Editorial

Aus der Not geboren

(30.07.2018) Seit fast 100 Jahren ist die Deutsche Forschungs­gemeinschaft der erste Ansprechpartner in Sachen Projekt-Finanzierung. Mehrere Milliarden Euro schüttete die DFG im letzten Jahr aus.
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Notgemeinschaftsausschuss 1924 mit Fritz Haber (v.l.) und Max Planck (Mitte)

„Das Forschungs­material ist aufgebraucht, die Instrumente sind abgenutzt. Neuan­schaffungen sind nicht möglich, weil Materialien und Instrumente kolossal im Preise gestiegen sind. Das Erscheinen wissen­schaftlicher Zeitschriften und Bücher ist durch die Wucherpreise der Herstellung in Frage gestellt. […] Es ist eine Schande, daß die Wissenschaft mit dem Bettelsack herumgehen muss.“ Das ist nicht etwa ein zeitge­nössisches Zitat, sondern stammt aus dem Jahre 1921 von Clara Zetkin.

Ja, auch damals war die Kohle für die Forschung knapp, sehr viel knapper noch als heute. Denn nach dem ersten Weltkrieg war Deutschland isoliert und steckte mitten in einer veritablen Inflation, an dessen Höhepunkt (im Jahre 1923) das Inlands­briefporto beispiels­weise 2 Millionen Mark kostete. Etwas musste gegen die „erwachsene Gefahr völligen Zusammen­bruchs“ der Forschung getan werden. Und so schlossen sich am 30. Oktober 1920 fünf deutsche Akademien, 35 Hochschulen und Universitäten, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (jetzige Max-Planck-Gesellschaft), der Verband Technisch-Wissen­schaftlicher Vereine und die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte zur „Deutschen Gemeinschaft zur Erhaltung und Förderung der Forschung – Notge­meinschaft der Deutschen Wissenschaft – E.V.“ zusammen. Bereits 1929 erfolgte die Umbenennung in „Deutsche Gemeinschaft zur Erhaltung und Förderung der Forschung“, kurz: „Forschungs­gemeinschaft“ – DFG, der Rest ist, wie es so schön heißt, Geschichte.

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Von 20 Millionen Mark auf 3 Milliarden Euro

In den Bettelsack steckte das Reichs­innen­ministerium damals, also 1920, 20 Millionen Mark. Fast 100 Jahre später fördert die DFG über 30.000 Projekte mit mehr als drei Milliarden Euro. So steht es im Jahresbericht der DFG, der Anfang Juli veröffentlicht wurde. „Sie alle, die erstmals geförderten Projekte und die bereits in der Förderung befindlichen, standen in gleicher Weise für die Leistungs­fähigkeit der erkenntnis­geleiteten Forschung und der wissenschafts­geleiteten Forschungs­förderung in Deutschland,“ schreiben DFG-Präsident Peter Strohschneider und DFG-General­sekretärin Dorothee Dzwonnek im Vorwort. Im Vergleich zum Vorjahr schüttete die DFG sogar 120 Millionen Euro mehr aus.

Insgesamt wurden für alle DFG-Programme über 6,5 Milliarden Euro beantragt. Natürlich konnten nicht alle Anträge bewilligt werden. In der Einzel­förderung (Neuanträge) etwa betrug die Bewilli­gungsquote (Verhältnis der Bewilligungs­summe zur Antrags­summe aller Anträge) 30,4 %. Bei der Förderquote, dem Verhältnis der Zahl der Bewilligungen zur Zahl der Anträge, sieht es mit 38,4 % sogar etwas besser aus. In den Lebens­wissenschaften liegen die beiden Quoten etwas unterhalb des Durchschnitts.

Weniger Frauen

Leicht gesunken ist auch die Anzahl der weiblichen Antragsteller. Nur rund 23 % Prozent der Anträge in der Einzel­förderung wurde von Frauen eingereicht. Dabei schneiden die Geistes- und Sozial­wissenschaften (35,4 %) und die Lebens­wissenschaften (29,1 %) noch mit am besten ab. Schlusslicht mit rund 10 % bilden die Ingenieurs­wissenschaften.

Überhaupt bekamen die Lebens­wissenschaften mit 1,1 Milliarden Euro das größte Stück vom Förderkuchen. Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren die Bewilligungs­summen für zum Beispiel laufende Projekte stetig gestiegen sind. In der Kategorie Biologie (Pflanzen­wissenschaften, Zoologie und Grundlagen) von 320 Millionen in 2014 auf 382 Millionen. In der Medizin (Neuro­wissenschaften, Mikro­biologie, Immuno­logie etc.) von 583 Millionen auf 684 Millionen im letzten Jahr.

Mit den DFG-Millionen wird beispielsweise auch der Kauf und Unterhalt von Forschungs-Großgeräten ermöglicht. So entstehen derzeit an der FU Berlin, der Charité, an den Universitäten Hamburg, Heidelberg, Köln, an der LMU München, in Regensburg sowie in Würzburg Schwerpunkte für die Hochleistungs-Kryo-Elektronen­mikroskopie. Und die nächsten Investitionen in Hochleistungs-Apparillos sind bereits beschlossene Sache. Im März verkündete die DFG, dass sie vier Kompetenz-Zentren fürs Next Generation Sequencing einrichten und unterstützen möchte. „Mit der Förderinitiative für Hochdurchsatz­sequenzierung leistet die DFG einen Beitrag zur stärkeren Nutzung von NGS-Technologien in den Lebens­wissenschaften“, sagt DFG-Vizepräsidentin Katja Becker im Jahresbericht. „Die Initiative soll den dringenden Bedarf – insbesondere auch außerhalb der medizinischen Forschung sowie an Hochschulen – auffangen und den Keim für den Aufbau einer größeren nationalen NGS-Infrastruktur bilden.“

Let‘s talk about science

Auch der Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft kommt nicht zu kurz und wurde im letzten Jahr von der DFG gefördert. „Gerade in Zeiten von Fake News und Wissenschafts­feindlichkeit ist die Vermittlung von Forschungs­erkenntnissen ein wichtiges Anliegen,“ heißt es dazu im Jahresbericht. Zusammen mit der Bundeskunsthalle in Bonn entwickelte die DFG beispielsweise die Talk-Reihe „Science On“, bei der Wissenschaftler untereinander und mit dem Publikum über „aktuelle Fragen, die Wissenschaft und Öffentlichkeit bewegen“, diskutieren. Der nächste Talk findet übrigens am 27. November zum Thema „Hirnforschung“ statt.

In den letzten 100 Jahren hat die DFG in der Tat dazu beigetragen, dass sich die Forschung in Deutschland von ihren finanziellen Nöten größtenteils befreit hat. „Im europäischen Vergleich hat Deutschland das stabilste und leistungs­stärkste Forschungs­system,“ heißt es im Jahresbericht. „Die Zugkraft des Wissenschafts­standorts Deutschland ist spürbar gestiegen.“ Andere Nöte, wie wissenschaftliches Fehlverhalten, die Chancen­ungleichheit von Frauen und ein durch Populismus und schlecht recherchierte „Enthüllungs“-Stories (NDR, WDR, SZ et al.) immer weiter sinkendes Vertrauen in die Wissenschaft, gilt es jedoch weiterhin entschlossen zu bekämpfen.

Kathleen Gransalke



Letzte Änderungen: 25.07.2018