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Ein netter Parasit

(20.08.2018) Die Weichwanze Tupiocoris notatus sorgt dafür, dass ihre Wirtspflanze ihr immer ausreichend Nährstoffe bereitstellt. Dafür benutzt sie das Pflanzenhormon Cytokinin.
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Tupiocoris notatus

Viele Insekten ernähren sich von Pflanzen. Diese schützen sich dagegen durch komplexe Abwehr­reaktionen, die u. a. dazu führen, dass die Blätter für die Fressfeinde weniger schmack- oder nahrhaft werden. In einem regelrechten Wettrüsten entwickeln die Insekten wiederum Strategien, diesen Prozess zu umgehen.

Besonders weit gehen dabei Herbivore, die innerhalb des Pflanzen­gewebes leben und in ihrer Nähstoff­versorgung vollkommen abhängig von der Pflanze sind. Sie haben des­halb gelernt, ihre Wirte auf verschiedene Weise zu manipulieren, indem sie pflanzliche Hor­mone produzieren. Durch die Übertragung von Cytokininen, die sich strukturell von Adenin ableiten und eine Schlüsselrolle in der Regulation von Pflanzen­wachstum und -entwicklung spielen, gelingt es den Herbivoren beispielsweise, in infizierten Blättern den Nährstoff­gehalt hochzuhalten. Das steht dem Interesse der Pflanze entgegen, die infizierte Blätter durch Abwehr­maßnahmen möglichst unattraktiv werden lassen möchte. Cytokinin-produzierende Herbivore schaffen sich in einem solchen Blatt dagegen selbst grüne Inseln. Dazu erhöhen sie entweder die Photosynthese-Aktivität oder veranlassen, dass Nährstoffe innerhalb der Pflanze von einem Ort an einen anderen verschoben werden.

Wirklich beobachtet hatte den Cytokinin-Transfer von Tier zur Pflanze bislang aber niemand. Jetzt gelang dies ausgerechnet für die freilebende Weichwanze Tupiocoris notatus, die auf die nordameri­kanische Tabakpflanze Nicotiana attenuata und ein paar weitere Nachtschatten­gewächse spezialisiert ist. Die nur 3-4 mm großen Wanzen können sich im Unterschied zu endophytisch lebenden Insekten frei auf der Pflanze bewegen und sich so die schmack­haftesten Blätter aussuchen oder gezielt solche vermeiden, in denen starke Abwehr­reaktionen am Werk sind. Oft sind dies gerade die nährstoff­reichsten, so dass das Insekt bei seiner Wahl Vor- und Nachteile genau abwägen muss.

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Produktiv trotz Stress

Wie alle Wanzen besitzt T. notatus einen Saugrüssel, mit dem sie Blattzellen minimal ansticht und den Zellinhalt aussaugt. Als erste Reaktion auf die Wanzen aktiviert die Tabakpflanze einen Signalweg, der durch das Phytohormon Jasmonat angeschaltet wird und u. a. Verteidigungsmaßnahmen auslöst. Die Fitness der Pflanzen schien darunter jedoch nicht zu leiden, denn selbst bei sehr starkem Wanzenbefall blieb die Konzentration an Zucker und Stärke in den befallenen Blättern sehr hoch.

„Eine Arbeit von 2011 in New Phytologist hatte gezeigt, dass die Photosyn­theserate bei Befall mit T. notatus um die befallenen Stellen zunimmt“, erläutert Ian Baldwin vom Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena. „Eine räumlich so gut aufgelöste Analyse konnten wir nicht durchführen, aber auch in unseren Experimenten nahm die Photosyn­theserate nur bei sehr starkem Befall ab, wenn die Pflanze bereits sichtbar geschädigt war. Unsere Ergebnisse passen zu der früheren Arbeit, in der zudem gezeigt wurde, dass eine noch nicht identifizierte Komponente im Speichel der Wanzen für den Anstieg der Photosynthese-Aktivität verantwortlich war.“

Tierisches Pflanzenhormon

Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass die Nährstoffe aus nicht befallenem Gewebe in das befallene transportiert werden. Solche Prozesse werden üblicherweise von Cytokininen reguliert. In der Tat stieg im befallenen Pflanzengewebe der Gehalt an Cytokininen an, und das obwohl im gleichen Gewebe Transkripte der Cytokinin-Synthesegene herabreguliert waren. Stammten die Cytokinine in den Blättern etwa aus der Wanze?

Tatsächlich waren sowohl in Larven als auch in Imagines von T. notatus hohe Konzentrationen an zwei verschiedenen Cytokininen, Isopentenyl­adenin (IP) und dessen Ribosid nachweisbar. Dabei lag vor allem IP in Konzentrationen vor, die diejenige in den Blättern um bis zu drei Größenordnungen überstiegen. „Es kann sehr gut sein, dass es sich bei Isopentenyl­adenin um die besagte Komponente handelt, die 2011 im Insekten­speichel gefunden worden war“, vermutet Baldwin. „Allerdings ist die Photosynthese ein sehr komplizierter Prozess, auf den viele Faktoren Einfluss haben.“

Um den Cytokinin-Transport zweifelsfrei nachzuweisen, wurden 15N-Markierungs­experimente durchgeführt, bei denen entweder Wanzen auf 15N-markierten Pflanzen oder (durch vorheriges Fressen an 15N-Pflanzen) 15N-markierte Insekten mit unmarkierten Pflanzen zusammen­gegeben wurden. In beiden Fällen ließen sich anschließend Cytokinine, die aufgrund ihrer Stickstoff-Isotope den Insekten zugeordnet werden konnten, in den Pflanzen nachweisen.

Beide gewinnen

Den Cytokinin-Gehalt im Speichel und in den Ausscheidungen der Insekten konnten die Forscher sogar direkt bestimmen. Vor allem im Speichel fanden sich Cytokinine in hoher Konzentration. „Da sich der Cytokiningehalt in den Insekten nicht veränderte, wenn sie auf einer künstlichen Nahrungsquelle gehalten wurden, gehen wir davon aus, dass die Wanzen diese selbst oder mit Hilfe ihrer Endosym­bionten herstellen können“, so Baldwin. „Um das zu beweisen, müssten wir die Wanzen jedoch den gesamten Lebenszyklus hindurch auf einer künstlichen Nahrungs­quelle züchten und das können wir noch nicht“, bedauert der Forscher.

Insgesamt scheinen die Cytokinine eine zweifache Rolle zu spielen. Zum einen machen sie die Blätter für die Weich­wanzen schmackhafter, zum anderen sorgen sie aber auch dafür, dass die Pflanze durch den Insekten­befall weniger Fitness-Einbußen erleidet. „Alle unsere Daten deuten darauf hin, dass die Cytokinine der Insekten die Defekte minimieren, die sie mit ihrer Ernährungs­weise erzeugen“, fasst Baldwin zusammen. Das klingt wie eine Win-Win-Situation, sollte allerdings nicht darüber hinweg­täuschen, dass die Weichwanze ein Parasit bleibt, der der Pflanze die Photo­synthese-Produkte stiehlt, auch wenn er versucht, dabei möglichst wenig Schaden anzurichten.

Larissa Tetsch

Brütting C. et al. (2018): Cytokinin transfer by a free-living mirid to Nicotiana attenuata recapitulates a strategy of endophytic insects. eLife 2018;7:e36268



Letzte Änderungen: 20.08.2018