Editorial

„Es sollte keine pauschale juristische Festlegung geben“

(24.09.2018) Auch der Bioökonomierat hat sich inzwischen zum EuGH-Urteil über Genome Editing geäußert. Wir sprachen mit den Ratsmitgliedern Christine Lang und Hannelore Daniel.
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Für Genom-editierte Organismen soll nach einem Urteil des Europäischen Gerichts­hofes die Richtlinie über die absichtliche Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in die Umwelt Anwendung finden. Damit könnten die entsprechenden Zulassungs­verfahren bis zu 15 Jahre dauern.

Christine Lang ist Mikrobiologin und seit 2012 Co-Vorsitzende des Bioökonomierates, der die Bundesregierung zur Weiter­entwicklung der Bioökonomie in Deutschland berät. Hannelore Daniel ist Ernährungs­physiologin an der Technischen Universität München und seit 2009 Mitglied des Bioökonomierates.

Editorial

Laborjournal: Wie beurteilen Sie die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH)?

Christine Lang: Ich denke, das Urteil ist ein rein juristisches. Es wird dem Stand der Wissenschaft und der Technik nicht gerecht. Genome Editing hat eine sehr breite Umsetzung. Ich kann damit eine kleine Mutation oder eine große Genomänderung erzeugen. Dafür sollte es nicht eine pauschale juristische Festlegung geben. Wir haben die Chance, das zu diskutieren und auf nationaler Ebene differenzierter zu betrachten.

Hannelore Daniel: Es ist offensichtlich, dass Juristen und Naturwissenschaftler bei den Gentechnikverfahren zu unterschiedlichen Bewertungen kommen. Auch im Bioökonomie­rat gab es differierende Meinungen und so hat er sich monatelang beraten, um zu seiner veröffentlichten Stellungnahme zu kommen und die Seite der Forschung adäquat zu vertreten. Wir müssen nun auf die Europäische Kommission einwirken, den Rechtsrahmen so zu verändern, dass er den gentechnischen Verfahren besser gerecht wird und Wissenschaft und Bioökonomie in Europa nicht ins Hintertreffen geraten.

Auf welche Weise sollte nach Meinung des Bioökonomierates Genome Editing geregelt werden?

Lang: Der Bioökonomierat appelliert an die Politik, das Gentechnikrecht in dem Sinne zu modifizieren, dass zwischen Mutationen und Gentransfers unterschieden wird. Bei Pflanzen und Mikroorganismen sollten kleine Veränderungen von unter 20 Basenpaaren keiner besonderen Regelung gemäß Gentechnikrecht unterliegen. Größere Verände­rungen des Genoms und das Einbringen artfremder Gene sollten dagegen weiterhin den Regelungen des Gentechnikgesetzes unterliegen.

Daniel: Bei gentechnisch veränderten Insekten und Fischen empfiehlt der Bioökonomierat zudem ein besonders hohes Schutzniveau. Sie können, einmal freigesetzt, aus der Natur nicht mehr zurückgeholt werden.

Wie sollte mit Importwaren umgegangen werden, die mithilfe von Genom-editierten Organismen hergestellt wurden?

Lang: Die gentechnologische Veränderung lässt sich bei manchen dieser Produkte gar nicht nachweisen. Hier muss sich der Gesetzgeber Gedanken machen, wie und ob er den globalen Handel regulieren will. Wir müssen uns als Wissensgesellschaft aber auch der globalen Verantwortung bewusst sein, die Weltbevölkerung zu ernähren. Durch Genome Editing lässt sich der Zeitraum verkürzen, um Pflanzen zu züchten, die an veränderte Umweltbedingungen angepasst sind.

Daniel: Wir können uns in Europa nicht auf eine protektionistische Haltung zurückziehen, zumal eine Überwachung von staatlicher Seite gar nicht gewährgeleistet werden könnte.

Sind gentechnisch veränderte Pflanzen Ihrer Meinung nach sicher?

Lang: In den letzten 20 Jahren hat eine Reihe von Studien untersucht, welche Gefahren von gentechnisch veränderten Pflanzen ausgehen. Sie haben die Sicherheit solcher Pflanzen bestätigt.

Daniel: Die Amerikaner konsumieren seit nunmehr 20 Jahren diverse gentechnisch veränderte landwirtschaftliche Produkte und es gibt keinen Hinweis, dass das gesundheitlich bedenklich wäre. Auch in Bezug auf eine mit der Technik unmittelbar verbundene Gefährdung der Umwelt gibt es nur wenig Evidenz. In Europa haben wir uns da in einen Grabenkrieg begeben, aus dem wir kaum ausbrechen können. Wenn sich gentechnisch veränderte Organismen über viele Jahre als ungefährlich erwiesen haben, sollten sie meiner Meinung nach den Status „generally recognized as safe“ („generell als sicher erachtet“) erhalten. Wenn sich herkömmliche und gentechnisch hergestellte Produkte nicht unterscheiden, sollten auch beide als sicher gelten.

Was bedeutet die Entscheidung des EuGH für die Wissenschaft in Deutschland und Europa?

Lang: Das Urteil betrifft vorwiegend die Pflanzenzüchtung. Ich befürchte, dass die Forscher auf diesem Gebiet ins Ausland abwandern werden. Wegen der bisherigen Handhabung der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland sind ja bereits die Anwendungsunternehmen in der Pflanzenzüchtung in die USA gezogen. Für die akademische Forschung sehe ich durch das Urteil keine Einschränkungen.

Daniel: In den Lebenswissenschaften ist Genome Editing mit CRISPR/Cas ein Standardwerkzeug. Wenn wir uns in Bezug auf Genome Editing-Technologien in Europa den Handlungsspielraum nehmen lassen, werden wir bei künftigen Innovationen auf diesem Gebiet weder auf Augenhöhe agieren noch mitreden können.

Der französische Pflanzenforscher Benoit Lacombe hat eine Online-Petition gestartet, die den EuGH auffordert, seine Entscheidung anhand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu überprüfen. Was ist Ihre Einschätzung?

Lang: Nach dem EuGH-Urteil ist es jetzt Aufgabe der Politik und nicht mehr der Juristen, zu agieren und die Gestaltungsspielräume wahrzunehmen.

Daniel: Lacombes Petition kann ich voll unterstützen. Wir müssen uns als Zivilgesellschaft eigene Meinungen bilden und diese dann auch nach vorne tragen. Auch der Wissen­schaftler­kreis Grüne Gentechnik e.V. leistet hierbei einen Beitrag.

Die Fragen stellte Bettina Dupont



Letzte Änderungen: 24.09.2018