Editorial

Kittelkuddelmuddel

(10.07.2018) Der schnöde, weiße Laborkittel hat absolut keinen Glamour Impact Factor. Unsere (andere) TA entdeckt dennoch ihre Fashion Coach-Qualitäten.
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Durch die fliegenden Wechsel von Bachelor- und Master-Studenten, die jeweils nur wenige Monate bei uns verbringen, werden regelmäßig neue Kittel aus dem Depotschrank ins Labor gespült. Jeder Neuling bekommt einen Kittel zugeteilt. Dieser sollte gut sitzen, der Tragende sollte sich darin frei bewegen und vor allem ungehinderten Zugriff auf seine Hände haben. Bis all das erreicht ist, kann die Anprobe erfahrungs­gemäß etwas länger dauern.

„Wir haben alles da. Bevorzugst du eine verdeckte oder offene Knopfleiste, Stehkragen oder Reverskragen, möchtest du einen Kittel mit Rückenschlitz oder vielleicht mit einem Rückensteg?“

Wenn ich so anfange, ist der Tag vorbei. Deshalb wecke ich stattdessen den Fashion-Coach in mir. Einfach schätzen und sich dann weiter vorarbeiten bis es sitzt. Ich reduziere das Vergabe-Gespräch also auf folgenden Satz: „Das ist eine 40/42, passt dir die?“

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Da sich die deutschen Konfektions­größen selten eins-zu-eins auf Berufs­bekleidung für im Labor tätige Personen übertragen lassen, ist dies eine eher rhetorische Frage, einzig dafür gedacht, den Einkleidungs­prozess einzuleiten.

Ein skeptischer Blick der einzukleidenden Person gleitet über die weiße Klamotte in meiner Hand.

„Schlüpf einfach mal rein, dann sehen wir ja, wie er ausfällt,“ schlage ich vor. Glücklicher­weise ist ein Laborkittel kein Model-Kleid. Hier betonen, da kaschieren, das ist nichts für einen Laborkittel. Das hat der nicht nötig. Ebenso wenig muss er sich mit irgend­welchen Accessoires kombinieren lassen. Sein Zweck ist ein anderer.

„Das ist übrigens reine Baumwolle. Wiederverwendbar, kochfest und schwer entflammbar“, preise ich die Vorzüge unserer Berufs­bekleidung an. Mit solchen Attributen wirbt ein gewöhnlicher Fashion-Coach sicher nicht oft, es sei denn, er kleidet Schweißer, Feuerwehr­leute oder Stuntmen ein. Aber es klingt gut, und so weiß der Anprobierende gleich, was dieses Kleidungsstück für ihn tut.

„Geh mal ein bisschen hin und her, ja so. Sitzt gut. Stylisch!“ Das letzte ist meist eher gutes Zureden. Der GIF, der Glamour Impact Factor, ist bei Laborkitteln eher klein. Je nach Eitelkeit des Einzukleidenden findet sich ein passender Kittel eher schnell oder eher nicht.

Gleichwohl ist das Zuteilen der Kittel im Gegensatz zum Loswerden das reinste Kinderspiel. Ein Vorteil der privat mitgebrachten Laborkittel ist: sie verlassen die Arbeitsgruppe mit ihren Besitzern. Zugeteilte Kittel werden oft einfach hängen gelassen und reichern sich im Laufe der Monate an. Wie Weinbeeren hängen sie in dicken Trauben an den Haken herum.

Um Platz für neue Kittel zu schaffen, veranstalte ich regelmäßige Entrümpelungs­aktionen, bei denen ich die überzähligen Kittel entweder zurück in den Schrank oder in die Wäsche befördere. Und das kann teilweise richtig mühsam werden. Vorher muss ich nämlich herausfinden, welche Kittel überhaupt überzählig sind.

Zwei Kollegen finde ich in der Teeküche. Auf meine Frage, welche der herum­hängenden Kittel ihre wären, schauen sie mich verblüfft an.

„Mein Kittel hat einen schwarzen Strich auf der linken Schulter“, erläutert der eine. Klar, sicher! Ein schwarzer Strich auf der linken Schulter. Wie konnte ich das übersehen?

Der zweite Kollege begleitet mich zu den Wandhaken.

„Ist ganz einfach!“

Aus einer der Textiltrauben zieht er einen Kittel hervor, biegt mit einiger Mühe die Brusttasche zurück und präsentiert mir voller Stolz ein kleines, auf die Innenseite der Brusttasche geschriebenes „R“.

„Das ist meiner. Ist doch ganz einfach.“ Er grinst.

Warum muss das so kompliziert sein? Warum können die Leute nicht einfach ihren Vornamen hinein schreiben? Oder wenigstens ihre Initialen? Zurückklappen der Brusttasche, schwarzer Strich auf der Schulter. Was kommt als nächstes? Soll ich Haarproben vom Kragen jedes Kittels nehmen, heimlich Vergleichs­proben von den Schultern meiner Kollegen sammeln und einen DNA-Abgleich machen? Bin ich CSI, oder was?

Maike Ruprecht



Letzte Änderungen: 10.07.2018