Gleich Technologien überhaupt ab? Laborjournal hat nachgefragt.

 

Laborjournal: Herr von Gleich, was macht ein Technikfolgenforscher?

Arnim von Gleich: Die klassische Technikfolgenabschätzung existiert seit den 1960er bis 70er Jahren und versucht Neben- und Folgewirkungen von hauptsächlich neuen Technologien zu identifizieren.

 

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Zum Beispiel?

Von Gleich: Ich war lange Zeit in der „Nano-Kommission“ der Bundesregierung, die sich sehr frühzeitig mit der Frage beschäftigt hat, wie mit erwartbaren Wirkungen von Nanopartikeln und -materialien umzugehen ist. Da geht es um ethische, soziale, ökonomische und ähnliche Gesichtspunkte, die allerdings nur untersucht werden können, wenn man schon ziemlich genau weiß, wo die Technik eingesetzt werden soll. Wenn man allerdings noch kein Produkt oder noch nicht einmal eine Vorstellung von dem Produkt hat, müssen wir uns viel stärker mit der Technik selbst und der zugrundeliegenden Wissenschaft beschäftigen.

 

Und so ist es auch bei Gene Drive?

Von Gleich: Ja, in einem solchen Fall versuchen wir herauszufinden, mit welchen Vorstellungen und Modellen etwa von Genen oder der Natur gearbeitet wird und welche Abstraktionen vorgenommen wurden. Also: Was taucht in den Modellen auf, was nicht? Welche Störfaktoren werden beim Experiment ausgeschlossen? Aus dieser – wir nennen es prospektiven – Technikfolgenabschätzung, versuchen wir Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir beschränken uns dabei nicht nur auf die Analyse von möglichen Folgen, sondern versuchen Vorschläge zu machen, wie eine Technologie designt werden könnte.

 

Das ist im Bezug auf Gene Drive aber vermutlich relativ schwierig, da sich die Technologie noch in den Kinderschuhen befindet, oder?

Von Gleich: Das ist richtig. Es gibt kaum Produkte, aber etliche Pläne. Gene Drives sollen zum Beispiel planmäßig eingesetzt werden, um Populationen, die Träger von infektiösen Organismen sind, oder auch invasive Arten zu eliminieren. Es geht also um die Freisetzung in die Natur. Aber soweit wir wissen, gibt es noch kein reales Beispiel dafür. Nur einen vergleichbaren Fall mit einem Vorläufer von Gene Drive.

 

Also arbeiten Sie mit diesem Fall oder vergleichbaren Techniken?

Von Gleich: Ja, und wir halten das für einen Vorteil. Denn zum Zeitpunkt der prospektiven Technikfolgenabschätzung wurde im Innovationsprozess noch wenig investiert – und der Bereich ist noch nicht so fixiert. Die Innovationsforschung würde das als Pfadabhängigkeit bezeichnen. In einem frühen Stadium ist es einfacher, einen anderen Weg einzuschlagen. Der Nachteil ist natürlich, dass das Wissen noch sehr gering ist.

 

Wo bekommen Sie dann Ihr Wissen für die Technikfolgenabschätzung her?

Von Gleich: Als Technikfolgenforscher gibt es quasi zwei Forschungsfelder: Die Technologie selbst und ihr Einsatzbereich. Im Fall von Gene Drive versuchen wir erst, die Technologie zu analysieren, und uns dann die Ökosysteme anzuschauen, in denen sie eingesetzt werden soll. Aktuell arbeiten wir an einem Projekt, bei dem wir uns fragen, was es bedeuten würde, wenn man versuchte, mit Gene Drive Oliven-Fruchtfliegen auszurotten. Hier können wir also sowohl Gene Drive als Technologie als auch das Agrarökosystem Olivenanbau untersuchen. In beiden Bereichen gibt es einiges an Wissen. Wir versuchen nun rauszufinden, wie die Technologie funktioniert und wo sie mögliche Schwachstellen hat. Und ganz wichtig: Funktioniert die Technik so, wie sie funktionieren soll – oder zeigen sich schnell Instabilitäten. Immerhin arbeiten wir mit Organismen und Populationen, die kein mechanisches System sind, sondern sehr komplex.

