Editorial

Fresszellen im Weltall

(24.07.2018) Wie werden Gene in der Schwerelosigkeit reguliert, funktioniert hochauflösende Mikroskopie im All? Im Auftrag der Uni Magdeburg beantwortet Astro-Alex diese Fragen derzeit auf der ISS.
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3...3...1...Start! Am 29. Juni 2018, 5:42 Uhr EST hob eine Falcon 9-Rakete vom Kennedy Space Center in Florida zur Interna­tionalen Raumstation, ISS, ab. An Bord waren auch zwei Experimente der Unis Magdeburg und Zürich, als Teil der Mission „horizons“. Sie sollen helfen, Astronauten bei langen All-Aufenthalten gesund zu halten, und können vielleicht sogar die Behandlung von Menschen auf der Erde verbessern.

Studienleiter der beiden Experimente ist Oliver Ullrich, Honorar-Professor für Weltraum­biotechnologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Er leitet auch eine Arbeitsgruppe für Gravitations­biologie an der Uni Zürich, wo sein Team schon einige Versuche auf der ISS, auf Höhenfor­schungs­raketen und Parabelflügen sowie in simulierter Schwere­losigkeit durchgeführt hat. Mit ihm arbeitet Cora Thiel, die die beiden Experimente der „horizons“-Mission leitet, und die sich bestens mit den Herausfor­derungen der Schwere­losigkeit auskennt: „Langzeit-Missionen stellen die Weltraummedizin vor enorme Heraus­forderungen. Die Dekondi­tionierung des Immunsystems gilt als wesentlicher Risikofaktor dafür, dass Astronauten gehäuft an Infektionen und allergischer Hypersen­sitivität der Haut leiden“, erklärt sie.

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Schnell angepasst

Die Schwere­losigkeit scheint diese Immun­problematik zu verursachen, genau verstanden ist dies jedoch nicht. Aus eigenem Hause wissen sie, dass sich Zellen des Immunsystems extrem schnell an Schwere­losigkeit anpassen. So verfallen Makrophagen in eine Art Schock, wenn sie von 1g künstlicher Gravitation auf 0g in der ISS fallen. Jedoch sind sie bereits nach 42 Sekunden wieder voll funktionsfähig und zur Phagozytose bereit (Sci Rep, 7(1):43). In anderen Experimenten bei simulierter Kurzzeit-Schwere­losigkeit haben sie gesehen, dass sich auch die Gen-Regulation ändert. Thiel erinnert sich: „Bereits nach kurzer Zeit war beinahe die gesamte Gen-Regulation an die Schwere­losigkeit angepasst! Wir denken, dass es auf Zellebene ein beeindruckend schnelles Anpassungs­potential an Schwerkraft-Änderungen gibt.“

In einem der beiden Experimente auf der ISS nehmen die Magdeburger und Zürcher Forscher dies nun genauer unter die Lupe, so Projektleiterin Thiel. „Aktuell versuchen wir, genau zu verstehen, wie die Schwerkraft in Zellen in eine biologische Reaktion und schlussendlich in Anpassungs­vorgänge umgesetzt wird.“ Als Versuchsobjekte dienen ihnen menschliche Makrophagen. Diese „Fresszellen“ des Immunsystems wurden aus Spenderblut als Vorstufen isoliert und differenziert. Sie proliferieren nicht mehr, was sie pflegeleicht macht und bei wochenlangen Experimenten im All nicht überwachsen lässt.

Keine Fehler erlaubt

Neben der geschickten Auswahl der Versuchs­modelle stellen Weltraum-Experimente noch höhere Anforderungen an die Forscher. Laut Cora Thiel, die die beiden „horizons“-Experimente vorbereitet und durchgeführt hat, gibt es keinen Raum für Nachlässigkeit. „Experimente im Weltraum müssen perfekt sein“, sagt sie. „Der Weg vom Labor zur weltraum­tauglichen Einsatz­fähigkeit ist weit. Die Anpassung und Optimierung selbst einfachster Experiment-Abläufe kann ein Albtraum werden. Jeder Schritt der Prozesskette muss optimiert, getestet und validiert werden.“ Das wirft nach jahrelanger Arbeit oft nur ein einziges Experiment ab.

