Editorial

Sondersteuer für die Biotech-Branche?

(13.09.2018) Private Vereine wollen über die Zulassung von Gentechnikprodukten entscheiden. Die „vorsorgeorientierte Risikoprüfung“ aber sollen die Biotech-Unternehmen bezahlen.
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Seit Jahren werden Zulassungsbehörden in Europa mit Vorwürfen überzogen, sobald ihre Entscheidungen nicht mit den politischen Zielen und Forderungen von Umweltschutzorganisationen überein­stimmen. Auf jede Zulassung eines neuen Pflanzenschutzmittels oder einer Pflanzensorte, bei deren Entstehung Gentechnik im Spiel war, folgen Kampagnen „zivilgesellschaftlicher Organisationen“ (neudeutsch NGOs) wie Greenpeace, dem BUND und anderen – oft im Verein mit grünen Politikern: Die Behördenmitarbeiter zeigten zu große Nähe zur Industrie („Drehtürkarriere“) und würden Industriegutachten unkritisch „durchwinken“. „Profitinteressen“ würden stärker berücksichtigt als das Gemeinwohl.

Inzwischen hat ein Strategiewechsel stattgefunden. Die Kritik richtet sich jetzt auch gegen das Zulassungsverfahren als solches. Bislang müssen Hersteller, die in Europa ein zulassungspflichtiges Produkt vermarkten wollen, belegen, dass es allen Vorschriften genügt und allen vorgeschriebenen Tests unterzogen wurde (oft genug durch Gutachten und Studien unabhängiger Institute). NGOs skandalisieren das, indem sie suggerieren, dies würde Manipulationen Tür und Tor öffnen („zugelassen aufgrund von Industriestudien!“). Die Zulassungsverfahren folgten falschen Paradigmen (isolierte Betrachtung von Einzelstoffen, keine Berücksichtigung von Langzeiteffekten und sozioökonomischen Folgen usw.). Zudem würde das Vorsorgeprinzip nicht berücksichtigt, das sie auf die verkürzte Formel bringen: verantwortungsbewusstes Handeln im Hinblick auf zukünftige Generationen sei es, der schlechten Prognose den Vorrang gegenüber der guten zu geben. Dass auch die Konsequenzen des Nicht-Handelns abgewogen werden müssen, verschweigen sie gern.

Editorial
Der BUND stellt Forderungen

Ihre Forderung lautet jetzt, die Zulassung neuer Produkte müsse zum Schutz des Gemeinwohls und der Interessen zukünftiger Generationen in ihre Hände gegeben werden. Zur Durchsetzung dieses Anspruchs gibt es bereits konkrete politische und rechtliche Überlegungen. Vor kurzem hat ein von einer NGO beauftragtes Rechtsgutachten aus dem Jahr 2017 den Weg in die Öffentlichkeit gefunden. Bereits im Dezember 2017 erhob der BUND eine zentrale Forderung des Gutachtens (damals noch auf die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln beschränkt): „Die notwendigen Zulassungsprüfungen“, hieß es, „dürfen nicht mehr von den antragstellenden Pestizidfirmen, sondern müssen von unabhängigen wissenschaftlichen Instituten durchgeführt werden. Die Vergabe der Studien muss durch die Zulassungsbehörden erfolgen. Sie müssen über einen industrie­unabhängig verwalteten Fonds finanziert werden, der aus Gebühren der antragstellenden Firmen gespeist wird.“ Nun zeigt sich: NGOs wollen auch die Zuständigkeit für sämtliche Produkte der Gen- und Biotechnologie. Damit stellen sie auch die gültigen Zulassungsregeln für gentechnische Produktionsverfahren und Arzneimittel zur Disposition.

Die Autorin des Gutachtens, Cornelia Ziehm, ist Umweltjuristin und berät seit langem die Deutsche Umwelthilfe, den BUND, Foodwatch und andere. Es trägt den Titel „Modelle zur Finanzierung vorsorgeorientierter Risikoforschung im Bereich der Gen- und Biotechnologie“ und entwirft ein Konzept, wonach Unternehmen der Gen- und Biotechnologie mit einer neu zu schaffenden Sondersteuer zu belegen sind. Die Mittel sollen in einen Fonds für „vorsorgeorientierte Risikoforschung“ fließen. Dabei soll es um die Themenkomplexe „Herstellen und Inverkehrbringen von Stoffen der Gen- und Biotechnologie“ im weitesten Sinne gehen, d.h. nicht nur Saatgut, sondern explizit auch Arzneimittel. Offen bleibt, ob damit auch gentechnisch hergestellte Aromen, Farbstoffe, Produktionsorganismen, Zellkulturen, Vitamine usw. gemeint sind. Wie die „vorsorgeorientierte Risikoforschung“ im Einzelnen aussehen und wer sie durchführen soll, sollen Umwelt- und Verbraucherschutzverbände über einen Beirat bestimmen.

