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Expedition ins Unbekannte

(24.04.2018) Tief im Regenwald von Madagaskar harren noch einige Lebewesen ihrer Entdeckung. Münchner Forscher beschrieben kürzlich drei neue Chamäleon-Arten.
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Calumma juliae

In einem kleinen Stückchen Wald im Osten von Madagaskar lebt ein zierliches, circa 11 cm grau-beiges Tier mit einer langen, abgerundeten „Nase“. Als sich ein Team von Zoologen aus München und Antananarivo im Januar 2016 dem Reptil näherten, war ihnen sofort klar, dass sie es hier mit etwas ganz Besonderem zu tun hatten. So ein Chamäleon war der Wissenschaft bisher völlig unbekannt. „Oft realisiert man erst gar nicht, dass man eine neue Art entdeckt hat, da sie anderen bekannten Arten sehr ähnlich sieht,“ erinnert sich Entdecker David Prötzel, Doktorand an der Ludwig-Maximilians-Universität/Zoologische Staatssammlung München. „Bei Calumma juliae war das anders; uns fielen sofort die Okzipitallappen hinter dem Kopf auf und die nächste ähnliche Art mit diesen Lappen wohnt 500 km weiter nördlich auf Madagaskar. So war die Freude groß. Wir blieben mehrere Stunden an dieser Stelle und fuhren auch die nächsten Tage immer wieder ins Habitat, um möglichst viele Tiere zu finden und deren Verbreitung zu erforschen“.

Während ihrer Erkundungstouren bemerkten die Wissenschaftler auch, dass das Chamäleon eine horizontale Schlafposition bevorzugt – andere Arten hängen oft mit dem Kopf nach unten. Wenn C. juliae gestört wird, fällt es sofort zu Boden und verharrt dort zusammengerollt und bewegungslos. Prötzel und Co. konnten außerdem beobachten, wie sich bei Stress die Färbung des Chamäleons ändert: von grau-beige zu einem dunkelbraunen oder grünen Muster im dorsalen Kopfbereich, mit blauen Punkten auf den Augenlidern und grünen auf der „Nase“ (siehe Photo oben).

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Versteckte Männchen

Bei genauerer Betrachtung stellten die Forscher jedoch fest, dass sie es ausschließlich mit Weibchen zu tun hatten. Hatten die Herpetologen womöglich eine Art entdeckt, die sich parthenogenetisch fortpflanzt? Prötzel und Kollegen halten das für nicht sehr wahrscheinlich: „Parthenogenese ist bisher von Chamäleons nicht bekannt, allerdings durchaus von anderen Echsen, wie von manchen Geckos oder auch Waranen. Außer der Tatsache, dass wir auf mehreren Expeditionen - auch jetzt in 2018 - keine Männchen gefunden haben, gibt es jedoch keinen Beleg für diese Hypothese,“ stellt Prötzel klar und erklärt, dass Männchen allgemein schwieriger zu finden seien, da sie höher in den Bäumen sitzen. „Weibchen müssen zumindest zur Eiablage auf den Boden und werden daher oft häufiger gefunden.“

Bereits bei früheren Expeditionen entdeckten die Zoologen zwei neue Chamäleon-Arten, die sie zusammen mit C. juliae nun in einem Paper beschrieben: Calumma lefona und Calumma uetzi. Genau wie C. juliae verfügen die beiden Newcomer über einen sehr auffälligen rostralen Anhang - die lange „Nase“. „Der Nasenappendix dient vermutlich der Kommunikation und Arterkennung. Die verschiedenen Arten der C. nasutum-Gruppe [zu denen die drei neuen Arten gehören] besitzen auch verschiedenfarbige ‚Nasen‘. Besonders auffällig ist das Pinocchio-Chamäleon (Calumma gallus) mit einer sehr langen, spitzzulaufenden Nase bei den Männchen, die wohl durch sexuelle Selektion entstanden ist,“ klärt Prötzel auf.

