Editorial

Mehr Fett, weniger Proteine

(25.07.2018) Algen haben einen sehr hohen Lipid­gehalt, den man zum Beispiel für die Biodiesel-Gewinnung ausnutzen kann. Mit einem simplen Trick werden die kleinen Einzeller aber zu wahren Fettbomben.
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Bevor der Menschheit die Energie ausgeht und sich Erde und Gemüter unter einer wachsenden Treibhaus­gasglocke weiter erhitzen, müssen Alternativen her. Biodiesel aus Raps oder Zucker bringt‘s nicht – so viel ist mittlerweile klar. Kalorien vom Feld sind im Stoffwechsel von Mensch und Tier viel besser angelegt. Wie lässt sich also Biomasse mit hohem Fett- (also Energiegehalt) platzsparend züchten?

Algenforscher haben prinzipiell eine Antwort darauf wie das gehen könnte, doch bezüglich Effizienz ist noch viel Luft nach oben. Fette Ausbeute verspricht eine Entdeckung von Forschern der Shanghai Normal University am Modell-Organismus Chlamydomonas reinhardtii. Sie haben die einzellige Grünalge „probiotisch“ manipuliert und so Lipid- und Biomasse-Produktion um ein Vielfaches gesteigert.

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Eimerchen oder Tank voll

Chlamydomonas-Zellen bestehen zu 28 Prozent aus Fett. Bisherige Optimierungen zur Lipid-Produktions-Steigerung in Algen konzentrierten sich auf Änderungen der Zuchtbe­dingungen. Unter Starklicht oder Nährstoffmangel (vor allem Stickstoff) setzen einige Algen nämlich ganz gut Fett an (diverse Triacylglyceride). Das Dilemma: Stickstoffmangel pusht zwar die Lipid-Produktion, hemmt aber automatisch die Zellvermehrung. Man hat also entweder ein Eimerchen energiereicher oder einen Tank voll energiearmer Biomasse. Die Wunschlösung, viel und fettig, gelingt jedoch durch Co-Kultivierung mit dem Bakterium Azotobacter chroococcum.

Die Co-Kultur erinnert an Leguminosen und Knöllchen­bakterien, denn A. chroococcum gehört zu den aeroben Bakterienspezies, die Stickstoff aus der Luft fixieren können. Die chinesische Gruppe fütterte die Algen zunächst ordentlich, vermehrte sie dann zur Lipid-Produktion in stickstofffreiem Medium, wusch sie und kultivierte sie dann weiter. Anschließend pipettierten die Forscher eine Azotobacter chroococcum-Suspension dazu. Dank der regelmäßigen Stickstoff-Zufuhr durch A. chroococcum litten die Algen hierdurch nicht unter Nährstoff­mangel - im Gegenteil, die Zellvermehrung wurde sogar vorangetrieben.

Nilrot unterm Mikroskop

Mithilfe von Proben zur Trockengewichts-Bestimmung sowie durch Zellzählungen ausplattierter Algen- und Bakterienkulturen ermittelte die Gruppe das jeweilige Zelldichte-zu-Trockengewicht-Verhältnis. Zusätzlich färbte sie die Kulturproben mit dem Lipid-Fluorophor Nilrot und verfolgte den Gehalt und die Verteilung der Lipide unter dem Mikroskop.

Über einen Zeitraum von neun Tagen entnahm das Team täglich eine Probe. Die abzentrifugierten Co-Kulturen trockneten die Chinesen zunächst. Anschließend extrahierten sie die Lipide mit einem Methanol-Chloroform-Mix, das sie im Rotations­verdampfer einengten. Zurück blieb die trockene Lipidmasse, deren Fettsäuren sie nach einer Veresterung über GC-MS identifizierten.