Suspekte Forschungsgemeinschaft

Ziehm ist der Auffassung, dass eine solche Abgabe oder Steuer rechtssicher eingeführt und den Unternehmen der Gen- und Biotechnologie in Deutschland auferlegt werden kann und muss. Fragen der konkreten Verwendung der erhobenen Mittel und der Organisation der „vorsorgeorientierten Risikoforschung“ sind nicht Gegenstand des Gutachtens, aber die Verfasserin deutet an, wer damit nicht betraut werden sollte: Forscher mit „Nähe zur Gen- und Biotechnologieindustrie“ erscheinen ihr ebenso wenig geeignet wie akademische Forscher, die mit Drittmitteln geforscht haben. Suspekt ist ihr sogar die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die „eher eine auf Innovation und Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtete als eine an einer systematischen Überprüfung von Risiken für Mensch und Umwelt orientierte, schutzgutbezogene Forschung“ fördere.

Das Gutachten folgt dem bekannten Narrativ, dass herkömmliche Risikoforschung „interessengeleitet“ sei und die zuständigen staatlichen Stellen nur noch eine „bloße Plausibilitätskontrolle“ betreiben würden, die „die vorgelegten Forschungsergebnisse lediglich nachvollzieht.“ Weiter heißt es: „Originäre Risikoforschung geschieht in den staatlichen Institutionen allerdings nicht oder nur in einem vergleichsweise begrenzten Umfang. Darüber hinaus ist teils eine mehr oder weniger große ‚Nähe‘ von Mitarbeitern der staatlichen Forschung- bzw. Bewertungseinrichtungen zur Gen-und Biotechnologieindustrie festzustellen.“ Damit würden diese Einrichtungen ihre „Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung und der Umwelt“ nicht hinreichend wahrnehmen.

Biotech-Industrie als Gefährder

Die Gutachterin hält es für unzulässig, dass „vorsorgeorientierte Risikoforschung“ aus dem allgemeinen Haushalt bezahlt wird. Vielmehr müssten Unternehmen, die biotechnologische Produkte auf den Markt bringen, nach dem Verursacherprinzip für alle Risiko­abschät­zungen und Vorsorgemaßnahmen aufkommen. „Das Verursacherprinzip legitimiert […] auch Kosten für die Vermeidung und Verringerung von Schäden oder Belastungen.“

Biotechnologieunternehmen, ob sie nun Arzneimittel oder Pflanzen herstellen, sind aus ihrer Perspektive Verursacher von potenziellen Risiken, die sie der Allgemeinheit aufbürden, um Profite zu machen. „Die Unternehmen der Gen-und Biotechnologie verfolgen eine gemeinsame Interessenlage, nämlich die Herstellung und das Inverkehrbringen von Stoffen und Produkten aus eben dieser Branche.“ Daher sollen auch die Hersteller von medizinischen Biotechnologieprodukten über eine „Abgabe auf das Herstellen und Inverkehrbringen von Stoffen und Produkten aus dem Bereich der Gen-und Biotechnologie“ in die Pflicht genommen werden, um den NGOs die „unabhängige“ Evaluierung nicht nur von Arzneimitteln, sondern auch von biotechnologisch hergestellten Pflanzen oder Pflanzenschutzmitteln zu finanzieren.

Schutzlose Bürger

Handlungsbedarf entstehe, weil Grundgesetz und einschlägige EU-Richtlinien „vorsorgeorientierte Risikoforschung“ einforderten. Diese aber finde derzeit durch staatliche Stellen praktisch nicht statt, d.h. der Staat komme seiner Aufgabe, für einen existenziellen Schutz des Lebens und der Gesundheit seiner Bürger, der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere zu sorgen, nicht ausreichend nach.

Die europäische Biotechnologieindustrie ist gut beraten, das Gutachten ernstzunehmen. Die Kampagnen werden folgen und die jüngste Entscheidung zweier deutscher Bundesministerien, die Aufgabe der Unterrichtung der Öffentlichkeit über das Genome Editing ganz offiziell an eine NGO zu vergeben, die sich satzungsgemäß dem Kampf gegen diese Technologie verschrieben hat, ist ein schlechtes Vorzeichen.

Ludger Weß

Diese Kolumne erschien in ähnlicher Form bereits am 23.08.2018 auf salonkolumnisten.com.



Letzte Änderungen: 13.09.2018