Editorial

(Reaktions-)Räume schaffen

(30.05.2018) Enkapsulin-Organellen schützen Bakterien vor oxidativem Stress. Mit ein paar Engineering-Tricks lassen sich Enkapsuline auch in Säugerzellen als Nano-Kompartimente mit vielfältigen Anwendungs­möglichkeiten einsetzen.
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Zellen sind richtige Ordnungsfreaks. Ohne Kompartimentierung würden Moleküle wild herumliegen und -schwirren, Interaktionen und enzymatische Umsätze wären Diffusion und Zufall überlassen. Dank eigener Außenmauer können natürliche Mini-Reaktoren (z.B. Chloroplast), zellinterne Müllhalden/Detox-Anlagen (z.B. Vakuole) und dergleichen aber locker nebeneinander werkeln.

Forscher vom HelmholtzZentrum München haben sich von bestimmten bakteriellen Verpackungs-Strategien einiges abgeschaut. Mit der neuen Strategie lassen sich Kompartimentierung und Ordnung in Säugerzellen um einiges steigern. Die Hauptzutat dafür sind bakterielle Enkapsuline.

Ursprünglich haben Bakterien diese wohl einmal von Viren übernommen. Enkapsuline sind Proteine, die sich aufgrund ihrer Struktur ganz von selbst in Kügelchen mit Hohlraum formieren. Hohlraum? Klingt nach Platz! In Bakterien wie etwa Myxococcux xanthus liegen Hüll- und Cargo-Protein auf einem Operon. Die Kapsel wird also gebaut und gleichzeitig bestückt. Kann man die Kapsel als Nano-Kompartiment betrachten und sie mit Ware eigener Wahl bestücken? Ja. Gelungen ist dies dem Forscherteam, indem es das Hüllprotein-Gen in Säugerzellen (HEK293T) exprimierte. Auch in dieser fremden Umgebung lagern sich 60 Enkapsulin-Einheiten zum Kügelchen zusammen. Praktischerweise – das zeigten Vergleichs­experimente mit bzw. ohne Co-Expression der bakteriellen Cargo-Proteine – baut sich die Hülle von selbst, ganz ohne Stabilisations­hilfe bzw. Füllstoff auf.

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Grenzenlose Phantasie

Das Nano-Kompartiment wäre also schon mal fertig. Für seine Bestückung konnte das Team auf die schon bekannte Signalsequenz der bakteriellen Cargo-Proteine zurückgreifen. Ein acht-Aminosäure-kurzes Peptid kommt als Adress-Aufkleber ans jeweilige Wunschprotein und schickt dieses in die Kugel. Beweis für den Erfolg lieferten Co-Immunopräzipitations-Experimente, welche den Kontakt zwischen Hüll- und Cargo-Protein dokumentierten. Somit waren die Grundwerkzeuge geschaffen und der Phantasie, wofür diese einzusetzen wären, kaum mehr Grenzen gesetzt.

An einer Handvoll sehr unterschiedlicher Beispiele zeigen die Forscher, was alles geht. Zunächst aber stellten sie sicher, dass Enkapsulin-Expression und die Gegenwart der Nanopartikel für Zellen keine Vitalitätseinbußen mit sich bringen. Nanopartikel eignen sich z.B. dazu, inkompatible Reaktionen räumlich zu trennen oder Proteolyse-anfällige Spezies zu schützen. Letzteres demonstriert die Gruppe um Gil G. Westmeyer anhand eines Proteins, welches absichtlich mit einem Degradations-Stempel versehen wurde. Trägt es den Adress-Aufkleber für die Verkapselung, so bleibt es von der Proteolyse verschont.

Nochmal kurz der Steckbrief mit Körpermaßen und Eigenschaften: 60 identische EnkapsulinA-Moleküle formieren sich eigenständig zu einer kugelförmigen Hülle. Proteolytische Prozessierung braucht es dafür nicht. Laut Blue Native-Elektrophorese liegt ihr Molekulargewicht bei ca. 10 Megadalton. Wie die Forscher beobachteten, findet in Säugerzellen eine Phosphorylierung der Enkapsulin-Einheiten statt. Ob die aber unbedingt funktionelle Bedeutung hat, ist nicht gesagt. Die Kugelhüllen sind robust über eine breite pH- und Temperaturspanne und haben ca. fünf Angström große Poren. Durch diese können z.B. Substrate hineinwandern und im Kugelinneren von Enzymen zu Produkten verarbeitet werden, die dann eingesperrt bleiben. Vielversprechend ist daher z.B. die Verwendung der Nano-Kompartimente als toxische Reaktoren. Was auch immer darin zusammengebraut wird, und sei es noch so giftig, betrifft den Rest der Zelle nicht.

Kapseln als interne Giftfabrik

Giftiges Säugerzellen-Produkt ist z.B. Melanin, dessen Synthese daher normalerweise nur in Melanosomen (hinter den schützenden Membran-Mauern spezialisierter Zellen) abläuft. In Säugerzellen, die Enkapsulin sowie eine lösliche Tyrosinase aus Bacillus megaterium exprimierten, fand das Team Melanin. Das für den Bau nötige Phenylalanin kam von den Säugerzellen selbst, einfach durch die Poren. Die Melanin-gefüllten Kapseln waren anhand ihrer dunklen Farbe mikroskopisch gut aufspürbar und beeinflussten nicht die Zellvitalität.

So ein Nano-Kompartiment bietet Platz für mehrere Partner. Prinzipiell ließen sich daher Stoffwechselvorgänge getrennt vom restlichen Zellgeschehen bewerkstelligen. Solange alle Mitspieler ein Kapsel-Signal tragen, sollten sie auch dort landen. Zwei passen auf jeden Fall rein, und finden auch zueinander, wie das Beispiel-Experiment mit split mCherry (zur Rekonstitution der bimolekularen Fluoreszenz) zeigt.

Auch für bildgebende Verfahren wie MRI (Magnetic Resonance Imaging) könnte die Enkapsulin-Technologie nützlich sein. Ist nämlich das Cargo-Protein ein Ferritin (Eisen-bindendes Protein), so lassen sich im Kapsel-Inneren Eisenatome (die wandern als Fe 2+-Ionen hinein) einfangen, und zwar bis zu 30.000 Stück. Damit lassen sich Zellen nicht nur besser erkennen, sondern dank Magnetismus auch von nicht-Ferritin-exprimierenden Zellen trennen. Füttert man Zellen in Kultur mit Fe 2+, so zeigen sich in Elektronendichte-Karten bald die Eisenanhäufungen der Kapseln. Neben dem Einsatz als genetisch kodierter Marker werden sich sicher noch viele Anwendungs­möglichkeiten aufdrängen.

Andrea Pitzschke



Letzte Änderungen: 30.05.2018