Editorial

Wiesu tut sie su?

(04.06.2018) Unsere (andere) TA macht vom Fenster der Teeküche aus seltsame Beobach­tungen. Können ihre Kollegen das Rätsel lösen?
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Forscher sind wissbegierig. Ständig hinterfragen wir die Welt um uns herum. Sogar zehn Minuten vor dem Gruppenseminar.

Zu diesem Zeitpunkt stehe ich im Seminarraum am Fenster, trinke Tee und schaue hinaus. Gewöhnlich sieht man dort unten Heerscharen von hochmotivierten Studenten den Weg entlang gehen und im Haupteingang des Gebäudes verschwinden. Heute ist etwas anderes zu sehen.

Keine fünf Meter vor dem Haupteingang steht eine adrett gekleidete junge Dame. Völlig regungslos. Weder raucht sie in hastigen Lungenzügen eine Zigarette zu Ende, noch tritt sie wartend von einem Bein aufs andere. Sie sieht vollkommen entspannt aus und zeigt keinerlei Ambitionen, ihren Posten in naher Zukunft verlassen zu wollen. Ein Ausweis an ihrem makellos gebügelten Blazer lässt auf eine offizielle Mission schließen.

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Ein Teil dieser Mission wird offenbar, als sich ein Herr im Anzug mit Aktentasche unterm Arm dem Haupteingang nähert. Eine Bewegung geht durch den Körper der jungen Dame. Auf ihrem Gesicht öffnet sich ein breites Lächeln, sie nickt dem Herrn höflich zu und macht eine einladende Handbewegung in Richtung der fünf Meter entfernten Eingangstür. Ihr Gebaren erinnert an das einer Stewardess kurz vor Abflug beim Zeigen der Notausgänge. Der Herr verschwindet durch die Eingangstür.

Über meinem Kopf erscheint ein Fragezeichen. Warum positioniert die Uni eine Einweiserin VOR der Eingangstür? Gut möglich, dass irgendwo in den Eingeweiden der Uni eine Tagung stattfindet, dann kann eine Einweiserin nicht schaden. Mancher Hörsaal im Gebäude ist in der Tat gut verborgen, aber um das zu kompensieren, müsste die junge Dame HINTER der Eingangstür stehen. Was nützt ihre engagierte Einweisungs­tätigkeit auf dieser Position? Aus fünf Meter Entfernung ist der Haupteingang der Uni nur schwer zu verfehlen.

Hinter mir betritt eine Kollegin den Seminarraum und bemerkt mein Interesse.

„Was gibt´s da zu sehen?“

„Rätsel vor der Eingangstür“, antworte ich.

Sie stellt sich neben mich. Gerade noch rechtzeitig, denn unten nähert sich soeben eine Dreiergruppe der jungen Dame, die noch in ihrer ursprünglichen Haltung verharrt. Ihr Einweisungs­gebaren wird offenbar erst bei Unterschreitung einer Distanz von fünf Metern ausgelöst. Bei vier Metern Annäherung lächelt sie und sobald die Gruppe auf zwei Meter herangekommen ist, folgen Nicken und Handbewegung.

Meine Kollegin staunt ebenso gebannt wie ich.

„Warum steht sie vor dem Eingang?“

„Wenn ich das wüsste.“

Das rätselhafte Tun der jungen Dame lässt mich an einen Satz von Astrid Lindgrens Rumpelwichten denken: „Wiesu tut sie su?“

Der nächste unserer Kollegen betritt die Szene, sieht uns am Fenster stehen, stutzt.

„Macht ihr denn da?“

Gleich darauf stehen wir zu dritt am Fenster. Der Neuankömmling wirft einen Blick auf die junge Dame, die soeben dem nächsten Besucher die gut sichtbare Eingangstür präsentiert.

„Macht die denn da?“

Zwei weitere Kollegen gesellen sich zu uns. Allmählich wird es eng am Fenster. Hoffentlich hebt die junge Dame nicht gerade jetzt den Blick. Sonst kommt sie noch auf die Idee, wir würden sie beobachten. Einer der beiden Neuankömmlinge bringt einen Funken Licht ins Dunkel.

„In der pharmazeutischen Chemie gibt´s heute ein Meeting.“

Warum dessen Gäste auf die keine fünf Meter entfernte Eingangstür hingewiesen werden, weiß er allerdings auch nicht. Wie könnten wir das rauskriegen? Wäre die junge Dame ein Gen, könnten wir sie ausschalten und gucken, inwieweit die ungehinderte Ankunft der Tagungsbesucher dadurch beeinträchtigt wird. Allerdings hat keiner von uns Lust runterzugehen, außerdem betritt in diesem Moment der Vortragende die Teeküche und startet den Beamer.

Es sieht so aus, als bliebe die Frage nach dem Warum künftiger Forschung vorbehalten.

Maike Ruprecht



Letzte Änderungen: 04.06.2018