 

Welchen Quellen ziehen Sie zurate?

Von Gleich: Als wichtigste Quelle verwenden wir Publikationen. Aber auch andere: Beispielsweise haben wir in einem unserer Projekte über Synthetische Biologie drei Workshops mit Forschern durchgeführt, die konkret in diesem Feld arbeiten. Wir haben viel mit ihnen diskutiert, da die Wissenschaftler ebenfalls an einer Kommunikation interessiert sind. Schließlich kennen sie das Schicksal der grünen Gentechnik, die auch wegen fehlender Kommunikartion nicht akzeptiert wurde – und daher kaum voran kam.

 

Mit wie vielen Partnern arbeiten Sie zusammen?

Von Gleich: Das Gene-Drive-Projekt wird vom BMBF im Rahmen der Ausschreibung über „Tipping Points“ gefördert – da arbeiten natürlich sehr viele Leute dran. Viele beschäftigen sich mit dem Klima und ähnlich komplexen Themen. Wir sind jedoch die Einzigen, die sich im „GeneTip“-Projekt mit biologischen Themen beschäftigen. Insgesamt besteht das Team aus drei konsortialen Partnern: Das sind einmal wir von der Uni Bremen, dann der Landschaftsökologe Broder Breckling von der Uni Vechta, Bernd Giese mit seinem Mitarbeiter vom Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften der Universität für Bodenkultur in Wien und Christoph Then von Testbiotech in München. Während die Wiener aufgrund von Bernd Gieses Hintergrund als Infektionsbiologe viel mit den Forschern im Feld kommunizieren, liegen die Stärken von Testbiotech in der Beteiligung von Stakeholdern und der Öffentlichkeitsarbeit. Wir hingegen haben viel Erfahrung in der Methodenentwicklung innerhalb der prospektiven Technikbewertung wie auch in der Politikberatung.

 

Das klingt alles doch noch ein wenig abstrakt. Könnten Sie einen normalen Arbeitstag skizzieren?

Von Gleich: [lacht] Nein, aber was ich sagen kann ist: Wir arbeiten selber nicht im Labor, sondern mit Stift und Computer. Wir analysieren, erarbeiten Computermodelle und schreiben Texte. Überdies bin ich selber häufig in bestimmten Gremien der Bundesregierung eingebunden. Kurz: Meine Arbeit besteht im Prinzip aus Lektüre, Schreiben und Beraten.

 

Im Bezug auf Gene Drive: Wie geht es weiter?

Von Gleich: Wir versuchen weiter, die Instabilitäten und unerwünschten Wirkungen aufzuspüren. Was passiert beispielsweise, wenn sich der Gene Drive auf eine Wildpopulation überträgt? Wir haben die Pflicht, wissenschaftlich zu belegen, ob das schon mal vorgekommen ist und ob Experimente dazu gemacht wurden. Das ist die eine Seite, die andere ist: Was wollen wir überhaupt? Früher in der Gentechnikdebatte haben wir uns hauptsächlich auf die Nebenwirkungen konzentriert. Doch nun mit Gene Drive oder Genome Editing können wir plötzlich Dinge, die wir nie gekonnt haben. Da stellt sich die Frage: Wollen wir das auch? Ein anderer wichtiger Punkt ist das Vorsorgeprinzip: Gibt es die Möglichkeit, die Ausbreitung der Gene Drives zu begrenzen? Für mich wäre es ein No-Go, wenn es sich beim Gene Drive um eine Technologie handelt, bei der wir keine Handlungsmöglichkeiten haben, falls etwas schief gehen sollte.

 

Doch schlussendlich entscheidet die Regierung oder das Parlament über die Zukunft von Gene Drive und Co.

Von Gleich: Richtig. Aber um das zu entscheiden, brauchen sie natürlich vernünftiges Wissen, um adäquat abwägen zu können. Und es ist unser Job, den Entscheidungsträgern dieses Wissen bereitzustellen.

Interview: Juliet Merz



Letzte Änderungen: 21.12.2017