Editorial

Raus aus der Wissenschaft, rein in die Wirtschaft (Teil 1)

(09.08.2018) In einer Mini-Serie beschäftigen wir uns mit Ausgründungen aus der Wissenschaft. Im ersten Teil geht es um EXIST, das Förderprogramm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi).
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Um es gleich klarzustellen - hier ist nicht der Besuch eines Biergartens nach einem langen Tag im Labor gemeint. Vielmehr möchten wir das Thema Gründungen aus der Wissenschaft heraus näher beleuchten. Das Thema hat in den letzten Jahren deutlich an Fahrt aufgenommen und viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Gründer-, Technologie- und Innovationszentren sowie Businessplan-Wettbewerbe schießen wie Pilze aus dem Boden. So bietet zum Beispiel das Zentrum für Innovation und Gründung an der TU München (UnternehmerTUM) mit 140 Mitarbeitern ein Rundum-Paket für Gründer von der Idee bis zum Gang an die Börse. Der Gründungsradar des Stifterverbandes bewertet seit 2012 die Gründungskultur und deren Unterstützung an deutschen Hochschulen: Auch hier ist die TU München neben der Hochschule München und dem Karlsruher Institut für Technologie KIT in der Spitzenpo­sition. Fakt jedoch ist, dass nur etwa 5% aller Gründungen in Deutschland aus Hochschulen und Forschungs­einrichtungen heraus erfolgen.

Auf EU-Ebene im Forschungs­rahmenprogramm Horizon2020 wurde der Europäische Innovationsrat (European Innovation Council, EIC) etabliert, um völlig neue, bahnbrechende Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle mit hohem Marktpotenzial zu fördern. Zwischen den Jahren 2018 bis 2020 beträgt der Etat des EIC knapp 2,7 Milliarden Euro, darunter auch 40 Millionen Euro an wettbe­werb­lichen Preisgeldern für Ideen, die besondere gesellschaftliche Herausforderungen lösen. Beispiele hierfür sind ein Frühwarn­system für Epidemien oder ein auf künstlicher Photosynthese basiertes System zur Treibstoffgewinnung. Auch Deutschland möchte bei der Identifizierung und Umsetzung von radikalen Ideen nicht zu kurz kommen. Die neue Bundesministerin für Bildung und Forschung Anja Karliczek hat bereits 100 Millionen Euro für 2019 in ihrem Haushalt vorgemerkt, um eine Agentur für Sprunginno­vationen auf die Beine zu stellen. Im Rahmen der Mini-Serie werden unter anderem einige bundesweite Förderprogramme für technologie- und wissensbasierte Start-ups vorgestellt, die die ersten Schritte in Richtung Existenzgründung unterstützen, aber auch Studienergebnisse, die die Gründungsaktivitäten in Deutschland genauer unter die Lupe nehmen.

Editorial
Besseres Gründungsklima

Existenzgründungen aus der Wissenschaft oder kurz EXIST ist ein Programm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi), das mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds ko-finanziert wird. Mit EXIST soll nicht nur das Gründungsklima an Hochschulen und Forschungseinrichtungen generell verbessert, sondern auch die Zahl individueller technologieorientierter und wissensbasierter Unternehmensgründungen gesteigert werden. Unterstützt werden unterschiedliche Zielgruppen wie Hochschulen sowie Studierende, Absolventen von Hochschulen oder Wissenschaftler, unabhängig vom Geschlecht.

EXIST wurde im Jahr 1998 als EXIST I ins Leben gerufen. Zwischenzeitlich wurden mehr als 110 Millionen Euro an Fördergeldern ausgezahlt. Momentan läuft EXIST IV mit drei prinzipiellen Förderschienen: Die Linie EXIST-Gründungskultur unterstützt Hochschulen dabei, den Unternehmergeist strategisch auf- und auszubauen. EXIST-Gründungskultur soll im nächsten Jahr mit veränderten Bedingungen erneut ausgeschrieben werden. Hingegen unterstützen EXIST-Gründerstipendium und EXIST-Forschungstransfer Einzelpersonen beziehungsweise kleine Gründerteams. Gründungsvorhaben sollen dadurch vorbereitet werden, indem z.B. der technischen Machbarkeit forschungsbasierter Ideen nachgegangen wird.