Knapp 400 Milligramm Lipide erhielten die Forscher aus einem Liter Co-Kultur, wobei der Löwenanteil von den Algen zugebuttert wurde, deren Fettanteil beachtliche 65 Prozent erreichte. Die maximale Lipid-Produktivität lag mit 140 Milligramm pro Liter und Tag knapp zwanzigmal höher, als bei Azotobacter-freien Algenkulturen. Ungefähr ab dem vierten Tag machte sich der Bakterieneffekt bemerkbar, das heißt die Algen vermehrten sich und erlangten in drei bis vier Tagen das Vierfache ihres Ausgangs­gewichts.

Maximum erreicht?

Der Bakterien-Anteil in der Co-Kultur betrug etwa ein Zehntel. Tatsächlich trieben die Bakterien die Algen zu Maximal-Leistungen an. Eine Kontrollkultur aus Algen, die ohne Nährstoffmangel ein stickstoffhaltiges Medium genoss, wuchs genauso schnell wie die Bakterium-statt-Stickstoff-Variante. Schon vom ersten Tag nach der Azotobacter-Zugabe kam die Lipid-Produktion in Fahrt und wuchs auch weiter, nachdem die Zellen schon ihre Wachstums-Sättigung erreicht hatten. Wie es nach Tag Neun weiterging, bleibt unklar. Doch dass sich 65 Prozent Fettanteil für Algen noch steigern lassen und sie dies überleben, ist schwer vorstellbar.

Um eine Ahnung zu bekommen, was in den Algen stoffwechsel­technisch eigentlich passierte, hat sich die Gruppe Proteingehalt, Fettsäure-Zusammensetzung und einige Schlüsselenzyme (zum Beispiel diverse Diacylglycerol-Acyltrans­ferasen) genauer angeschaut. Fett wird auf Kosten von Protein produziert, quasi der inverse Bodybuilding-Effekt: Der Proteingehalt sank binnen neun Tagen um das 4,5-fache (auf 13 Prozent). Die Kohlenhydrat-Level änderten sich im Vergleich dazu eher unspektakulär.

Interessanterweise reicherten sich einzelne Fettsäuren ganz spezifisch an: Der C12:0-Gehalt lag mit Co-Kultivierung bei 1,6 Prozent, ohne nur bei 0,1 Prozent. C16:0 veränderte sich nicht, während C18:0 von zwölf Prozent ohne Co-Kultivierung auf 47 Prozent mit Co-Kultivierung deutlich zunahm. Die Produktion mehrfach ungesättigter Fettsäuren in den Algen scheinen die Bakterien aber eher zu bremsen. So sank zum Beispiel der C18:3-Gehalt von 50 Prozent ohne Azotobacter auf 17 Prozent mit den Stickstoff-Lieferanten. Macht jedoch nichts, es geht ja nicht um ein Produkt für Cholesterin-Bewusste.

Ein wildes Auf und Ab

Unter den Fettstoffwechsel-Enzymen tat sich in den co-kultivierten Algen einiges. Zumindest was die Expression betraf, gab es ein wildes Auf und Ab, je nach Enzym(-isoform) und Zeitpunkt. Zugute kam den Forschern bei ihrer Expressions-Analyse die Tatsache, dass Chlamydomonas vollständig sequenziert und somit alle Kandidaten-Gene bekannt waren. Für AcetylCoA-Carboxylase (ACC) beispielsweise gab es einen klaren Trend: Die sukzessive Expressions-Steigerung über den Neun-Tage-Verlauf erfolgte in Anwesenheit von Bakterien steiler; der Rückgang an DGTT1-Transkript (Diacylglycerol-acyltrans­ferases type 2) war in der Co-Kultur gebremst.

Jetzt müssen die Expressions-Daten nur noch mit Enzym-Aktivitäten untermauert werden. Dann lässt sich vielleicht hie und da ein weiteres Schräubchen verstellen, um Chlamydomonas zu maßgeschnei­derten Lieferanten ausgewählter Fettsäuren zu machen.

Andrea Pitzschke

Xu L. et al. (2018): Enhanced lipid production in Chlamydomonas reinhardtii by co-culturing with Azotobacter chroococcum. Front Plant Sci, 9:741



Letzte Änderungen: 24.07.2018