Editorial

Gemeinsam mehr erreichen

(28.05.2018) Bürger sammeln Daten für die Wissenschaft – Citizen Science ist seit einiger Zeit der absolute Renner. Die Bürgerwissenschaft bringt aber nicht nur Chancen mit sich, es gibt auch Risiken.
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Ob beim Beobachten von Wildtieren, Aufnehmen von Vogelstimmen oder Messen von Luftverschmutzungen – jeder hat die Möglichkeit, bei Forschungsprojekten mitzuhelfen. Egal ob leidenschaftlicher Laie oder richtiger Experte – jeder kann ein Citizen Scientist werden. Man braucht lediglich einen ordentlichen Wissenshunger, eine Portion Neugier und Faszination an der Forschung.

Dank moderner Technologien sind die Voraussetzungen für Citizen Science-Projekte heutzutage optimal. Mithilfe von Smartphones kann fotografiert, dokumentiert und aufgenommen werden soviel das Herz begehrt. Um die Daten zu sammeln und auszuwerten gibt es spezielle Online-Plattformen. So können Bürger ortsunabhängig bei Wissenschaftsprojekten mitforschen.

Die Möglichkeiten für die Forschung scheinen enorm – Wissenschaftler können so mit viel größeren Datenmengen arbeiten als bisher. Aber diese Form des Datensammelns hat nicht nur Vorteile, wie ein internationales Team von Wissenschaftlern aus Österreich, Tschechien und Deutschland zeigte. In vier Fallstudien zeigen sie die Erfolge und Probleme von Citizen Science-Projekten.

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Gänsebeobachtung in der Schule

Im ersten Fall hatte Erstautorin Didone Frigerio, Verhaltensbiologin der Universität Wien, schon früh die Idee, Schulklassen an ihrer Verhaltensforschung über Graugänse und Waldrappen teilhaben zu lassen. „Laien und Schulkinder können sich an unserem Langzeit-Monitoring beteiligen, da alle Tiere individuell markiert und damit unterscheidbar sind“, erklärt Frigerio.

In Tschechien haben Pavel Pipek und Lucie Diblikova mit Unterstützung von Laien die unterschiedlichen Dialekte der Goldammer kartiert. Die Bürger nahmen die Gesänge der heimischen Vogelart mit ihren Smartphones auf. Nur durch die flächendeckende Dokumentation der Vogelstimmen konnten die Forscher die Dialekte der Vögel erkennen und geographisch einordnen. Der Erfolg des Projekts motivierte Wissenschaftler auf der ganzen Welt zur Nachahmung. „Daraus hat sich ein internationales Netzwerk entwickelt, das sogar bis nach Neuseeland reicht“, berichtet Frigerio stolz.

Wie sich Füchse in einer Großstadt wie Berlin verhalten und den Lebensraum nutzen, hat Sophia Kimmig vom Leibniz-IZW untersucht. Sie fand auch heraus, welche Rolle die Medien bei der Motivierung der mitforschenden Laien einnehmen können. „Die kontinuierliche Begleitung des Projektes in Fernsehen und Radio trug wesentlich zur Rekrutierung der ehrenamtlichen Mitforschenden und zur Kommunikation der Forschungsziele nach außen bei“, erklärt Kimmig in einer Pressemitteilung.

Farmer ins Boot holen

In der vierten Fallstudie untersuchte Bettina Wachter, ebenfalls am Leibniz-IZW, Geparde in Namibia. Dort sind die Tiere eine große Bedrohung für die Rinderfarmer. Deshalb zog Wachter sie kurzerhand als Stakeholder in das Forschungsprojekt mit ein. So entstand eine „Win-Win-Situation“ für alle Beteiligten. Durch das Wissen und die Daten der Farmer konnten Mensch-Tier-Konflikte reduziert und sowohl Farmer als auch Geparde geschützt werden.

„Zu ähnlich positiven Ergebnissen kommt auch die Kollegin Silvia Winter von der BOKU in Wien, die Schüler in die Biodiversitätsforschung involviert hat“, berichtet Frigerio. Die Schüler beobachteten Kleinsäuger, Vögel und Insekten und führten Interviews mit der Bevölkerung durch.

Die Erfolge und Chancen von Citizen Science-Projekten liegen also auf der Hand. Ebenso offensichtlich sind aber auch die Probleme der Bürgerwissenschaft. Sind beispielsweise die so gesammelten Daten verlässlich und von guter Qualität? „Die Daten müssen auf ihre Richtigkeit geprüft und ausgewertet werden, und dafür muss man die Kapazitäten haben, bzw. im Voraus planen“, warnt Frigerio.

Motivierte Bürger

Ein weiteres Problem liegt in der Motivation der Bürger, über einen längeren Zeitraum hinweg Daten zu sammeln. Frigerio et al. fanden heraus, dass es besonders dann gut gelingt, Bürger längerfristig zu motivieren, wenn sie als Stakeholder ein eigenes Interesse an den Forschungs­ergebnissen haben und, wenn sie die Fortschritte der Forschung öffentlich sehen können. Bei Letzterem könnten wie bereits erwähnt die Medien mit an Bord geholt werden.

Aber auch die Pflege einer alters- und gruppenspezifischen Kommunikation ist laut Frigerio eine besondere Herausforderung. „Gefahren lauern in den Missverständnissen, die aus einer mangelnden, bzw. nicht zielgerichteten Kommunikation entstehen können“, erklärt die Verhaltensbiologin.

Die Vorteile der Bürgerwissenschaft überwiegen jedoch die Nachteile klar. „Citizen Science kann in der Tat einen wichtigen Beitrag dazu leisten, damit sich die Schere zwischen der wissenschaftlichen Community und der Gesellschaft schließt,“ meint Frigerio. Deshalb möchte sie auch in Zukunft mit Schulen und Laien für ihre Forschungsprojekte zusammenarbeiten.

Eva Glink



Letzte Änderungen: 28.05.2018