Editorial

Bursts in Echtzeit

(23.05.2018) Optogenetik hat sich zu einem beliebten Werkzeug entwickelt. Eine Gruppe der ETH Zürich nutzt das Tool, um stochas­tische Prozesse auf Transkriptions-Ebene zu untersuchen und zu regulieren.
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Die gängigen Verfahren, mit denen Forscher die Dynamik der Transkription analysieren, messen die Antwort der Gen-Expression auf natürliche Stimuli wie zum Beispiel Wachstumsfaktoren. Dabei können jedoch verschiedene Signalwege gleichzeitig eingeschaltet werden, wodurch der kausale Zusammenhang zwischen der Aktivität einzelner Transkriptions-Faktoren und der Gen-Expression verschleiert wird. So weiß man zwar, dass die Transkription vieler Gene in zufälligen (stochastischen) und pulsartigen Aktivitätsspitzen verläuft (sogenannten Bursts). Über die vorgelagerten Prozesse, etwa die Dynamik und Konzentration der Transkriptions-Faktoren, die ebenfalls stochastisch ablaufen, weiß man aber noch sehr wenig.

Um mehr über sie herauszufinden, konstruierte Mustafa Khammashs Gruppe vom Department of Biosystems Science and Engineering der ETH Zürich eine Plattform, mit der sie die Transkription in einzelnen S. cerevisiae-Zellen in Echtzeit messen kann. Dazu kombinierten Khammashs Mitarbeiter einen schnell agierenden, lichtregulierbaren Transkriptions-Faktor mit einem Visualisierungs-System, das neuentstandene Transkripte in lebenden Zellen erfasst.

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Der LOV-Faktor

Der konstruierte lichtempfindliche Transkriptions-Faktor besteht aus einem Fusionsprotein, das einen LOV (Light Oxygen Voltage)-Photorezeptor für Blaulicht enthält. Blaulicht-Stimulation induziert strukturelle Veränderungen in der LOV-Domäne, die den Transkriptions-Faktor aktiviert, worauf dieser an die Promotor-Sequenz bindet. Ist das Licht aus, wird der Transkriptions-Faktor innerhalb einer Minute deaktiviert und besitzt nur noch eine minimale Bindungsaffinität.

Für die visuelle Erfassung neugebildeter Transkripte nutzte die Gruppe das sogenannte MS2/PP7-SL-System, bei dem sich während der Transkription Haarnadelschleifen auf der RNA ausbilden, an die fluoreszierende Proteine binden. Das Fluoreszenz-Signal wird mittels Einzelmolekül-Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (smFISH) mit einem Mikroskop ausgelesen und spiegelt die Dynamik der naszierenden RNA wider.

Ein handgemachter experimenteller Aufbau ermöglichte die präzise raum-zeitliche Einstrahlung der Lichtimpulse. Er enthält einen speziellen Chip (Digital Micromirror Device, DMD), in dem etwa eine Million Mikrospiegel matrixförmig als Spiegel-Array angeordnet sind. Die Mikrospiegel haben eine Kantenlänge von etwa 14 Mikrometern, sind einzeln kippbar sowie „an“ und „aus“ schaltbar. Im Zustand „an“, reflektiert der Mikrospiegel von außen eingestrahltes LED-Licht mit einer räumlichen Auflösung von wenigen Mikrometern zielgenau auf einzelne Zellen.

Hunderte Hefezellen gleichzeitig

In Verbindung mit einer leistungsstarken Bildverarbeitungs-Software konnten die Schweizer Forscher auf diese Weise die Gen-Expression in hunderten einzelnen Hefezellen gleichzeitig über Licht steuern und quantifizieren. In dicht gepackten Zellkolonien entstehen hierdurch Lichtmuster von beliebiger Dauer und Intensität, die mit einem Mikroskop visualisiert werden können.

Khammash und Co. analysierten mit dieser Technik den zeitlichen Verlauf der Gen-Aktivität in den Zellen. In ihrem Paper zeigen sie, dass die Transkription in stochastischen Bursts verläuft, deren Dauer und zeitliche Verläufe durch die Lichtintensität, das heißt durch die Aktivität des lichtgesteuerten Transkriptions-Faktors, moduliert werden.

Zusätzlich integrierten die Forscher Rückkopplungs-Schleifen in ihr System und modellierten potenzielle Szenarien, um die Dynamik der Bursts zu verstehen und die zugrunde­liegenden Mechanismen zu identifizieren. Auf diese Weise fanden sie heraus, dass die Zell-zu-Zell-Variabilität in der Zellpopulation bei der Transkription durch eine Rückkopplungs-Kontrolle ausgeglichen wird. Außerdem konnten sie mithilfe einer anfänglich niederen Bindungsrate für den Transkriptions-Faktor nachweisen, dass Transkriptions-Faktoren zunächst die Nukleosomen von den Transkriptionsfaktor-Bindungsstellen verdrängen müssen - während nachfolgende Bindungsereignisse durch Transkriptionsfaktor-vermittelte Chromatin-Remodellierung erleichtert werden. Auf Basis dieser Daten erstellte das Team ein Modell, das die in vivo beobachtete Dynamik der transkriptionellen Ausbrüche sehr gut reproduziert.

Präzise Kontrolle

Mit der neuen optogenetischen Plattform können Forscher zelluläre Rückkopplungs-Strategien und deren Effekte auf die Gen-Expression untersuchen. Damit steht ihnen ein Werkzeug zur Verfügung, das es ermöglicht die Menge und Aktivität von Proteinen oder RNA präzise und differenziert zu kontrollieren und Expressions-Netzwerke zu untersuchen. Damit ist es nicht mehr weit bis zur räumlichen Kontrolle multi-zellulärer Systeme, etwa für die gezielte Differenzierung von Säugetierzellen bei der Gewebe-Regeneration.

Miriam Colindres



Letzte Änderungen: 23.05.2018