Editorial

Heilung von Innen

(26.07.2018) Körpereigene T-Zellen gegen Krebs einsetzen – ein Traum, der mit T-Zell-Therapien von Novartis und Kite Pharma bald wahr werden könnte. Medigene arbeitet bereits an der nächsten Generation.
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Für Blutkrebs-Patienten gibt es wohl bald neue therapeutische Hoffnung. Ende Juni hat die Europäische Arznei­mittel­behörde (EMA) Novartis‘ Kymriah („Tisagen­lecleucel“) und Kite Pharmas Yescarta („Axicabtagene Ciloleucel“) grünes Licht gegeben und eine Markt­zulassung empfohlen. Es wären die ersten T-Zell-Therapien gegen Krebs - eine Premiere in Europa.

Hinter den etwas geheimnisvoll klingenden Markennamen verbergen sich sogenannte CAR-T-Therapien. CAR steht hier nicht etwa für ein Fortbewe­gungsmittel sondern für Chimeric Antigen Receptor. Dieser künstliche Rezeptor erkennt spezifische Marker auf den Oberflächen von Krebszellen, bindet an sie und aktiviert das Immunsystem des Patienten. Damit er diese Mission erfüllen kann, muss er zunächst in die Zellen geschleust werden. Hierfür entnimmt man dem Patienten T-Zellen und transfiziert diese über einen viralen Vektor mit spezifischen CAR-Genen. Abschließend bekommt der Patient seine aufgemotzten T-Zellen zurückgespritzt.

Sowohl Kymriah als auch Yescarta sind auf das B-Lymphozyten-Antigen CD19 gedrillt. Dieses wird von gesunden B-Zellen während ihres Reife­prozesses exprimiert und dient daher auch als Marker für B-Zell-Lymphomas wie das diffuse großzellige B-Zell-Lymphom (DLBCL), die Akute Lymphatische Leukämie (ALL) sowie die Chronische Lymphatische Leukämie (CLL).

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Regulatorische Schwierigkeiten

Für die Behandlung genau dieser Erkrankungen haben Novartis und Kite Pharma bei der EMA die Zulassung beantragt. Der Entscheidungs­prozess war jedoch nicht einfach. „Neuartige Behandlungen wie die mit CAR-T-Zellen haben das Potential, die Prognose für Krebspatienten zu verbessern, aber sie bringen auch neue wissenschaftliche und regulatorische Schwierig­keiten mit sich,“ erklärt Tomas Salmonson, Vorsitzender des zuständigen EMA-Ausschusses für Human­arzneimittel (Committee for Medicinal Products for Human Use, CHMP) in einer Presse­mitteilung. So arbeite man unter anderem an einem soliden Daten­erfassungs-System, das auf die Besonderheiten der beiden Therapien zugeschnitten ist. Besonderes Augenmerk werde auch auf das Risiko-Nutzen-Profil und das Risiko-Management der Therapien gelegt, beteuert Salmonson.

Und das nicht ohne Grund. Denn eine Aktivierung des Immun­systems wie bei Kymriah und Yescarta kann auch schnell in eine Überreaktion umschlagen. Häufig muss man deshalb bei CAR-T-Therapien mit lebens­bedrohlichen oder gar tödlichen Neben­wirkungen rechnen. Beim sogenannten Cytokinsturm, bei dem Leukozyten massenhaft entzündungsfördernde Cytokine ausschütten, kommt es zu hohem Fieber, Grippe-ähnlichen Symptomen und sogar zu neurologischen Beein­trächtigungen. In den USA ist deshalb die Behandlung mit den beiden Immun­therapien nur in speziellen medizinischen Zentren möglich. Und auch nur dann, wenn andere Therapien nicht angeschlagen haben.

Mehrere hundert tausend Dollar

Der Schicksal von Kymriah und Yescarta liegt nun in den Händen der Europäischen Kommission. Man kann jedoch davon ausgehen, dass der EMA-Empfehlung entsprochen wird. Jeder EU-Mitgliedsstaat kann dann über Preis und Kostenerstattung selbst entscheiden. In den USA schlagen die beiden Therapien übrigens mit $475.000 für Novartis‘ Kymriah und 373.000 US-Dollar für Kite Pharmas Yescarta recht heftig zu Buche.