Geld für Lebensunterhalt

Mit dem Gründerstipendium kann der persönliche Lebensunterhalt des Gründers bzw. des bis zu 3-köpfigen Gründerteams für bis zu 1 Jahr gesichert werden. Hierzu gibt es je nach Ausbildungsstand ein monatliches Stipendium: 1.000 Euro für Studierende, 2.000 Euro für Teammitglieder mit anerkanntem Berufsabschluss, 2.500 Euro für Absolventen mit einem Hochschulabschluss und 3.000 Euro für Promovierte. Pro Kind und Monat gibt es einen Zuschlag von 150 Euro. Der maximal mögliche Sachkostenzuschuss bewegt sich zwischen 10.000 Euro für Einzelgründungen und 30.000 Euro für Gründerteams. Für Coaching-Maßnahmen gibt es bis zu 5.000 Euro extra. Um einen Antrag stellen zu können, müssen Studierende zumindest die Hälfte ihres Studiums bewältigt haben. Für Absolventen und ehemalige Mitarbeiter gilt, dass sie Hochschule oder Forschungsein­richtung vor weniger als fünf Jahren den Rücken gekehrt haben. Ein EXIST-Stipendium kann NICHT mit anderen Stipendien oder Beschäftigungsverhältnissen kombiniert werden. Gefördert werden technologieorientierte Gründungsvorhaben oder wissensbasierte Dienstleistungen mit Alleinstellungsmerkmalen am Markt, hohem Kundennutzen und großem Wertschöpfungspotenzial. Es ist ja auch eine Förderung des Wirtschaftsministeriums und soll Deutschland irgendwann mal Arbeitsplätze und Einnahmen sichern.

Hochschule oder Forschungseinrichtung stellen den EXIST-Förderantrag, einen Mentor zur fachlichen Begleitung sowie den Arbeitsplatz. Zusätzlich verwaltet sie im Erfolgsfall die EXIST-Fördermittel und gewährt den EXIST-Gründern die kostenfreie Nutzung vorhandener Infrastruktur. Die beantragenden Einrichtungen müssen durch ein Gründungsnetzwerk oder zumindest einen Gründungsberater nachweisen, dass sie in der Lage sind, die Gründer fachlich zu unterstützen. Die angehenden Gründer steuern zum Antrag ein Ideenpapier bei, das die Geschäftsidee umschreibt. Im Falle einer Förderung stellen sie nach fünf Monaten dem Gründungsnetzwerk oder dem Gründungs­berater einen ersten Entwurf, nach zehn Monaten den fertigen Business-Plan vor. Eingereicht können die Anträge jederzeit. Es werden pro Jahr ca. 200 Anträge mit einer Erfolgswahrscheinlichkeit von über 50 % gefördert. 4 von 5 EXIST-Gründerstipendien führen letztendlich zur Gründung eines Unternehmens. Nach fünf Jahren sind noch 3 von 5 aus EXIST hervorgegangene Unternehmen am Markt, was ganz klar für den Erfolg der Förderlinie spricht. Mehr als die Hälfte aller bisher geförderten EXIST-Gründerstipendien sind in den Bereichen IT und Software angesiedelt.

Forschungstransfer für risikoreiche Ideen

Für eine Förderung im EXIST-Forschungstransfer liegt die Latte deutlich höher, aber es gibt auch mehr Kohle. Gefördert wird in zwei Stufen: Phase I dient der Vorbereitung einer Gründung. Hierfür stehen maximal 250.000 Euro an Sachmitteln zur Verfügung. Damit können zum Beispiel Machbarkeitsanalysen durchgeführt oder Prototypen entwickelt werden. In Phase II wird kurz nach erfolgter Gründung eines Hightech-Unternehmens ein Gründungszuschuss von maximal 180.000 Euro gewährt. Das kann beispielsweise für Produktentwicklung oder zur Vorbereitung der Markteinführung verwendet werden. Eine Bewerbung auf Phase II ist nur möglich, wenn zuvor die Phase I erfolgreich durchlaufen wurde. Gleich vornweg: Die Aussichten auf eine Förderung in Phase I sind im Vergleich zum EXIST-Gründerstipendium deutlich geringer. Bei einer Erfolgswahrscheinlichkeit von unter 20 % werden jährlich bundesweit nur ca. 50 Förderzusagen ausgesprochen. Ideen, die hier eingebracht werden, zeichnen sich häufig durch hohes Risiko aus und scheitern in der Umsetzung: Nur etwa ein Fünftel der Phase I-Förderungen münden in die Gründung eines Unternehmens. Höher jedoch ist die Überlebensquote: Nach fünf Jahren sind noch 3 von 4 geförderten Unternehmen am Markt vertreten.

