Editorial

Besser hören mit Licht

(09.05.2018) Optogenetiker haben ein schnell getaktetes Kanalrhodopsin in ein optisches Cochlea-Implantat eingebaut, das tauben Mäusen ihre Hörfähigkeit zurückgibt.
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Kanalrhodopsine stehen schon länger im Visier von Neurophysiologen. Diese ursprünglich aus einzelligen Algen stammenden Proteine sitzen in der Membran und ändern nach einem Lichtreiz das Membranpotenzial. Trifft ein Lichtstrahl mit passender Wellenlänge auf die Außen­antenne des Rhodopsins, formieren sich die übrigen Domänen zu einem offenen Ionenkanal, der sich bei Dunkelheit wieder schließt. Das Lichtsignal wird dadurch in ein elektrisches Signal umgewandelt. Neurophysiologen versuchen mit Kanalrhodopsinen unter anderem defekte Nervenleitungen zu überbrücken. Stattet man Nervenzellen mit Kanalrhodopsinen aus, so feuern diese bei jedem An- und Aus-Signal des "Lichtschalters" Nervenimpulse ab. Je schneller sie feuern, desto höher ist die Auflösung und desto feiner lassen sich Reaktionen steuern. Dazu muss jedoch jeder einzelne Lichtblitz das Öffnen und Schließen des Ionenkanals auslösen. Das ist bei den derzeit verwendeten Kanalrhodopsinen aber nicht der Fall.

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Sehr schnelle Mutanten

Ein Team um Ernst Bamberg vom MPI für Biophysik in Frankfurt hat deshalb verschiedene Mutanten des Kanalrhodopsins Chrimson konstruiert, die teilweise zehnmal so schnell öffnen und schließen wie der Wildtyp. Die Gruppe tauschte dazu Aminosäuren in der Helix F von Chrimson aus und erhielt schließlich die Mutanten fast (f)-Chrimson und very fast (vf)-Chrimson. Anhand von Patch-Clamp-Experimenten mit transformierten Neuroblastom-Gliom-Zellen zeigten Bambergs Mitarbeiter, dass vf-Chrimson die Schleusentore des Kanals im Dreimillisekunden-Takt auf- und zumacht.

Für potenzielle medizinische Anwendungen ist aber noch eine weitere Eigenschaft wichtig: Das Kanalrhodopsin muss sich mit möglichst sanftem, langwelligem Licht anregen lassen. Der schönste Nervenimpuls bringt nichts, wenn das bestrahlte Gewebe verkohlt. Die ursprünglichen Kanalrhodopsine von Algen sprechen auf kurzwelliges Blaulicht an. Chrimson-Kanalrhodopsine werden jedoch von sanfterem Rotlicht angeregt und daran ändern auch die Mutationen in f- sowie vf-Chrimson nichts.

Mit Virus in den Hippocampus

Die Gruppe schleuste ein für vf-Chrimson kodierendes Gen mithilfe eines auf Adeno-assoziierten Viren (AAV) basierenden Vektorsystems in Hippocampus-Nervenzellen von Ratten ein. Um eine optimale Anregung und reproduzierbare Ergebnisse zu erhalten, mussten die Forscher die Lichtintensität entsprechend justieren. Letztendlich maßen sie mithilfe von Patch-Clamp-Experimenten Feuer-Frequenzen von bis zu 400 Hz. Damit sollte es auch möglich sein, Hörnerven über optische Hörschnecken (Cochlea)-Implantate optogenetisch zu stimulieren.

Für die entsprechenden Versuche mit tauben Mäusen verwendete das Team die schnelle Chrimson-Variante f-Chrimson und injizierte einen AAV-Cocktail mit einem Fluoreszenz-markierten (EYFP-Tag) f-Chrimson-Konstrukt in das Ohr frischgeborener Mäuse. Isolierte Spiralganglion-Neurone (SGNs) der Mäuse zeigten die erhofften Fotoströme im Patch-Clamp-Test. Mithilfe des EYFP-Tags verfolgten die Forscher die Expressionsrate und die Funktionalität: In Kryo-Schnitten der Hörschnecke fluoreszierten etwa 80 Prozent der Zellen wie erwartet an der Zellmembran. Vor klinischen Einsätzen müsste man aber einen Nebeneffekt noch abstellen: Im nicht-injizierten Ohr leuchteten nämlich auch etwa fünf Prozent der Zellen, was die Forscher auf die ungewollte Ausbreitung des AAV zurückführen.

Taube Mäuse hören wieder

Gibt f-Chrimson tauben Mäusen wirklich das Gehör zurück? Fragen kann man die Tierchen nicht. Dafür kann man sie aber nicht-invasiv mit der Hirnstamm-Audiometrie untersuchen. Hierzu führten die Forscher ein feines optisches Kabel in die Gehörschnecke ein und beleuchteten die SGNs mit einem Rotlichtlaser. Die Mäuse reagierten über einen weiten Frequenzbereich von 20 bis 250 Hz. Offensichtlich hatten sie durch f-Chrimson und entsprechende Lichtimpulse des Implantats ihre Hörfähigkeit wiedererlangt. Fehl­entwicklungen verursachten die AAV-Transformation und das Implantat offenbar nicht. Auch nach neun Monaten waren die Tiere fidel, und exprimierten weiter das Transgen.

Was bringt das nun für schwerhörige oder taube Menschen? Gängige Hörgeräte, die mit elektrischen Hörschnecken-Implantaten arbeiten, haben eine beschränkte Auflösungskraft. Die von den Elektroden ausgeschickten Signale breiten sich ungewollt aus und verschwimmen. Das Problem eines diffusen elektrischen Feldes wird in optischen Cochlea-Implantaten durch die Anregung über präzise definierte Lichtimpulse umgangen. Die Chancen stehen deshalb gut, dass Schwerhörige ihren Gesprächspartner mithilfe von optischen Cochlea-Implantaten auch im Hintergrundgeplapper einer Menschenmasse verstehen.

Andrea Pitzschke



Letzte Änderungen: 09.05.2018