Editorial

Tolerante Ribosomen

(11.04.2018) Ribosomen akzeptieren auch tRNAs die ungewöhnliche Moleküle für die Peptidsynthese anschleppen. Ivan Hucs Gruppe nutzte dies für die Herstellung sogenannter Foldamere, die aus künstlichen Oligomeren mit helikalen aromatischen Strukturen bestehen.
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Egal ob Mikrobe, Maulwurf oder Maulbeere: Die Proteinbiosynthese folgt einem universellen Schema. Ihre Fabrik sind die Ribosomen, ihr Baumaterial die zwanzig proteinogenen Aminosäuren. Treffen acylierte tRNAs mit ihrer jeweiligen Aminosäure im Huckepack auf ein mRNA-Codon, welches komplementär zu ihrem tRNA-Anticodon ist, entladen sie ihre Aminosäure zum Anknüpfen an die wachsende Peptidkette.

Wie bei jeder Fabrik gibt es einen Eingang (Akzeptor-Stelle) zur Materiallieferung, eine geräumige Halle zur Verarbeitung (Peptidyl-tRNA-Stelle) und ein Tor zur Ausgabe (Exit-Stelle) der fertigen Güter. In einer Tischlerei passen Holzlatten locker durch die Tür, der daraus gefertigte sperrige Tisch aber nur durch einen breiten Warenausgang.

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Ribosom-Tischlerei

Natürlich kann eine Tischlerei mitunter auch Plastik oder andere Materialien bearbeiten und Tische aus Plastikplatte und Holzbeinen anfertigen. Mit Ribosomen verhält es sich ähnlich: Sie akzeptieren durchaus tRNAs, die als anzubauendes Kettenglied ungewöhnliche Moleküle mitbringen. Für tRNA-Acylations-Ribozyme, sogenannte Flexizyme, müssen diese Moleküle den klassischen Aminosäuren nicht einmal ähneln.

Ein Forscherteam um Ivan Huc von der LMU München hat die Toleranz dieser Flexizyme bezüglich Chemie, Größe, Stabilität und Struktur der zu verarbeitenden Waren und des Fertigprodukts maximal ausgereizt. Hucs Fokus lag auf helixförmigen aromatischen Foldameren. Foldamere sind künstliche Molekülketten, die in Lösung eine definierte Konformation annehmen. Konkret ging es um Foldamere mit einer Hauptkette aus Arylringen als oligomeres Grundgerüst und deren Einbau in Foldamer-Peptid-Hybride.

Foldamer-Kommando

Die Idee dahinter: Die starren, selbst-designten Foldamere sollen in dem Hybrid die Struktur vorgeben. Anders als in normalen Proteinen, wo jede Aminosäure bei der Faltung ein Wörtchen mitzureden hat, sollen sich die Peptide in dem Hybrid ganz nach dem Kommando der Foldamere richten.

Aromatische Oligoamid-Foldamere sind für ihre stabilen Helixstrukturen bekannt, die sogar Temperaturen von 120°C standhalten. Ihr Durchmesser ist etwa doppelt so groß wie der von (Protein-)alpha-Helices; intern sind sie durch Wasserstoffbrücken versteift. Anders als bei normalen Proteinen, die sich je nach Aminosäure-Seitenkette biegen, winden und rotieren, ändern diese nichts an der Form des Foldamer-Grundgerüsts.

Mithilfe des Flexizyms (eFx) beluden die Münchner ihre tRNAs mit je einem von elf acylierten Foldamer-Substraten. Gemein hatten diese ein Glycin-Phenylalanin-Dipeptid (zur verbesserten Ausbeute der „Fake“-Proteinbiosynthese) sowie eine Cyanomethyl­estergruppe (CME). eFX führt die tRNA-Acylierung vorzugsweise mit Peptid-Donoren durch, die eine CME-Gruppe tragen. Vorneweg befanden sich ein oder mehrere Quinolin- oder Pyridin-abgeleitete Gruppen (die aromatischen Gerüstgeber), die teilweise mit einem Seitenrest (Aspartat-, oder Ornithin-ähnlich beziehungsweise in Form von Tetraethylenglycol) dekoriert waren.

Sperrig aber effizient

Bei der In-vitro-Translation konnten die Ribosomen mit diesen außergewöhnlichen Substraten tatsächlich etwas anfangen. Die parallel getestete Translation eines Dodeka-Peptids mit N-terminalem Foldamer beziehungsweise mit normalem Formyl-Methionin war zwar effektiver. Bedenkt man jedoch wie sperrig die Foldamer-Substrate sind, ist deren Translationseffizienz mit zehn bis zwanzig Prozent dennoch beeindruckend.

Ribosomen tolerieren aber noch wildere Konstrukte. Mit einem weiteren Trick gelang Hucs Gruppe auch die Makrozyklisierung von Foldamer-Peptid-Hybriden, das heißt großen ringartigen Gebilden, bei denen sich die Katze in den Schwanz beißt. Der Biss erfolgt, wenn die Thiolgruppe nach der Translation mit der Chloracetyl-Gruppe eines Foldamers eine Thioether-Bindung eingeht.

Katze im Tunnel

Zwar passt die Katze nur gestreckt durch den „Exit-Tunnel“, kann sich aber direkt nach dem Ausgang krümmen; ganz ähnlich der posttranslationalen intramolekularen Disulfidbrückenbildung. Zwischen Kopf (Cystein) und Schwanz (Chloracetylgruppe) sollten jedoch zumindest vier bis fünf Aminosäuren liegen, sonst reicht die Gelenkigkeit für die Zyklisierung nicht aus.

Foldamere sind die größten von Ribosomen akzeptierten Bausteine. Solange sie an einer entsprechend manipulierten tRNA hängen und diese auf der mRNA ein passendes Codon findet, werden sie in die wachsende Peptidkette eingebaut. Auf diese Weise lassen sich Protein-Imitate mit völlig neuen Eigenschaften herstellen. Die Gruppe um Huc will die Foldamer-Hybrid-Technologie zum Beispiel mit der Sequenz-Randomisierung kombinieren und aus den erhaltenen Molekülbibliotheken die gewünschten Exemplare (etwa Inhibitoren pathogener Enzyme) über funktionelle Tests herausfischen.

Andrea Pitzschke



Letzte Änderungen: 11.04.2018