Gefördert werden in Phase I Teams aus maximal drei Wissenschaftlern, darunter bei Bedarf auch eine Person als technische Assistenz, plus eine weitere Person mit betriebswirtschaftlicher Expertise. Ausschließlich studentische Teams werden hier nicht gefördert. Der Förderzeitraum für Phase I und Phase II beträgt jeweils bis zu 18 Monaten. Jedoch kann die Förderung für Phase I bei nachvollziehbarer Begründung auch auf bis zu 36 Monate und 250.000 Euro Sachkostenzuschuss hinaus erweitert werden. Förderfähig in Phase I sind Personalausgaben für maximal vier Personalstellen sowie studentische Hilfskräfte als auch Sachausgaben wie für Verbrauchsmaterial, Forschungsgeräte, Patentierung oder Markt-Recherchen. Für die Förderung in Phase II muss das neu gegründete Unternehmen bereits erstes Eigenkapital nachweisen sowie Eigenmittel einbringen. Anträge können 2x pro Jahr gestellt werden. Antragsteller für Phase I sind Hochschulen und Forschungseinrichtungen, für Phase II aus EXIST Phase I hervorgegangene Unternehmen. Rund ein Drittel der Förderungen in Phase I seit 2007 waren in Biotechnologie und Medizintechnik angesiedelt.

German Accelerator – Bootcamp für Gründer

Start-ups, die den US-amerikanischen oder südostasiatischen Markt erobern möchten, wird mit dem German Accelerator geholfen, einem weiteren Programm des BMWi. Doch was sind Acceleratoren? Wie der Name sagt, geht es darum, das Wachstum aussichts­reicher Start-ups in einer frühen Phase massiv zu beschleunigen. Die Produkt- oder Dienstleistungsidee soll innerhalb weniger Monate Marktreife erlangen. Unterstützt wird zum Beispiel mit preisgünstigen Büro- und Laborflächen, einem kleineren 5-stelligen Geldbetrag, Kontakten zu Netzwerken und potenziellen Kunden sowie intensivem Mentoring und Coaching. Am Ende des Aufenthalts im Accelerator wird das entwickelte Produkt häufig einem ausgesuchten Investorenkreis vorgestellt.

Vor der Aufnahme in einen Accelerator steht ein knallharter Ausleseprozess, da diese in der Regel gewerblich betrieben werden. Kann sich ein Start-up durchsetzen, so ist seine Teilnahme zunächst frei, jedoch müssen häufig Unternehmensanteile an den Accelerator abgetreten werden. Einer der bekanntesten Acceleratoren weltweit ist der Y Combinator mit Sitz in Mountain View, Kalifornien, der nach eigenen Angaben seit 2005 rund 2.000 Start-ups unterstützt hat. Einige der großen Pharma- und Biotechunternehmen betreiben zwischenzeitlich eigene Acceleratoren wie Bayer Grant4Apps, Illumina Accelerator für Start-ups aus der Genomik oder Johnson & Johnson Innovation JLABS.

Doch zurück zum German Accelerator: Hier werden 3- bis 9-monatige Auslandsaufenthalte von ein bis zwei Personen pro Start-up gefördert. Je nach Variante geht es zum Beispiel ins Silicon Valley oder nach New York City (German Accelerator Tech), nach Boston (German Accelerator Life Sciences, GALS) oder nach Singapur (German Accelerator Southeast Asia). Voraussetzungen sind eine vor weniger als 5 Jahren vollzogene Gründung und ein Businessplan, aus dem die Perspektiven für den internationalen Markt hervorgehen.

Im Bereich Lebenswissenschaften stehen vor allem Themen wie Digital Health, Diagnostik, Forschungsreagenzien, Medizintechnik, Plattformtechnologien oder Therapeutika im Vordergrund. Zu den erfolgreichen Ideen, die GALS durchlaufen haben, gehört z.B. das Berlin-basierte Unternehmen labfolder, dessen elektronisches Laborbuch zwischenzeitlich durch mehr als 15.000 Wissenschaftler der Max-Planck-Gesellschaft sowie der Charité und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in Berlin genutzt werden. Ein weiteres Beispiel ist das Start-up Ada Health, das im letzten Jahr einen Finanzspritze von 40 Millionen Euro erhielt, um eine App weiterzuentwickeln, die Kranken oder Sich-Krank-Fühlenden erste Ratschläge vor dem Gang zum Doktor gibt.

Ralf Schreck



Letzte Änderungen: 08.08.2018