Trotz aller Neben­wirkungen und hohen Kosten wird CAR-T-Therapien eine große Zukunft vorausgesagt. „Kymriah revolutioniert bereits die Behandlung bestimmter Leukämie- und Lymphomarten in den USA und zeigt, dass personalisierte Zelltherapien ein unglaublich wirkungsvolles Mittel im Kampf gegen den Krebs sind,“ ist Carl June von der Universität Pennsylvania überzeugt. Und das sollte er auch sein, denn June hat die Kymriah-Therapie entwickelt. Seine Universität gab Novartis vor zwei Jahren für 20 Millionen US-Dollar eine Lizenz zur kommerziellen Weiter­entwicklung.

Vielleicht steht aber bereits die nächste Revolution bei Krebs­immun­therapien vor der Tür? Anstatt auf synthetische Antigen-Rezeptor-Konstrukte setzt man bei Medigene in München auf natürliche T-Zell-Rezeptoren und die entsprechend benannten TCR-T-Therapien. „CAR-Ts können nur Proteine auf der Zell­oberfläche erkennen und damit nur ca. 30% des humanen Proteoms“, lässt Medigene Laborjournal wissen. „Ca. 70% des humanen Proteoms liegen jedoch im Inneren der Zelle. Diese intrazellulären Proteine können, ‚kleingebrochen‘ als Peptide, von MHC-Molekülen auf der Zell­oberfläche den Rezeptoren der T-Zellen präsentiert werden. Die Erkennung zwischen dem MHC-Peptid-Komplex und dem T-Zell-Rezeptor ist sehr sensibel. Dadurch ergibt sich eine viel breitere Anwendbarkeit von TCR-Ts bei verschiedensten Krebsarten.“

Firmengeheimnis

Die von Medigene verwendeten T-Zell-Rezeptoren isoliert die Firma aus gesunden Spendern und hat sich so schon eine große Rezeptor-Bibliothek mit Affinitäten gegen unterschiedliche Tumore zugelegt. „Über die genaue Anzahl möchten wir aus Wettbewerbsgründen keine Angaben machen“, teilt Medigene mit und ergänzt: „Durch unsere Plattform-Technologie können wir auch ganz systematisch für verschiedene Bevölkerungsgruppen, die z. B. andere HLA-Typen, als das am häufigsten vorkommende HLA-2A aufweisen, relativ schnell maß­geschneiderte TCRs entwickeln. Auch das ist ein großer Wachstumsmarkt.“

Die Natürlichkeit des Ansatzes könnte jedoch eines der größten Probleme der CAR-T-Therapien lösen – die drastischen Neben­wirkungen. Das vermutet zumindest Medigene und macht sich derzeit daran, diese Annahme klinisch zu überprüfen. Unter anderem mit einer kürzlich angelaufenen Phase I/II-Studie. „Nach 4 Jahren Entwicklung bei Medigene hat unsere erste klinische Studie mit TCR-modifizierten T-Zellen im März begonnen und die Patienten­rekrutierung für die Phase I/II-Studie läuft,“ vermeldet man nicht ohne Stolz. Behandelt werden sollen Patienten, die an akuter myeloischer Leukämie (AML), myelo­dysplastischem Syndrom (MDS) oder multiplem Myelom (MM) erkrankt sind. „Als erster Schritt erfolgt eine Apherese, die Isolierung der patienten­eigenen T-Zellen. Diese werden dann mit Medigenes spezifischem PRAME-TCR ausgestattet, vermehrt und anschließend dem Patienten per Infusion verabreicht,“ erläutert Medigene die Prozedur. Das Tumorantigen PRAME (PReferentially expressed Antigen in Melanoma) kommt fast ausschließlich in malignen Zellen vor.

Kostspielige Herstellung

Der Weg bis zur Zulassung durch die EMA ist aber noch sehr lang. Kann man bei Medigene schon abschätzen, ob die TCR-T-Therapien genauso hochpreisig sein werden wie die CAR-T-Therapien? Oder sogar noch teurer? Klar ist, dass die sterile Produktion momentan noch sehr personal­aufwändig und die benötigten Materialien (Wachstums­medien, -Seren, virale Vektoren) sehr kostspielig sind. „Es ist noch zu früh, um für diese ‚nächste Generation‘ von T-Zell-Therapien konkret über mögliche Preise zu sprechen,“ heißt es aus Medigene-Kreisen. „Wir erwarten aber, dass in den nächsten Jahren die Kosten für die Herstellung persona­lisierter Therapeutika im Allgemeinen fallen könnten. Dies könnte z. B. durch eine Automati­sierung und Miniaturi­sierung der Herstellungs­prozesse erreicht werden. Laborgeräte-Hersteller arbeiten bereits an solchen Lösungen, die für eine Produktions­ausweitung auf größere Patienten­gruppen auch unbedingt erforderlich sein werden.“

Kathleen Gransalke



Letzte Änderungen: 25.07.2018