Bei der aktuellen „horizons“-Mission führt Astronaut Alexander Gerst die beiden Weltraum­biologie-Experimente durch. Dabei ist seine Zeit die knappste Ressource, also sind die Versuche halb-automatisiert und von der Bodenstation überwacht. Vor der Mission hat Astro-Alex den Versuchs­ablauf pauken müssen, mit Protokollen der Wissenschaftler. Auf der ISS setzt er die Zellen veränderten Schwerkraft-Bedingungen aus, wobei 1g wie auf der Erde einfach in Zentrifugen simuliert wird. Dann fixiert er sie und schickt sie zurück zur Erde.

LEDs statt Laser

Im August werden sie im Kennedy Space Center ankommen und von den Teams der Unis Magdeburg und Zürich in Empfang genommen, aufbereitet und zur Analyse in die heimischen Labore gebracht. Thiel erklärt weiter: „Wir werden die Protein-DNA-Interaktion mittels Chromatin-Immuno­präzipitation und anschließender Sequen­zierung (ChIPSeq) analysieren. Dabei werden wir die DNA-Bindungsstellen ausgewählter Zielproteine bei den unterschiedlichen Schwerkraft-Bedingungen identifizieren und die Profile der DNA-Protein-Bindungsstellen und Histon-Modifikationen miteinander vergleichen.“ So bekommen die Biologen ein epigenetisches Profil unter verschiedenen Schwerkraft-Bedingungen.

Wie dies die Morphologie der Makrophagen beeinflusst, wollen die Forscher in Zukunft live beobachten können. Dafür testen sie in ihrem zweiten „horizons“-Experiment gerade den Prototyp eines hochauf­lösenden Fluoreszenz-Mikroskops, des FLUMIAS-ISS-Mikroskops. „Mit ihm soll gezeigt werden, dass die hochauf­lösende Fluoreszenz-Mikroskopie prinzipiell an Bord der ISS möglich ist“, so Thiel. So hat das Mikroskop beispielsweise keine Laser wegen der hohen Sicherheits­bestimmungen, sondern LEDs. Der FLUMIAS-Prototyp schießt zurzeit Bilder von Makrophagen und liefert täglich Vorschaubilder (siehe Bild unten) an die Erde, bevor die Originalbilder in hoher Auflösung zusammen mit dem Mikroskop zurück zur Erde kommen.


Live von der ISS: Makrophagen mit gefärbtem Nukleus (blau), Vimentin-Zytoskelett (grün) und Aktin-Zytoskelett (rot). Credit: Uni Zürich

Die beiden Experimente sind Teil einer großen Versuchsgruppe, an deren Ende die Forscher hoffen zu verstehen, wie mechanische Kräfte auf molekularer Ebene wahrgenommen und verarbeitet werden. „Und wenn wir das wissen, können wir viel besser Krankheiten behandeln, in denen mechanische Kräfte eine Rolle spielen, wie zum Beispiel beim Knochen- und Muskelabbau“, so Cora Thiel. Dieses Wissen kann auch auf normale „Erdenbürger“ angewandt werden.

Studienleiter Ullrich hat jedoch auch das All im Fokus - ihn spornen die enormen Chancen der Nutzung des Weltraumes an. Er meint, der Mensch sei schon immer eine neugierige, hochmobile Spezies gewesen und habe die gesamte Erde besiedelt. „In der Höhle zu bleiben, war noch nie eine taugliche Überlebens­strategie. Damals nicht, heute nicht, und morgen auch nicht.“

Karin Lauschke



Letzte Änderungen: 24.07.2018