Ein passender Name

Im Gegensatz zu C. juliae fanden die Wissenschaftler männliche Tiere der C. lefona-Art, allerdings nur ein einziges. Und keine Weibchen. Das Tier lebte auf 1.700 m Höhe in Norden von Madagaskar und hat eine vergleichsweise lange und spitze „Nase“. Deshalb bekam es von den Wissenschaftlern auch den dazu passenden Namen verpasst: ‚Lefona‘ ist das madagassische Wort für Speer.

Leider gibt es keine Fotos aus dem Leben des Chamäleons mit der Speer-Nase. Aber ein paar Bilder konnten die Forscher dennoch aufnehmen - mit einem Computertomografen (microCT-scan). Dabei zeigte sich, dass C. lefona ein Loch in der Schädeldecke hat. Dieses „frontoparietale Fenster“ gibt es auch bei anderen Chamäleon-Arten, allerdings nur bei denen, die in Höhen von über 1.000 m leben. „Die Korrelation des Auftretens eines Fensters mit der Verbreitung in Höhenlagen ist schon interessant,“ meint Prötzel. „So könnte es sein, dass sich das Gehirn und vor allem der Sehnerv einfach schneller in der Sonne erwärmt, wenn kein Schädelknochen darüber liegt, und so das Chamäleon morgens schneller aktiv werden kann und dadurch Vorteile hat“.

Um ein Parietalauge, wie es bei vielen Eidechsen und Leguanen vorkommt, handelt es sich mit ziemlicher Sicherheit nicht. „Bei Chamäleons ist darüber noch nicht viel bekannt, bei der Gattung Calumma kann man jedoch kein Parietalauge von außen erkennen. Daher ist Lichtwahrnehmung wohl eher auszuschließen“, erläutert Prötzel.

Reklameschilder im Regenwald

Das dritte Chamäleon im neuentdeckten Bunde, C. uetzi, wurde zwar auf 1.100 m Höhe ebenfalls in Nordmadagaskar gefunden, aber es hat, wie auch C. juliae, einen geschlossenen Schädel. Von dieser Art, die nach Peter Uetz, einem Kollegen, Freund und Kurator der Reptile Database benannt ist, offenbarten sich den Wissenschaftlern sowohl Männchen als auch Weibchen. Zum Glück, denn nur dadurch konnten sie Zeugen eines beeindruckenden Farbspiels werden. Normalerweise braun/oliv-grün verwandeln sich die Männchen, sobald sie einem Weibchen gewahr werden, in kunterbunte „Reklameschilder“ für sich selbst: Grellgelb von Schwanz bis zu den Augenlidern, dazwischen blaue und rote Streifen und eine grüne „Nase“. Die Weibchen signalisieren etwas zurückhaltender nur mit gelben oder blauen Punkten im Kopfbereich Interesse oder Ablehnung (siehe Photo unten).


C. uetzi: Männchen links und Weibchen rechts, Credit: Frank Glaw

Alle drei Neuentdeckungen gehören übrigens zum Calumma boettgeri-Artenkomplex. „Als Artenkomplex bezeichnet man Arten, die aus mehreren, zum Teil noch unbeschriebenen, Arten oder auch genetischen Linien bestehen,“ erklärt Prötzel.

Faszinierendes Forschungsobjekt

Was fasziniert den Doktoranden eigentlich so an Chamäleons? „Der Farbwechsel, die Schleuderzunge und ihr interessantes Verhalten machen Chamäleons zu einzigartigen und auch beliebten Reptilien. Dennoch ist vieles bezüglich ihres Verhaltens und der Kommunikation noch unbekannt und auch neue Arten sind immer noch zu entdecken.“

Obwohl das Unbekannte lockt, konzentriert sich Prötzel zunächst auf bereits gesammelte Exemplare. Denn auch hier gibt es noch einiges zu tun. „Durch genetische Analysen und weitere Methoden, wie z.B. Micro-CT kommen immer wieder neue Arten ans Licht, die vorher nicht erkannt wurden. So sind noch mindestens vier weitere Chamäleon-Arten in Beschreibung und dutzende Froscharten,“ erzählt der Doktorand. „Leider,“ fügt er hinzu, „sind viele Lebensräume stark durch Brandrodung bedroht und viele Arten werden wohl aussterben, bevor sie entdeckt werden.“

Kathleen Gransalke



Letzte Änderungen: 24.04.2018